DORIS SENN

WILD PLANTS (NICOLAS HUMBERT)

SELECTION CINEMA

In poetisch-meditativen Bildern verbindet Wild Plants drei geografisch auseinanderliegende Schauplätze, in denen Menschen in en­ger Verbundenheit mit der Natur leben. So in Detroit, wo ein junges Paar vor dem Hintergrund einer zerfallenden Stadt ‹Urban Gardening› betreibt und aus dem liebevoll bewirtschaf­teten Garten auch viel Lebenssinn schöpft. Oder der Zürcher ‹Guerilla Gardener› Maurice Maggi, der seit den Achtzigerjahren auf urbanen Brachnischen Blumensamen aussät und mit seinen ‹Blumengraffiti› der Stadt seither erfolgreich etwas natürliche Wildnis zurückgibt. Schliesslich das Ende der Siebzigerjahre in der Romandie gegründete Kollektiv ‹Jardins de Cocagne› (‹Schlaraffengärten›), das Feld und Acker nach biologischen Grundsätzen bebaut und nicht nur Produktion und Verbrauch enger miteinander verknüpft, sondern auch allgemein den bewussten Umgang mit Lebensmitteln fördern will.

‹Transform› ist dabei das zentrale Stichwort: der endlose Kreislauf von Tier- und Pflan­zenwelt ebenso wie die philosophische Reflexion über das menschliche Leben und Sterben. Humbert lässt uns eintauchen in eine assoziative Collage von faszinierenden, teils nur lose verbundenen Aufnahmen. Darin eingeschlossen immer wieder lange Einstellungen auf Naturszenarien – etwa die im Wind erbebenden Märzglöckchen, riesige Starenschwärme, die wechselvolle Gebilde in den Himmel zeichnen, oder ‹Leuchtsämchen›, die durchs Dunkel him­melwärts sausen.

In Bildern, die sich behutsam den Na­turaktivist/-innen annähern, verknüpft Wild Plants impressionistische Naturbilder und State­ments, zeigt Alltag und Arbeit, bringt Jahreszeiten und Schauplätze zum Tanzen. Und uns zum Nachdenken über unser Sein. Der experimentelle Dokumentarfilmer Ni­colas Humbert, der mit Werner Penzel unter anderem den Kult-Musikfilm, Step Across the Border (D/CH 1990), realisierte, widmet sich in seinem neusten Werk einem der zurzeit angesagtesten gesellschaftlichen Phänomene: der verstärkten Hinwendung des Menschen zur Na­tur in einer Zeit des Klimawandels – oder besser «Weltkollapses», wie kritischere Stimmen sagen – und der fortschreitenden Entfremdung in einer globalisierten Welt. Wer sich auf das teils ausschweifende Puzzle einlässt und sich gedanklich mitnehmen lässt, folgt damit zugleich dem Kernanliegen des Films, zu entschleunigen, die Natur zu zelebrieren und sich selbst als Teil eines grösseren Kosmos zu erfahren.

Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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