SEBASTIAN HÖGLINGER / PETER SCHERNHUBER

ZWISCHEN SMELLS LIKE UND TEEN SPIRIT — RAUSCH IM JUGENDFILM

ESSAY

«Bist a Schwuchtel, Oida?», bellt ein Teenager in tiefsteirischem Dialekt und offeriert einen Joint. Die Kulisse ist trist und in sich perfekt: ein verfallenes Haus im südösterreichischen Nirgendwo, Sehnsuchtsort pubertärer Träume. Zwischen Schinder-Turnunterrichtsstunden, Alltag und schmachtenden Unsicherheiten im Umgang mit dem anderen Geschlecht fungiert der Nicht-Ort als ureigenes Refugium einer Clique. Hier sind die Jungs – die weniger hollywoodkompatiblen, halbstarken Erben James Deans – unter sich. Hier werden hormonverunsicherte Körper und Geister mit Bong und Gras-Zigaretten bearbeitet, bevor es auf dem Moped zurück ins elterliche Zuhause geht. Wer nicht mitmacht, ist «Pussy» oder «schwul». Adoleszenz ist kein Zuckerschlecken, Sprachsensibilität sowieso unbeschrittenes Terrain … denn sie wissen nicht, was sie tun. Im jugendlichen Rauschzustand scheinen die Rollenbilder klar abgesteckt – und erschreckend deckungsgleich mit den eigenen Erinnerungen, die durch romantisierte Kinonarrative und selbstschützendes Verdrängen aufgeweicht wurden, im Kern aber doch noch einen Funken vom Schrecken der Teenagerbürde ‹des Ausprobierenmüssens weil Dabeiseinwollens› behalten haben. Nicht selten bedeutet die Rauschverweigerung den Schritt ins Abseits, Häme der anderen und folglich Schwächung eines zumeist unreflektierten, häufig heteronormativ männlichen Selbstverständnisses – egal ob in der angerissenen Filmszene aus Florian Pochlatkos Erdbeerland (Florian Pochlatko, A 2012) oder im echt durchlebten Coming-of-Age. Lässt man sich dagegen breitschlagen, vulgo breitmachen, folgt am nächsten Morgen ein anderer, zumindest körperlich wesentlich schmerzhafterer Faustschlag: Ausnüchterung, Kopfweh, diffuser Lebensschmerz …

Wie und mit welchen Bildern finden sie ihren Weg ins Kino und weiter in unser kollektives Gedächtnis? Wie unterscheiden sich Rauschinszenierungen junger oder gar jugendlicher Filmemacher/-innen von jenen bereits etablierter Regisseur/-innen, die in ihren Erzählungen den Blick notgedrungen in die (eigene) Vergangenheit richten müssen, um sich den Gepflogenheiten der bereits durchlebten Jugend retrospektiv anzunähern? Was bleibt dann aber von dem im Titel affichierten teen spirit, also von einem Grundgefühl der Jugend; vom authentisch Jugendlichen, wenn man einen gewagten Ausdruck bemühen möchte? In Anlehnung an Kurt Cobains Songtext zu «Smells Like Teen Spirit» lässt sich dieser mit Sicherheit auch als Apathie gegenüber den Konsequenzen des eigenen Tuns beschreiben, eine Gedankenlosigkeit, die für den Grossteil erster Rauscherfahrungen durchaus zuträglich ist. Möglicherweise sind junge Regisseur/-innen durch die eigene unmittelbare Erfahrung ehrlicher im Umgang mit derartigen Sujets. So stellt sich also die Frage, wie und ob das im Folgenden als Jugendkino bezeichnete Filmschaffen überhaupt mit den tatsächlichen Lebensrealitäten der darin Abgebildeten korrespondiert. Gemeint ist einerseits ein von Jugendlichen selbst produziertes Kino und andererseits das etablierte Kino (in Hollywood und darüber hinaus), das sich mit Jugend und Jugendkultur auseinandersetzt.

