CHRISTOPH SIMON

HOW TO BECOME AN AMERICAN SCRIPTWRITER

ESSAY

Wäre es nicht erstaunlich? Als ich in New York ankomme, kann ich nicht mehr als eine Handvoll englische Phrasen. Aber in kurzer Zeit würde ich mich in einen gefragten Drehbuchautor verwandeln und hochkulturelle Filme für die amerikanischen Massen schreiben. Ich wäre noch keine vierzig Jahre alt, ausgezeichnet mit einem Oscar für das beste Drehbuch, Besitzer einer Loft in Brooklyn und einer Villa in Hollywood. So der Plan.

IcelandAir, Fensterplatz. Manhattan steigt vor mir auf wie ein Wal, in einer Rüstung aus Stahl und Glas. JFK International Airport. Mit dem Taxi hinein nach Manhattan. Ich frische mein Englisch auf.

«How do you do?», frage ich den Taxifahrer. «How much? How far? How much so far? How is the weather today?»

Ein fröhliches Geplapper, bis der Fahrer, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, die Hände vom Lenkrad nimmt, die Arme durch die Luft schwenkt, sich umdreht und mir eine unverständliche Antwort gibt.

Ich ziehe den Rollkoffer über den Rücken des Wals. Ein Künstler in Reykjavik hatte mir die Adresse in Manhattan gegeben. Die Adresse einer greisen Frau, der ein viel zu vielstöckiges Haus gehört. Die Wohnungen sind mietpreisgeschützt, sie vermietet die Räume zu horrenden Summen an europäische Institutionen, die Künstler nach New York schicken.

Es ist keine Greisin, die mich willkommen heisst. Vielmehr eine Dame im fortgeschrittenen Alter, mit einem Glas Champagner in der Hand. «Ja, ja, ich erinnere mich an den Anruf. Komm herein. Weisst du, ich konnte mich nie an euer Nationalgetränk gewöhnen. Kuhmilch.»

Ich wende mich meinem Notizbuch zu und notiere: Ich weigere mich, in ihrer Komödie aufzutreten. Stattdessen setze ich sie in meine.

Mrs. Zanolla führt mich durch das Apartment, ausgestattet mit Kühlschrank, TV und Aircondition. Ungleichmässig gestrichene Wände, verblasste Teppiche, Möbel von der Strasse. Ich fühle mich wie zuhause. Ein Schreibtisch – ich sehe ihn schon bedeckt mit Stapeln von beschriebenem Papier. Ein paar Stunden akklimatisieren, dann wird meine Hand den Stift übers Papier führen. Szenen für eine sowohl spektakuläre wie auch anspruchsvolle Mayflower-Verfilmung werden das Apartment überschwemmen. Szenen werden aus mir wachsen wie Fingernägel, noch einige Zeit nach meinem Tod.

Einer stetigen Diät amerikanischer Musik und Filme habe ich mein Englisch zu verdanken:

Go ahead, make my day.

May the Force be with you.

Get three coffins ready.

You complete me.

Glücklicherweise brauchen amerikanische Filme nicht viele Worte, damit man versteht, was vor sich geht.

Dennoch. Um mein Englisch zu stärken, gehe ich zum American Language Communication Center an der 36sten Strasse. Die Lehrerin begrüsst mich. «This is Chris. Say hello to Chris. Tell us, Chris. Bist du das erste Mal in New York?»

«Ja.»

«Wann bist du angekommen?»

«Heute.»

Die Kollegen senken ihre Köpfe, um besser zu verstehen, was ich sage.

«Was wirst du hier machen, in New York?»

«Ich will amerikanischer Schriftsteller werden.»

«So», sagt die Lehrerin mit einer freundlichen Stimme.

Nach fünf Lektionen kann ich genug Englisch, um auf Einkäufe in die Läden der Nachbarschaft geschickt zu werden. «Hole mir Zigaretten», sagt die Lehrerin, «und Cola und Sprite für die Studenten.»

Alle Welt schreibt Romane. Die Talentierten schreiben Filme.

