STEFAN STAUB

LOVELY LOUISE (BETTINA OBERLI)

SELECTION CINEMA

«Es ist nie zu spät, um mit dem Leben und der Liebe zu beginnen», heisst es in der Synopsis zum Film. «Alter schützt vor Torheit nicht», würde mit Blick auf die weibliche Hauptfigur auch passen. Sieben Jahre nach Die Herbstzeitlosen hat Bettina Oberli erneut eine Emanzipationsgeschichte inszeniert. Wiederum dreht sich alles ums Älterwerden; dieses Mal aber mit einem bittersüssen Nachgeschmack.

Die Geschichte ist rasch erzählt: Der 55-jährige André lebt noch immer bei seiner 80-jährigen Mutter Louise, die als junge Frau einst ihr Glück in Hollywood versuchte. André hat sein Leben als Taxifahrer und Hobby-Tüftler ganz auf seine Mutter ausgerichtet, wird dabei aber derart von ihr vereinnahmt, dass er seine persönlichen Bedürfnisse, insbesondere sein Interesse für die Wurstverkäuferin Steffi, immer wieder zurückstellen muss. Bis eines Tages der Amerikaner Bill, Louises unehelicher Sohn, vor der Tür steht. Anfangs noch unliebsamer Konkurrent, wird Bill für André zu seiner vielleicht letzten Chance, sich endlich von seiner Mutter zu emanzipieren.

Lovely Louise ist als Tragikomödie angelegt, wobei sich dramatische und komische Elemente weitgehend die Waage halten. Allerdings hat sich die Regisseurin nicht etwa für ein Wechselbad der Gefühle, sondern – wie so oft im Schweizer Kino – für eine gemütlich dahinplätschernde Handlung entschieden. Und dies, obwohl gerade im Konkurrenzkampf zwischen André und Bill eigentlich durchaus das Potenzial für komödiantisches Feuerwerk geschlummert hätte.

Die Stärken des Films liegen anderswo: im Zusammenspiel der beiden Hauptdarsteller zum Beispiel. Stefan Kurt und Annemarie Düringer harmonieren ausgezeichnet und sorgen dafür, dass man trotz der relativ vorhersehbaren Geschichte immer dran bleibt. Gerade in den kleinen, aber feinen Momenten, wenn André seine Mutter in die Schwimmtherapie begleitet oder sie mit dem Taxi bei Sprüngli abholt, kommen die Ambivalenzen der Mutter-Sohn-Beziehung am besten zum Ausdruck. Ausserdem sind in Louises Backstory zahlreiche hübsche Anspielungen auf Stars wie Marlene Dietrich, Greta Garbo oder die Schweizer Leinwandgrösse Lilo Pulver versteckt, die ähnlich wie Louise anfangs der 1960er Jahre ihr Glück in Hollywood versucht hatte.

Doch zuletzt verfehlt leider auch die Auflösung dieser Backstory ihre emotionale Wirkung. Zu konstruiert wirkt das Ganze, als dass wir wirklich mit André mitleiden könnten. Und so bleibt nach dem Abspann das Gefühl zurück, trotz einiger wirklich schöner Momente, einen Film gesehen zu haben, der weder sein komödiantisches Potenzial noch die Dramatik, die in der Mutter-Sohn-Beziehung liegt, wirklich ausschöpft.

Stefan Staub
*1980 in Bern, studierte Publizistik, Film­wissenschaft und Sozialpsychologie an der Universität Zürich. Zweieinhalb Jahre Promotion und Pressearbeit für Frenetic Films. Fortbildung an der Drehbuchwerkstatt München (2010/11), war in verschiedenen Funktionen für die Internationalen Kurzfilmtage Winterthur und die Solothurner Filmtage tätig, arbeitet seit 2014 als freischaffender Drehbuchautor und ist seit 2016 Mitglied der CINEMA-Redaktion.
(Stand: 2019)
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