Der bereits szenenhaft skizzierte Film Erdbeerland eignet sich als Ausgangspunkt für unsere dahingehenden Überlegungen. Florian Pochlatkos Abschluss­arbeit an der Wiener Filmakademie bemüht sich um die angeführten Authentizitäts-Impulse, will möglichst nahe am teen spirit bleiben. Die Handkamera saugt den Qualm und Hormonsud der jungen Protagonist/-innen in vollen Zügen auf – nicht unwahrscheinlich, dass deren Operateur selbst am Glimmstengel ziehen musste, um derart weit in den vertrauten Kreis der pubertierenden Laiendarsteller/-innen vordringen zu dürfen. Pochlatko geht das Wagnis ein, ein Jugendkino zu formulieren, das sich formal und inhaltlich unverfälscht gibt. Damit liefert er eine leicht adaptierte Skizze dessen, was es angeblich braucht, um in der Teenager-Clique und darüber hinaus als cool zu gelten – das Kino hat immer schon die jeweiligen Imperative des Coming-of-Age mitgeformt. Und auch Pochlatko selbst fand mit Erdbeerland Anerkennung in seiner künftigen Clique, der (österreichischen) Filmbranche. Seine Charaktere und Settings fügen sich nur zu gut in ein österreichisches Sozialkino mit authentischem Antlitz ein, dessen walk of fame sich nicht selten durch die tristeren Transit-Regionen und Betonwüsten der Vorstädte schlängelt. Als Beispiele lassen sich u. a. zwei ebenfalls im Kontext der Wiener Filmakademie realisierte Frühwerke anführen: Ulrich Seidls Der Ball (A 1982) und Barbara Alberts Nachtschwalben (A 1993).

Wie Seidl und Albert damals, steht Pochlatko heute mitsamt allen zugehörigen Konventionen für ein junges Kino am Übergang von Jugend- zu etabliertem Berufsfilmschaffen. Bereits als Teenager imitierte er Kino, bereits damals skizzierte er Jugendkultur, etwa in seinem Frühwerk Running Sushi (Florian Pochlatko, A 2008), in dem sich der damals knapp Zwanzigjährige in Anlehnung an TV-Realityformate am Phänomen boygroups abarbeitete. Diese und viele seiner darauffolgenden Filme zeigen auf, wie sehr das Abbilden von Jugend- und Rauschkultur zwar mit Authentizitätserwartungen konfrontiert ist, dabei jedoch auf Motive zurückgreift, die längst im kollektiven Bild-Gedächtnis angelegt sind. Grossteils arbeitet Pochlatko mit Laienschauspieler/-innen. Präzise führt er sie durch seine Bildvorstellungen – so wie die Jugendlichen sich selbst in ihren eigenen Bildern, in ihren hunderten Selfies inszenieren. Neben Lisa Weber oder Jessyca R. Hauser gehört er zu einer neuen Generation österreichischer Filmschaffender, die alte Genregrenzen mit prägnanter Offenherzigkeit hinter sich lassen und tatsächlich die Frage provozieren: Wo endet das smells like und wo beginnt so etwas wie wirklich glaubhafter teen spirit?

Will man davon ausgehen, dass in Erdbeerland jugendliche Lebensrealitäten in realistischen Settings aufgehoben sind, so liesse sich das Coming-of-Age-Kino Hollywoods dazu als oftmals schon inhaltlicher, jedenfalls aber produktionstechnischer Gegenpart betrachten: Eine tatsächliche Nähe zu den jugendlichen Protagonist/-innen lässt sich hier nur noch in kalkulierten Spurenelementen auffinden, etwa in der Montage von Handy-Aufnahmen als mediale Authentizitätsversicherung. Deren Abbildung dient vornehmlich dem Spektakel, dem als ob.

