JUSTINE BAUDET

L‘ÎLE AUX OISEAUX (SERGIO DA COSTA, MAYA KOSA)

SELECTION CINEMA

Nach Rio Corgo (2015) ist das Schweizer Filmemacher-Duo Sergio da Costa und Maya Kosa 2018 mit seinem zweiten Langfilm ans Locarno Film Festival zurückgekehrt. L’Île aux oiseaux folgt dem Genesungsprozess von Antonin, der nach einer langen Phase der Erschöpfung und der Isolation die Welt neu entdeckt – in einer Pflegestation für Wildvögel. «Was ist das für ein Geruch?», fragt der junge Mann, als er zum ersten Mal das Gehege betritt. «Das ist die Kacke, daran wirst du dich gewöhnen», erwidert Paul, der seit Langem dort arbeitet. Diese ersten Sätze charakterisieren den Film in seiner derben und schlichten Poesie ziemlich gut.

Antonins erster Auftrag konfrontiert uns mit der rauen Wirklichkeit der Tierwelt: Der junge Mann muss lernen, Ratten aufzuziehen und zu töten – als Fressen für die Vögel in seiner Obhut. Diese zugleich brutale und präzise Aufgabe ist im ornithologischen Zentrum von Genthod ein notwendiges Übel. Diese «Vogelinsel» in der Nähe des Genfer Flughafens ist ein Ort des Übergangs. Mit der Aussicht auf ein Anderswo können die Raubvögel hier landen und einen Zwischenhalt einlegen; ihre Schreie vermischen sich mit dem Dröhnen der Flugzeuge. Die grossen Volieren sind ein Ort der Erholung, wo man sich ebenso um verwundete Tiere wie um verletzte Seelen kümmert.

Der von seinem hektischen Lebenswandel geschwächte Antonin muss lernen, sich wieder an eine Welt zu gewöhnen, die keine Fehler erlaubt, und in ihr zu überleben – wie die traumatisierte Eule, die er aufpäppelt. Der langsame und meditative Rhythmus des Films trägt zu diesem Gefühl von Kontinuität zwischen Mensch und Tier bei. L’Île aux oiseaux ist, fern der bedrohlichen und ungastlichen Aussenwelt, eine untypische und beruhigende Zufluchtsstätte, in der Sergio da Costa – mit geschulterter Kamera – und Maya Kosa eine rührende Figur filmen und begleiten.

Während man darauf wartet, dass auch Antonin wieder flügge wird, wiegt man sich in den von den beiden Filmemachern sorgfältig ausgewählten Bildern und Klängen. Mit ihrem zweiten Langfilm, der ein ‹cinéma du réel› der Beobachtungen, Auseinandersetzungen und unerwarteten Überraschungen vertritt, wissen Sergio da Costa und Maya Kosa zu faszinieren und zu begeistern. L’Île aux oiseaux schildert, fern der allgemeinen Hektik, den langsamen und unnachgiebigen Rhythmus der Natur – der es ermöglicht, die Lebenslust wiederzufinden.

Justine Baudet
Née en 1993, Justine Baudet obtient un Bachelor en Cinéma/Cinéma du réel à la HEAD – Genève en 2014 et un Master en Histoire et esthétique du cinéma à l'UNIL – Lausanne en 2019. Elle travaille dans plusieurs festivals de cinéma, notamment au GIFF, au NIFFF et à Visions du Réel. Depuis 2017, elle est co-présidente de la Coopérative Audio-Visuelle d’Entraide "La CAVE" et, depuis 2019, elle est membre active au sein de l'association "Doc'it Yourself".
(Stand: 2021)
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