DOMINIC SCHMID

DENE WOS GUET GEIT (CYRIL SCHÄUBLIN)

SELECTION CINEMA

Es ist ziemlich kalt, das Bild, das Cyril Schäublin in Dene wos guet geit von der Schweiz entwirft. Amüsant ist es auch, auch oder gerade weil man sich selbst und die Eigenarten des Landes ein bisschen zu gut darin erkennt, um alles als zynische formale Spielerei abzutun. Schäublin präsentiert hier ein radikales Erstlingswerk, in dem sich die zwischenmenschliche Kommunikation auf den Austausch über optimale Handyverträge und Krankenkassentarife reduziert hat. Man steht an Zürcher Nicht-Orten, die durch konsequent desorientierende Kameraperspektiven unkenntlich gemacht werden, und redet aneinander zwar nicht vorbei, doch kommuniziert letztlich in einer Sprache, die jeglichen Sinn verloren hat. Für den Zuschauer kann das anstrengend sein – nicht zuletzt, weil ihm das Lachen über dieses Ad-absurdum-Führen der Schweizer Existenz mehr als einmal im Hals stecken bleibt. Doch Dene wos guet geit ist in seiner formalen Radikalität, für die es im jüngeren Schweizer Film nur wenige Beispiele gibt, grossartig.

Der Plot, wenn man ihn als solchen bezeichnen will, handelt von einer Call-Center-Mitarbeiterin, die sich mittels Enkeltrick ein kleines Vermögen ergaunert (das dann selbstverständlich zur Privatbank gebracht wird), mit psychologischen Taktiken, die sie sich beim Verkaufen von verschiedenen Verträgen und Abos angeeignet hat. Zwei Polizisten in Zivil, ständig mehr mit ihren Smartphones beschäftigt als mit den betagten Opfern der Betrügerin, kommen ihr auf die Schliche und legen ihr schliesslich das Handwerk. Schäublin versucht gar nicht erst Spannung zu erzeugen, sondern nutzt die verschiedenen Etappen des Betrugs und der Ermittlung, um filmisch jene Situationen und Dialoge herzuleiten, die man als symptomatisch für die aktuelle Situation der wohlstandsverwahrlosten Schweiz betrach­ten kann. Promotionsangebote, Netzabdeckung, Wi­fi-Passwörter und natürlich Kontostände – eben das, was die Leute beschäftigt. Jene, denen es – wie im Mani-Matter-Song – weniger gut geht, treten hier schon gar nicht mehr auf, sind unsichtbar geworden im konstanten Daten- und Shoppingrausch der modernen Dienstleistungsgesellschaft.

Schäublin hat in China und an der DFFB in Berlin studiert. Beides ist in Dene wos guet geit erkennbar: sowohl das chinesische Interesse an modernen, urbanen Topografien und deren Auswirkungen auf die menschliche Psyche als auch der kalte analytische Blick der Berliner Schule, wobei auch der trockene Humor der letzteren seinen Weg in den Film findet. Die eingeschränkten Mittel, mit denen der Film entstanden ist, werden wettgemacht durch seinen Formalismus, der bis zum Schluss konsequent durchgezogen wird, sowie durch den chirurgisch präzisen Blick auf eine absurde Realität, die hier vielleicht satirisch überhöht, nie aber bis zur Unkenntlichkeit verfremdet wird – im Gegenteil. Ein bisschen wie bei Mani Matter. Die Schweiz braucht mehr solche Filme.

Dominic Schmid
*1983. Studium der Filmwissenschaft, Japanologie, Politikwissenschaft und Philosophie in Lausanne, Zürich und Berlin. Dazu Kinooperateur und Videothekar. 2003–2009 Vorstandsmitglied und Präsidium der Filmgilde Biel. 2013–2015 Mitglied der CINEMA Redaktion. Filmkritiken für Filmbulletin, Filmexplorer und die CINEMA Séléction.
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]