Der tatsächlich von Jugendlichen selbst inszenierte Jugendfilm nimmt dagegen einen Sonderstatus ein. Hat er Jugendkultur zum Thema und ist also selbstreferenziell, korrespondiert er notgedrungen eng mit den Produzierenden. Er ist geprägt von stetem Ausprobieren und Einüben. Seine Fehler offerieren Blicke auf die Rückseite der Bilder und geben Auskunft darüber, wie sehr der filmische Nachwuchs von etablierten Filmbildern des kollektiven Gedächtnisses geprägt und vorgeformt ist. Und vor allem wie sehr er sich dennoch ab- und bemüht, genuin schöpferisch zu wirken. Florian Pochlatko entstammt diesem Jugendfilmschaffen. Heute, am Ende seiner Ausbildung, verfügt er bereits über ein Œuvre, das dank verschiedenster Institutionen in seiner Gesamtheit dokumentiert ist. Was in Zeiten von digitalen Archiven selbstverständlich scheint, ist film- und kinogeschichtlich ein Novum, blieben frühe Filmschätze bisher doch häufig in den hintersten Ecken verstaubter Dachböden und Garagen verborgen. Während Pochlatko in der Steiermark und in Wien an diesen frühen Filmen arbeitete (und mittlerweile auf Festivals reüssiert), hat das Mainstreamkino Rauschbilder entworfen, die dem Jugendfilmschaffen bekannt sind. Vielfach dienen sie als Vorbild und werden als Folie gemimt.

The show must go on – drink to that

«I think we found ourselves here», schwärmt Post-Disneyclub-Sternchen Selina Gomez in ihrer Rolle als Faith in Harmony Korines Spring Breakers (USA 2013) und meint genau ihn: den Rausch – oder die vermeintliche Freiheit, die die Küste Floridas seinen Besucher/-innen während der nordamerikanischen Frühlingsferien offeriert. Harmony Korine hat als Drehbuchschreiber von Kids (Larry Clark, USA 1995) schon einmal eine radikale Definition von Coming-of-Age mitverantwortet. Spring Breakers geht formal noch einen Schritt weiter und unterzieht die Inszenierung von übersexualisierter und dauerzugedröhnter Identitätsfindung einer konsequenten Genre-Politur: Während Kids seinen Protagonist/-innen durch das tendenziell ohnmächtige New York der 1990er Jahre folgt, durchleben Faith und ihre Freund/-innen den (amerikanischen) Traum eines anything goes – und zwar in bisweilen abstrakten, knallbunt durchkomponierten Popkulturschablonen. Schon in der Einstiegsszene streift der Kamerablick in Zeitlupe über eine Ansammlung euphorisierter Role-Models westlicher Sexyness: nackte Körper, Bierbong, Exzess als Programm. Dahinter pumpt der treibende Sound von Skrillex. Damit ist man mittendrin in einer modernen Form der Rauschinszenierung, die die Folien der Hochglanz-MTV-Feierästhetik zum Hollywood 2.0 übersteigert, während sie ihren mediengeschichtlichen Index offenlegt. Folgte das psychedelische Selbsterfahrungskino der New-Hollywood-Ära noch den Outlaws und Hippies in den bewusstseinserweiternden Trip-Rausch, sind es nun die momenthaft entfesselten Normalos, die sich, ähnlich trippig inszeniert, nunmehr einer vollkommen geistbefreiten Besinnungslosigkeit hingeben. Konsequent persifliert und auf die Spitze getrieben wurde dieser Umstand zuletzt in der gänzlich von Durchschnittscharakteren getragenen Hangover-Trilogie (Todd Phillips, USA 2009–2013). Anstelle von Crosby, Stills & Nash wummern bei Korine die Bässe und die kaleidoskopischen Bildeffekte der Spätsechziger-Jahre werden mittels Super-Slow-Motion und Morphingeffekt in eine zeitgemässe Bild- und Rauschsprache übersetzt. Der Traum oder auch die Utopie des Rauschs als Sinneserweiterung – wie sie im New-Hollywood-Kino trotz all des immanenten Gesellschaftspessimismus latent vorherrschte – scheint dem blossen Zweck der Besinnungslosigkeit, des Wegbeamens, gewichen. Und mehr noch: Bisweilen scheint der Rausch als einzig verbleibender Lebenssinn und -inhalt zu fungieren («I think we found ourselves here»). Realityformate im Katastrophen-Privatfernsehen haben diese Entwicklung Anfang der 2010er Jahre bis zum sprichwörtlichen Erbrechen durchdekliniert. Mit Sendungen wie Saturday Night Fever (ATV Österreich) wurde ein kumulierendes Billig-Bildarchiv der «Generation Komasaufen» gefüllt, das eine solche wiederum erst im kollektiven Gedächtnis verankert hat. Passend zu den traurigen Protagonist/-innen derartiger TV-Wochenendbesäufnisse lautet auch in Spring Breakers das mantra­artig runtergebetete Credo des Gangsterrappers Alien: «spring break forever». Der Rausch darf nicht enden, the show must go on.