EXT. BAGDAD. SERGEANT McINTRYE schaut in den Himmel. Das Mondlicht auf dem Tigris erinnert ihn an all das Blut, das er hier mit dem Töten Unschuldiger vergossen hat.

Ich weiss. Mein Agent wird mich mit schmalen Augen ansehen. Eine lange Pause wird entstehen. Nein, ich werde nicht auf Kunstfreiheit beharren. Werde ihn nicht einschüchtern mit düsteren Verwünschungen, wie sie die Dichter der Alten Welt an die Türen ihrer Verleger und Lektoren kleben. Ich werde es ihm leicht machen. Werde Ja sagen zu den Zwängen der Industrie.

«Liest du viel?», fragt Ivana, meine Englischlehrerin. Wir trinken einen Kaffee an der Stehbar.

«Nein.»

«Ich habe gehört, Schriftsteller müssten eine Menge lesen.»

«Ich will ‹Die Abenteuer von Huckleberry Finn› lesen. Hörte eine Menge gute Dinge darüber.»

«Du hast schon geschrieben?»

«Ein paar politische Gedichte über die Aufgaben und Pflichten des kleinsten Landes der Welt.»

«Wie willst du’s machen? Wie willst du in die Szene gelangen? Wen kontaktierst du? Die USA sind Vetternwirtschaft und Verbindungen. Du musst besser sein im Präsentieren deiner Sachen als im Schreiben. Du musst das Vertrauen behalten und den Elan, auch wenn du zurückgewiesen wirst oder vertröstet.»

«Erst muss ich schreiben. Dann sorge ich dafür, dass sie mir zuhören. Ivana, hör zu, wir kennen uns seit mehr als zwei Wochen, und ich finde dich eine supernette Person, und ich möchte dich als Gefährtin für den Rest meines Lebens. Wirst du mich heiraten?»

«Kirche, gemeinsame Wohnung, Kinder?»

«Separate Schlafzimmer.»

«Du willst die Green Card.»

«Ja.»

«Und was hätte ich davon?»

«Du tust das Richtige. Und wenn wir uns scheiden lassen, erhältst du die Hälfte der Millionen, die ich bis dahin verdient habe. Du bist eine nette Person und ...»

«Ich weiss, wer ich bin. Welche Kirche hast du dir vorgestellt?»

«Keine Ahnung. Die nächste.»

Aber Ivana will nicht heiraten. Sie hat eine siebenjährige Tochter. Sie will ihr keinen Künstler als Stiefvater zumuten.

Für mich heisst das: Nach drei Monaten mit dem Zug nach Kanada, um einen neuen Stempel in den Pass zu bekommen.

«Niemand schreibt mehr kreative Filme», sagt meine Vermieterin. «Filme sind Werbung in 3D.»

«Film ist das Abbild unseres Lebens. Ich sehe mich als positive Zugabe in einem verbesserungswürdigen Feld.»

«Wie willst du eine Familie ernähren? Wie willst du die Miete bezahlen?»

«Du musst dich fragen: Wurde das schon erzählt?», sagt Andy. Ein Mitglied des Vorstands der Creative Writing Association. «Die richtige Antwort ist immer: Ja. Also musst du es einfach in einer Art und Weise erzählen, wie’s noch nie vorher erzählt worden ist.»

Als ich ein paar Drehbücher vollendet habe, lasse ich die Agenturen wissen, was ich zu bieten habe.

«Lieber Mr. Weinberg», schreibe ich. «Wenn Sie mich fragen, könnte Ihre Klientenliste eine Bereicherung ertragen. Ich habe einen realistischen Actionfilm geschrieben. James Bond jagt den Bösewicht über den Bahnhofplatz. Dem Bösewicht gelingt es gerade noch, die Mehrfahrtenkarte zu stempeln und in den Vorortszug zu springen. Das Ganze kulminiert mit einer Schneeballschlacht am Whistler Mountain. Ich fühle, dass Ihre Agentur von der Zusammenarbeit mit mir gewinnen wird. Kann Ihre Antwort nicht erwarten, Chris.»

Keine Antwort. Ivana und Andy analysieren den Ton meines Briefes. Ich schreibe einen neuen.

