SELINA HANGARTNER

ALMOST THERE (JACQUELINE ZÜND)

SELECTION CINEMA

Ein Wohnmobil steht verlassen in der Betonwüste, dazu sanfte Klänge. Die ersten Eindrücke in Jacqueline Zünds Almost There funk­tionieren bereits als Metapher für das Leben der Protagonisten, die nach Sinn suchen, dabei aber mit viel Einsamkeit konfrontiert sind. Die drei Lebensläufe, von denen Almost There erzählt, kennen einen gemeinsamen Nenner: Rastlosigkeit, und das in jenem Lebensabschnitt, der angeblich ‹Ruhestand› sein soll.

Bob hat sich für ein Leben im Wohnmobil entschieden, weit weg vom warmen, komfortablen Heim. Selber schätzt er sich ängstlich ein, aber die Suche nach letzten Abenteuern und die Trennung von seiner Freundin veranlassen ihn dazu, täglich mit seinem RV durch die USA zu touren, durch Wüsten zu fahren und auf einsamen Parkplätzen vor Walmarts zu übernachten. Während die atemberaubenden Landschaften des Westens an ihm vorbeiziehen, die ikonografisch die Fotografien eines Ed Ruscha in Erinnerung rufen, denkt er über die Gefahr von Einbrüchen und Bränden nach. Auf ebenso verlassenen Strassen findet sich Steve in Spanien wieder, wo er als Komiker in Frauenkleidern in einem Städtchen am Meer auftritt, das seine glanzvollen Tage schon lange hinter sich hat. Ob er wirklich geliebt wird von seinem Publikum oder ob dieses zu betrunken ist, um sich am nächsten Tag überhaupt an ihn zu erinnern, weiss er nicht. Nach 38 Jahren arbeiten in einem japanischen Unternehmen sehnt sich auch Yamada nach Veränderung und hat sich dazu entschieden, die Leere in seinem Leben mit Vorlesen für Kinder zu füllen. «All we have to do in our lives is creating new beginnings all the time», meint einer der Senioren.

Jacqueline Zünd hat mit Almost There ein stimmiges und würdevolles Porträt geschaffen. Sorgfältig komponierte Bilder und eine zurückhaltende, aber stimmungsvolle Filmmusik lassen den drei Protagonisten viel Raum, diesen Lebensmoment festzuhalten. Meist sind sie in statischer, nachdenklicher Pose aufgenommen, dazu ist jeweils ihr Voice-over zu hören, das Existenzialistisches erzählt. So sinniert Bob an einer Stelle: «People my age are falling over dead all the time. Heart attacks, cancer, whatever. If I want to do something, I should do it now.» Nur selten gesellen sich andere Menschen ins Bild, nur selten agieren die Protagonisten aktiv. Stattdessen beschäftigt sich Zünds Film mit Gedanken zur Einsamkeit, zum Wert des Lebens oder zur Angst vor dem Ende. Almost There ist durch und durch melancholisch, poetisch.

Selina Hangartner
Assistentin und Doktorandin
*1990, studierte Film-, Politik- und Publizistikwissenschaft. Als Assistentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin lehrt und arbeitet sie am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich. Derzeit schreibt sie eine Dissertation zum Thema Selbstinszenierungen des frühen Tonfilms.
(Stand: 2020)
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