Koma statt Glamour – Leichen pflastern seinen Weg

Dass sich derartige Tendenzen auch bei jugendlichen Filmemacher/-innen finden, ist kaum verwunderlich. Deren Filmproduktion lässt sich als Seismograf von und Reaktion auf Gesellschaft, Erziehungsinstanzen, Machtapparaturen (agencies) und zeitgeistige Narrative begreifen. Wer Jugendkino anno 2014 noch als unverfälschte, rohe Stimme der Adoleszenz denkt, begibt sich auf reichlich ideologisches Terrain und verrät sämtliche Erkenntnisse, die je zur Funktionsweise der Kulturindustrie formuliert wurden. Inhaltlich ist die Verschiebung von Rausch als Erweiterung hin zu Rausch als Beschränkung jedenfalls ein klassisches Sujet junger Bewegtbildproduktion. Bemerkenswerterweise wird dabei selten die hedonistische, dafür weitaus häufiger eine warnende und mithin auch didaktische Schlagseite betont: Rausch wird längst nicht mehr als Heilsversprechen, sondern vielmehr als Gefahr inszeniert – von der Horizontöffnung der Hippie-Ära ganz zu schweigen. In Dive (Andrew Jordan, IRL 2012) dirigiert der 18-jährige irische Filmemacher Andrew Jordan beispielsweise einen Abend der Realitätsverdrängung in die unumgängliche Eskalation: Die Kamera begleitet Jessie auf Sauftour mit ihren Freund/-innen. Zu fortgeschrittener Stunde taucht die Clique mittels Chemie-Keule in eine Welt abgestumpfter Empfindungen ab, damit korrespondierend färbt sich das Filmbild in kontrastreiches Blau. Zu sphärischen Technosounds torkelt Jessie fortan durch eine rauschhaft inszenierte Slow-Motion-Welt, in der sowohl Tast-, Hör- als auch Gesichtssinn zunehmend die Wahrnehmung trüben und es schliesslich kommt, wie es kommen muss: Der Wahnzustand führt zur Katastrophe und weiter zum Tod der Protagonistin. Ein ähnliches Ende skizziert der österreichische Kurzfilm Awareness (Tim Oppermann, A 2013), in dem der 17-jährige Regisseur die Verschiebung von Realitätsebenen letztlich im endgültigen Bauchstichszenario gipfeln lässt. Viele weitere Beispiele liessen sich benennen.