«Lieber Mr. Robson. Ich bin Drehbuchautor und interessiert daran, dass Sie mich repräsentieren. Ich denke, Sie könnten sich zu meiner Arbeit hingezogen fühlen. Mein Film ist ein didaktisch wertvoller Indiana Jones. Jeden Morgen steigt Indiana Jones auf den Stuhl, um die Blumen auf dem Schrank zu giessen, bevor er rausgeht und ein paar Nazis ärgert. Auf dem Heimweg kauft er Vollmilch. Aber er stolpert über die Eingangsstufe, fällt flach auf den Spieltrieb-Stimulator seiner Katze und verblutet in einer Sauce aus Blut und Milch. Und wenn Kinder den Film sehen, dann lernen sie, Nazis ärgern ist schön und gut, aber man muss trotzdem achtgeben, wo man hintritt. Ich habe auch Material über Sportler mit Handicaps, Kinder mit tödlichen Krankheiten, Schauspielerinnen mit Trunksucht, Hausfrauen mit starken Trieben und kleine Helden, die das ungerechte System bekämpfen. Ich würde es begrüssen, wenn Sie mich als Ihren Klienten annehmen würden.»

Mr. Robson antwortet. Er will das Skript. Ich sende es ihm.

«Was, wenn er nicht anbeisst?», frage ich. «Was, wenn er sagt, er ist nicht gut genug? Oder zu gut, oder nicht zur richtigen Zeit oder nicht richtig für dieses Land?»

«Gib niemals auf», sagt Ivana. «Das Geheimnis heisst: Ausdauer. Keiner dieser Agenten kann wachsen und prosperieren ohne neues Material.»

Mr. Robson schickt eine Absage. Ich nehme das Telefon aus der Tasche, noch auf der Treppe tippe ich seine Nummer ein.

«Ach, diese Treppen! Entschuldigen Sie, nein, ich bin ganz ausser Atem, wann baut Mrs. Zanolla denn endlich einen Lift ein? Hören Sie, ich rufe an, weil Sie mein Skript ablehnen. Aber das Skript, das ich Ihnen zur Prüfung gesandt habe, heisst nicht so, wie Sie’s im Absagebrief erwähnen. Soll ich’s nochmals senden? Ist ihnen vielleicht eine Verwechslung unterlaufen. Ja, ich warte. – Wie gesagt, es geht um –. Ja. Sie haben mir einen Absagebrief zukommen lassen, aber da muss eine Verwechslung vorliegen, denn –.

Nein, es handelt von einem sechzehnjährigen Pickelgesicht, das dieser Schönheit begegnet. Sie arbeitet in einer Bar in Brooklyn. Eine Texanerin, aber er ist nicht misstrauisch gegen Südstaatler. Zwei Monate lang geht er nach der Schule hin und bestellt sich eine Cola nach der anderen. Er lebt auf Pump, seine Schwester hilft ihm aus, nun, er sitzt am Tresen und sagt: ‹Du bist viel zu schön für mich, aber jemand muss dein Freund sein.› Und zehn Jahre später verkauft er Kühlschränke und Toaster, und nach der dritten Stillzeit hängen ihr die Brüste bis zum Nabel herunter. Sie muss sie regelrecht aufrollen, damit sie in den Büstenhalter passen. ‹Ein viertes Kind?›, sagt sie ihm mit ruhiger Stimme. Und jetzt kommt ihr Oscar-Moment: ‹Wenn ich noch einmal schwanger werde, werde ich es mir höchstpersönlich mit einem Kleiderbügel abtreiben, wenn es sein muss.› Was? Das halten Sie für –? Aber Sie wissen ja gar nicht, wie’s weitergeht! Deprimierend?! Deprimierend! Da frage ich mich schon, ob ich mich in Ihrer Agentur vielleicht täusche? Deprimierend! Ein amerikanischer Schriftsteller hat dies geschrieben, vergessen Sie das nicht. Wäre der Schriftsteller aus Frankreich, dann würde man sagen: Es entwickelt sich deprimierenderweise alles deprimierend. Ehebruch, Fresssucht, Sodomie, Nymphomanie, Totschlag, Frigidität. Wir Amis entlassen das Paar in den Sonnenuntergang! Lassen Sie mich kurz von der Atemnot nach drei Stockwerken erholen. Hören Sie, ich bin noch immer bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich bringe die Überarbeitung vorbei, dann können Sie sich in Ruhe, wie wär’s heute Abend? Und Mittwoch? September, vielleicht? Okay, aber melden Sie sich! Das Skript könnte sonst weg sein.»

