BETTINA SPOERRI

SITTING NEXT TO ZOE (IVANA LALOVIC)

SELECTION CINEMA

Einen glaubwürdigen Film über und mit Jugendlichen zu drehen, ist kein einfaches Unterfangen. Oftmals leiden solche Projekte an wenig oder viel Absichtseifer, pädagogischem Sendungsbewusstsein oder Anbiederung. Die 1982 in Sarajevo geborene Filmautorin Ivana Lalovic hat bereits in ihrem ZHdK-Diplomfilm Ich träume nicht auf Deutsch (2008) bewiesen, dass sie filmische Geschichten erzählen kann, die sich abseits der Klischees bewegen und eine eigene Handschrift entwickeln. Ihr erster Kino-Langspielfilm Sitting Next to Zoe über zwei 15-Jährige, die an der Schwelle zum Erwachsenenleben stehen, verfügt denn auch über einen stimmigen und frechen Tonfall. Die Titelrolle Zoe hat Runa Greiner (geb. 1996, seit 2011 vor der Kamera stehend) inne, und sie ist schlicht eine Wucht mit ihrer Leinwandpräsenz, dem beträchtlichen Körperumfang, den sie selbstbewusst ausspielt, ihrem lustvollen Ausloten spielerischer Möglichkeiten.

Neben ihrer quirligen, extrovertierten Freundin droht die Türkin Asal (gespielt wird sie von der Schülerin Lea Bloch, die bisher in Werbespots zu sehen war) zuweilen erdrückt zu werden, wenn Zurückhaltung und strenge Erziehung auf Hemmungslosigkeit und Impulsivität treffen. Zoe und Asal, trotz (oder wegen) dieser Gegensätze beste Freundinnen, gleiten gemeinsam in die grossen Sommerferien, an deren Ende drohend viele Anforderungen warten: Wahl eines Berufs bzw. einer weiteren Ausbildung, Aufnahmeprüfungen, Bewerbungsgespräche. Wie in Anna Luifs Little Girl Blue (2003) ist die Handlung in Lalovics Film in einem Schweizer Agglomerationsgebiet (Spreitenbach) angesiedelt; die Kamera (Filip Zumbrunn) inszeniert die Treffen von Zoe und Asal in unwirtlichen Zonen (trost­lose Balkonlandschaften, Treppenhäuser, Wohn­silos, verbaute Flüsse, viel Beton) oder engen Wohnräumen.

Zoes unbändige Farbenlust, die sie in flippigen Make-up- und Mode-Ideen auslebt, sprengt aber das Grau und die Enge – und dies schlägt sich sowohl in der Bildsprache (grelle Farbenpracht, schnelle Schnitte, Nahaufnahmen, viele Perspektivenwechsel oder dann auch verklärende Bilder) wie auch im verspielten Artdesign nieder. Asals Verliebtheit in Kai (gespielt vom schwedischen Schauspieler Charlie Gustafsson) spiegelt sich in weichzeichnenden Blicken auf den Mann ihrer Träume; nah daneben steht die bunte, eigenwillige Welt Zoes, der Asal, zuerst schüchtern, dann immer kecker, als Modell für ihre Modeentwürfe – die in eine Bewerbungsmappe für eine Kunstschule münden – dient. Solidarität, Freundschaft, erwachende Sexualität, Verletzlichkeit, Eifersucht: Lalovic lässt Zoe und Asal eine breite Palette pubertärer Gefühlsstürme durchleben und sich von den Projektionen ihrer Eltern teilweise befreien. Dies alles präsentiert der Film in einer ansteckenden, munteren Frische – wenn man auch angesichts der emotionalen Turbulenzen froh ist, die Pubertät hinter sich zu wissen.

Bettina Spoerri
*1968, Dr. phil., studierte in Zürich, Berlin und Paris Germanistik, Philosophie, Theater- und Filmwissenschaften, danach Dozentin an Universitäten, der ETH, an der F&F. Begann 1998, als freie Filmkritikerin zu arbeiten und war Redaktorin (Film/Theater/Literatur) bei der NZZ. Mitglied Auswahlkommission FIFF 2010–12, Internat. Jury Fantoche 2013, mehrere Jahre VS-Mitglied der Filmjournalisten, Mitglied bei der Schweizer Filmakademie. Freie Schriftstellerin und Leiterin des Aargauer Literaturhauses. CINEMA-Redaktorin 2010–2017, heute Mitglied des CINEMA-Vorstands. www.seismograf.ch.
(Stand: 2021)
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