Wie kommt es, dass eine junge Regiegeneration im Alter zwischen 14 und 20 Jahren – in einer Lebensphase, die in der eigenen Erinnerung häufig mit Wildheit und Konsequenzverachtung konnotiert ist – Filme realisiert, die zwar an einen internationalen Bildkanon andocken, dabei aber eine, zugegeben spitz formuliert, konservative beziehungsweise allzu vorsichtige Rausch-Politik verfolgen? Und was sagt ein solcher Befund über die eingangs gestellte Frage der Authentizität des Jugendkinos? Stimmt der formulierte Eindruck, so läge nämlich der Schluss nahe, es wären die Erziehungsstrukturen, die sich im jugendlichen Filmschaffen erkennen liessen. Nicht selten sind es die Eltern und Lehrer/-innen, die bei Film-Workshops die Kernentscheidungen der Regiearbeit beeinflussen. Weiter gedacht – und das wäre die Krux – bräuchte es also erst die Emanzipierung aus diesen Strukturen, um überhaupt Authentizität im Umgang mit Rausch und Coming-of-Age imaginieren zu können, retrospektive Authentizität wohlgemerkt. Es wäre in diesem Belang folglich kein Unterschied mehr zwischen Harmony Korine, Andrew Jordan oder Florian Pochlatko auszumachen, obgleich die beiden Letzteren mit weitaus weniger Altersabstand zu ihren Protagonist/-innen inszenieren.

Gräbt man etwas tiefer, so findet sich im aktuellen Jugendfilmschaffen ein Beispiel, das sich entlang dieses Denkgerüsts an der Projektionsfläche Rausch abarbeitet: Die 2014 im Rahmen der Schweizer Jugendfilmtage ausgezeichnete dokumentarische Arbeit Rauschen (Dominik Scherrer, A/CH 2014) spürt jugendlichen Erinnerungen an zentrale, selbst erlebte Rauscherfahrungen nach. Gleichsam antithetisch zu den zahlreichen plakativ bebilderten Film- und Reality-TV-Formaten wird der Rausch in diesem Fall lediglich auf der Ton­ebene manifest: Die dokumentarische Form widersetzt sich gänzlich der Notwendigkeit, realitätsnahe Bilder zu inszenieren, und reflektiert stattdessen die Romantisierung und Verklärung des Erlebten, die jeden Erinnerungsprozess bedingt. Interessanterweise ähneln die bloss artikulierten Besäufnisse wieder den bunten Rausch-Sujets der Hollywood Hills. Mit einem Exkurs über den Film hinaus liesse sich an dieser Stelle grundsätzlich die Frage aufwerfen, welche Vorstellungen von Rausch unsere Kultur prägen und somit für das Weltkino – und dazu möchten wir auch junges Filmschaffen zählen – sinnstiftend sind.

Talking About My Generation (Y)

In mehreren Büchern hat der Philosoph Robert Pfaller festgehalten, dass unsere Kultur von einem Verzicht auf das, was wir vom Leben haben können, geprägt ist und auf der ästhetischen Schwäche gründet, jene Bedingungen herzustellen und zu schätzen, unter denen anstössige Dinge wie Feiern, Tabak, Alkohol oder Sex als lustvoll erlebt werden dürfen. Unsere Kultur hat sich den Zugang zu Glamour, Grosszügigkeit und Genuss versperrt. Schnell wird der Ruf nach Verbot und Polizei laut, egal ob beim Rauchen, Fluchen, bei Sex oder schwarzem Humor. Alles Befreiende oder Mondäne dieser Praktiken gehe verloren, so seine These.1 Die Verzichtsideologie der Generation Light & Vegan findet sich als Paradoxon auch im Gegenwartskino. Auf Rausch wird hier nämlich nicht verzichtet – im Gegenteil. Wie bereits angedeutet führt er allerdings meist ins Verderben. Es regiert Koma statt Glamour.

