KATJA ZELLWEGER

DES MOUTONS ET DES HOMMES (KARIM SAYAD)

SELECTION CINEMA

Widder strotzen nur so von sichtbaren Zeichen ihrer Kraft: Die männlichen Schafe tragen immense, gewundene Hörner und zwischen ihren Beinen baumeln riesige, mit Fell überzogene Hoden. Kein Wunder also, dass die Tiere wie Kampfhunde oder -hähne für Wettkämpfe genutzt werden.

Der erste Langspielfilm des Lausanner Dokumentarfilmers Karim Sayad, Des moutons et des hommes, handelt von solchen illegalen, aber in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Kämpfen in Algerien. Sayad begleitet zwei Protagonisten durch ihren Alltag rund um die Schafe, mit denen sie sogar ihre Banane und Kekse teilen. Zu sehen ist der 16-jährige Habib, der, statt Tierarzt zu werden, sich den Widder El Bouq gekauft hat, den er liebevoll schamponiert, spazieren führt und mit mehr Gehabe als Ernst trainiert. Der 42-jährige Samir ist Ramschverkäufer und Geschäftemacher mit Schafen, die er zum Kampf und zum muslimischen Opferschlachten verkauft. Dem Überlebenskünstler in der Djellaba entschlüpfen bittere Worte über das vom Bürgerkrieg traumatisierte Algerien, «das vor die Hunde geht». Im ärmeren Viertel an den Hängen Algiers werden überall solche mit Henna gefärbten Kampfwidder gehalten, mitten im Hochhaus oder hinter Wellblechzäunen am Strassenrand. Ihre Namen sind eine Kampfansage an sich: Vidal, Zidane, Turbo, Gladiator, Saddam, Hitler. Alles, was Potenz und Kraft verspricht, wird in dieser Welt genutzt, die nur so von männlichem Gehabe strotzt.

Sayad porträtiert mit diesem Film erneut eine – algerische – Männerdomäne, die stark vom Wettkampf, in Kombination mit dem Überlebenskampf, geprägt ist. In seinem erfolgreichen Kurzfilm Babour Casanova (2015) begleitete er zwei junge Mouloudia-Fussballfans durch ihren Arbeitsalltag, der sich um Dinars und das Fernziel Europa drehte. Des moutons et des hommes lebt von wunderschönen Stimmungsbildern, die teils zufällig, teils gewollt entstehen. Die vielen getragenen Fussballshirts von europäischen Klubs stehen für diese zufällige Potenz-Metaphorik. Auch Habib benutzt sie, wenn er eine Kampfaufforderung für Facebook filmt, in der er sich mit einem Widder vor einem Werbeschild mit Logos von Nike, Levi’s und Adidas positioniert. Bildhaft sind die Aufnahmen vom grossen Schafmarkt in der Wüste – bei Nacht und im Morgengrauen. Auf dem Rückweg fährt Samirs geladener Kleintiertransport schliesslich an einem Warnschild für Schafe vorbei. Solche Szenen brauchen keinen Kommentar. Auf diesen wird stringent verzichtet, was dem Gezeigten mehr Aussagekraft verschafft. So wird die Radioansprache des Präsidenten, worin er Stabilität predigt, gefolgt von einem militärischen Lied, das «Opfer für das Vaterland» glorifiziert, kommentarlos gezeigt, oder – ein weiterer wunderschöner Zufall – aus einem Auto, das den Schafen ausweicht, erklingt der Fluch «verrücktes Viertel».

Katja Zellweger
*1986, Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Bern, arbeitet als Redaktorin der Berner Kulturagenda, 2014–2017 als Produktionsleitung und Teil der Programmationsgruppe im Schlachthaus Theater Bern tätig, davor wissenschaftliche Mitarbeit im Robert Walser-Zentrum Bern, Co-Gründung des «Dislike. Magazin für Unmutsbekundung», einem Format, das die Mannigfaltigkeit von Kritik zelebriert. Filmkritiken für filmexplorer.ch, Filmbulletin und Cineman im Rahmen der Critics Academy Locarno, in Bern vor allem im Kino Rex anzutreffen.
(Stand: 2021)

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