Nein. Ich lasse mich nicht entmutigen. Ich werde ein amerikanischer Schriftsteller. Ich werde the kind of man, der die Schönheit des Lichts bemerkt, das von einer Bierdose Pabst Blue Ribbon reflektiert wird. Der das ganze Universum in einem Long-Island-Sandkorn sieht. Der die spirituellen Ressourcen des Publikums freilegt. Ich werde ein amerikanischer Filmschriftsteller, und meine Stories werden offenbaren, wie ungewöhnlich das Gewöhnliche ist:

Bei einem Wasserleitungsbruch schliesst Clint Eastwood sofort den Haupthahn und ruft das zuständige Wasserversorgungsunternehmen an. Um einen Knopf anzunähen, fädelt Angelina Jolie einen Garnfaden in die Nadel, zieht ihn durch Mantel und Knopf und verknotet den Faden. Arnold Schwarzenegger verwendet für Konfitüre nur einwandfreie Früchte, die er gleich nach der Ernte einfriert. Julia Roberts beklebt Hühneraugen mit Hühneraugenpflaster. Sie nimmt Fussbäder und versucht, die aufgeweichte Hornschicht vorsichtig abzulösen. Versucht sich ein Ertrinkender an ihn zu klammern, taucht Leonardo DiCaprio ab und davon und nähert sich erst wieder, wenn sich das Opfer beruhigt hat. Sylvester Stallone, der Prämien sparen will, wählt einen höheren Selbstbehalt und übernimmt gewisse Risiken selbst.

Die schwierigsten Szenen werde ich selbst schreiben, den Rest der Arbeit delegiere ich an Teilzeitarbeiter. An ambitionierte Krankenschwestern und Sachbearbeiter, die ich in Creative-Writing-Kursen anwerbe.

Ich muss an die Westküste, um der Karriere den nötigen Schwung zu verleihen. Ich packe den Rucksack und steige am Bus Terminal in den Greyhound, um quer durchs Land zu fahren und in Los Angeles direkt mit den Produzenten zu verhandeln. Der Rucksack ist gefüllt mit Schlafmaske, Ohrenstöpsel, Thrombosestrümpfen, verstopfenden Medikamenten, Desinfektionsmitteln und einem Schachbrett mit Steckfiguren. Noch bevor ich abfahre, habe ich frohen Mutes die erste Seite für ein Roadmovie ins Notizbuch skizziert.

FADE IN: INT. Greyhound bus, moving.

Two travellers. IVANA is doing a crossword puzzle, IMMIGRANT is watching out of the window.

IMMIGRANT:

(voice over)

When I was a little boy, I thought that any movie was true. There were no such things as a bad script, an overlong movie, bad acting. And when I was confused or annoyed or when I didn’t get it, then that was just fine. When I was watching Apollo 13, I felt terribly sorry for the man called Houston. I used to think that people who were shot died for real. The director must pay them millions of dollars and let them live for a little while with big houses and fancy cars so they wouldn’t be sad when they had to die filming.

CLOSE SHOT IMMIGRANT

IMMIGRANT:

(to camera)

That’s what movies did to me. Swept me right off my feet. And left me lying on the floor. Felt awful good. Let’s get this feeling back!

IVANA:

Are you talking to me?

CAMERA PULLS BACK to disclose the rest of the people on the bus.

INSERTION TITLE: METAMORPHOSIS.

Christoph Simon
*1972. Lebt als freier Schriftsteller und Slam Poet in Bern. Zuletzt erschienen: Spaziergänger Zbinden (Roman) und Viel Gutes zum kleinen Preis (Sammelsurium). www.christophsimon.ch
(Stand: 2017)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]