Wie sehr das extravagante Sich-im-Rausch-Verlieren und das darauffolgende Auf-den-Boden-der-Realität-Knallen eigentlich nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind, hat zuletzt Sofia Coppola in die The Bling Ring (USA 2013) zu zeigen versucht. «Die Identifikation [mit dem Leben der Stars] steigert sich ins Kriminelle», schreibt dazu Bert Rebhandl in der österreichischen Tageszeitung Der Standard, «diese Teenager sind nur die Vorhut einer radikal konsumistischen Jugendkultur.»2 Die Sujets und rauschenden Nächte der in Promi-Villen einsteigenden Teenies aus dem Disney-Club weisen frappante Ähnlichkeit mit einem weiteren aktuellen Film auf, der in seiner Form allerdings eher dem sozialen Bildtypus von Erdbeerland nahesteht als dem Popkosmos Coppolas: In Les Apaches (Thierry de Peretti, F 2014) verschafft sich der Sohn eines Hausverwalters mit seiner halbstarken Clique – allesamt Migrant/-innen der zweiten und dritten Generation – unbefugten Zugang zu einer Sommerresidenz reicher Pariser/-innen. Rund um Pool und Prunkinterieur zelebrieren die Eindringlinge eine wilde Party, der Rausch lässt die Bilder unscharf werden (égalité ist nur einhergehend mit Kontrollverlust zu haben). Wie schon bei Coppola oder Korine sind es Luxus und Warenwelt, die faszinieren, es scheint, als gäbe es nur eine mögliche Reaktion auf die glitzernde Pracht: die eigene Narkose. Analog zu Dive und Awareness führt diese auch in Les Apaches zur grösstmöglichen Katastrophe, dem Tod eines Protagonisten.

Zuvor aber fotografieren die konsumistisch euphorisierten Eindringlinge ihr eigenes Tun in fremder, privater Umgebung. Immer wieder erhascht die Kamera dabei einen Blick auf die leuchtenden Handydisplays – und dringt derart vor in die Gedanken- und Bildwelt ihrer jugendlichen Besitzer/-innen. Es ist neu, dass sich das etablierte Kino in solchem Masse für dieses junge Bewegtbildschaffen interessiert beziehungsweise es überhaupt als ernst zu nehmende Laienproduktion auf Handys und im Internet wahrnimmt. Was Les Apaches wie nebenbei in den Plot einwebt, wird in Spring Breakers zur Methode: Refrainartig montiert Korine vorgeblich von Laien gedrehte DV- und iPhone-Bilder zwischen seine tiefsatten Hochglanzaufnahmen. Das vermeintlich Reale durchdringt die Fiktion. Gebraucht hätte es die Anbiederung ans Homevideo kaum. Paradoxerweise sind es gerade die stereotypen, von quietschbunter Künstlichkeit strotzenden Sujets postjugendlicher, berauschter Zügellosigkeit, die Spring Breakers im Kern als glaubwürdig und latent authentisch positionieren. Es sind Bilder, die seit dem Aufkommen von MTV über Jahre hinweg direkt von Daytona Beach in die globalen Jugendzimmer transferiert werden und die die Strände der Sünde (als Fortsetzung der verlassenen Häuser in Erdbeerland) zu den neuen, tatsächlich existierenden Sehnsuchtsorten für studentisches (Auf-)Begehren stilisieren; Bilder, die Rausch im Kontext von schnell und überall verfügbarem Sex verorten und die selbst dem Erdbeerland-Hauptdarsteller in der hintersten Steiermark via Youporn als Vorlage privater Selbstbefriedigung dienen. Dort fungiert die billig abgefilmte Frat-Party-Kulisse als Kompensation für das tatsächliche und pubertätskonform eher unglückliche Schmachten im realen Umfeld.

Während Spring Breakers und Youporn nämlich die Devise des Machens ausgeben (alles ist möglich: überall, jederzeit, wo auch immer), bleiben die Protagonist/-innen in Erdbeerland im konkreten Dilemma des Teenagerdaseins verhaftet: Nichts geht und wenn doch, dann irgendwie, irgendwo, irgendwann. Wie ein grandioser Zufall ertönt Nenas gleichnamiger NDW-Song dann tatsächlich im Filmfinale auf einer Party, während sich frisch Gefundene knutschend im La Boum-Walzer üben. Wenn der Rausch um sich greift, wirken im österreichischen Jugendkino nicht Skrillex und Co. identitätsstiftend, sondern die universalen Superhits der Elterngeneration, ein Kuriosum, das nur vermeintlich auf Alter und Sozialisierung des Regisseurs verweist. Tatsächlich waren bei der Partymusik-Wahl die Jungdarsteller/-innen federführend, versichert Pochlatko beim Filmgespräch im Rahmen der Viennale, dem Vienna International Filmfestival. Auch das annähernd authentische Treiben in Erdbeerland fügt sich also einer Popkultur-Schablone, die den pubertären Liebes-, Alkohol- und/oder Drogenrausch rahmt – weniger aufdringlich zwar als bei Korine, derart vielleicht aber auch klarer im Versuch, an tatsächliche Lebensrealitäten anzudocken. Es ist jene Schablone, die durch Erzählung, Film und Fernsehen überdauert hat (und mittels Filmen wie Erdbeerland weiter überdauern wird). Vermutlich haben es sich bereits einige Eltern der Schauspieler/-innen und nicht zuletzt einige der Endzwanziger im Produktionsteam in ähnlichen Settings gemütlich gemacht und sich mit diversen Substanzen sowie abwegigsten Alkoholmischungen ins Abseits manövriert. Im gegebenen Fall führen sie uns eines vor Augen: Immer sind es Kulturindustrie und Popkultur, die einen Begriff von Jugend sowie das Denken von deren Protagonist/-innen vorgeformt haben. Nicht umsonst schallt – soziale, kulturelle und historische Habitate übergreifend – der gleiche Soundtrack aus den Boxen der jugendlichen Saufstuben.

Kinderzimmer-Productions

Neu ist dagegen die Nähe zwischen dem allwöchentlichen Vollrausch und seiner Medialisierung. Film und Kino haben dahingehend in den letzten Jahrzehnten deutlich an Deutungshoheit eingebüsst. Der Abspann des Kinos läuft am Smartphone, seine Bilder und Sujets wirken medienübergreifend im Digitalen nach. Nicht die Leinwand allein definiert die mediale Vorstellung jugendlichen Rausches, sondern die Jugendlichen selbst. Zigtausendfach entstehen Rauschbilder unmittelbar im Moment des Berauschtseins – wie in The Bling Ring oder Les Apaches –, zigtausendfach werden diese Bilder von Freund/-innen und anderen Internetusern abgerufen und geliked. Die Tatsache, dass die Abspiel- und Aufnahmeapparatur sowie das Soundtrack- und Bildarchiv zunehmend in einem Gerät ineinanderfallen, begünstigt jene von Bert Rebhandl angesprochene Identifikation mit der Warenwelt, die suggeriert, stets aus dem Vollen schöpfen zu können. Das Amateur-Video am Handy pendelt dabei zwischen zwei Funktionen: Einerseits geht es darum, konkrete Personen zu erkennen (als Beweis), andererseits fungiert das Bildmaterial als universelle Steilvorlage und Motivation (um sich etwas zu beweisen). Nicht zuletzt aufgrund seiner formalen Differenz dient es dem etablierten Filmschaffen gleichfalls als Versicherung des eigenen Tuns. Dahingehend nämlich, dass Rausch-Szenen, wie jene in Spring Breakers, den Jugendlichen Selfies ähneln oder zumindest nahe sind. Die Unterscheidung zwischen Jugendfilm – als von Jugendlichen produziertes Bildmaterial – und Coming-of-Age-Filmen anhand vermeintlicher Authentizitätskriterien vorzunehmen scheint somit wenig zielführend. Der inflationäre Gebrauch von fingiertem oder tatsächlichem Amateurbildmaterial sowie die häufige Adressierung einer Sehnsucht nach Authentizität machen es notwendig, eine an sich banale Feststellung wieder stärker zu betonen: Jede Bildproduktion bedeutet immer schon Medialisierung und Abbildung.

Abschliessend möchten wir auf einen Film zu sprechen kommen, der sich dieser Verschiebung von Medialisierung ebenso zuwendet wie den Rauschbildern im Spannungsfeld zwischen Authentizitätsimperativen, Jugend- und Hollywoodkino. In ihrer experimentellen Arbeit Satellites (A 2012) verwendet Karin Fisslthaler Szenen, die sie auf Youtube findet und mit den Mitteln der künstlerischen Montage als Rückübersetzung auf das analoge Medium Film für das Kino adaptiert. Es sind Bilder eines selbstgefilmten Jugendrituals. Durch Druckausübung auf den Brustkorb geleiten Teenager ihr jeweiliges Gegenüber in eine momenthafte Ohnmacht, die wiederum in einem rauschhaften Schwindelgefühl resultiert. Analog zu den berauschten Körpern bedurfte auch das Ausgangsmaterial zunächst eines medialen Kontrollverlusts, um letztlich Kino zu werden: Im Moment des Hochladens wurde aus dem Bewegtbild-Selfie ein öffentliches, fortan unkontrollierbares Dokument und der Zugriff Fisslthalers auf den «privaten», unmittelbaren Rausch möglich. Aus den intimen Bildern wird mit diesem Kunstkniff mehr beziehungsweise etwas anderes, ein anderer Bildtyp. Nur verweigert Fisslthaler zu jedem Zeitpunkt die fragwürdige Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen authentischem oder nicht authentischem Bild. Ihr Eingriff und die daraus resultierende formale Verfremdung bleibt zu jedem Zeitpunkt ersichtlich, die performative und somit immer auch inszenierte «Authentizität» der jugendlichen Ritualdokumentation in seiner Künstlichkeit ernst genommen beziehungsweise als Ausgangspunkt der medialen Umdeutung ausgewiesen. Als Künstlerin zwischen Musik, Film und bildender Kunst verhandelt Fisslthaler Jugendkultur in vielschichtigen, multimedialen Tableaus – und wird so dem Universum und der Popsozialisation der Generation Y gerecht.

So schlägt der musikalische Kanon des Pops die Brücke zwischen filmischen Genres und Rausch-Generationen. Es lässt sich gut und global zu wahlverwandten Soundtracks kotzen, egal ob in den Mistkübel in der steirischen Hausbaracke oder den begehbaren Kleiderschrank in Downtown L. A. Im sanften Paradigmenwechsel des böllernden Rauschs im Kino der Jugend und Kino über Jugend wollen die feinen Tendenzen und Unterschiede dennoch benannt bleiben. Immer ein wenig smells like, nie vollkommener teen spirit.

Vgl. Robert Pfaller, Wofür es sich zu leben lohnt, Frankfurt am Main 2011, sowie ders., Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft, Frankfurt am Main 2008.

Bert Rebhandl, «Sofia Coppola: Ich bin niemand für die Regenbogenpresse», in: Der Standard, 10.8.2013, S. 23.

Sebastian Höglinger
*1983, studierte Film- & Medienwissenschaft in Wien. Seit 2009 Ko-Leitung‚ YOUKI – In­ternationales Jugend Medien Festival (gem. mit Peter Schernhuber). Katalogredaktion‚ Diagonale – Festival des österreichischen Films. Kuratorische Beratungen für Filmschauen und Festivalprogramme im In- und Ausland. Musiker und freier Textarbeiter. Lebt in Wien.
(Stand: 2016)
Peter Schernhuber
*1987, studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft sowie Zeitgeschichte in Wien. Seit 2009 Ko-Leitung Youki – Internationales Jugend Medien Festival (gem. mit Sebas­tian Höglinger). Mitarbeit bei diversen (Film-)Festivals (Diagonale – Festival des österreichischen Films, Crossing Europe u. a.), Journalist und Autor in den Bereichen Film, Popkultur, Design. Lebt in Wien.
(Stand: 2016)
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