KATJA ZELLWEGER

GOLDEN AGE (BEAT OSWALD, SAMUEL WENIGER)

SELECTION CINEMA

Bermuda-Badehosen, Pool, tägliche Happy Hour, Ping Pong, Halloween-Partys, Bingo. Wäre da nicht die Holocaust-Erinnerungszeremonie, man würde eher an Spring Break denn an ein Altenheim denken. Doch der Frauenfelder Regisseur Beat Oswald hat in Florida genau ein solches porträtiert: das «Ritz Carlton für Alte».

Golden Age, erstmals gezeigt am Visions du Réel, portätiert die amerikanischen Babyboomer der Extraklasse im sorglosen Ruhestand. Sie leben laut Oswald «im goldenen Zeitalter des Lebenskonzeptes der Pensionierung». Wenn alles gut läuft, sind heute nämlich fünfundzwanzig Jahre ohne Arbeit, grössere Beschwerden und mit einer guten Rente möglich. Ein Szenario, das für die jetzt arbeitenden Generationen immer utopischer scheint. Doch mit der älteren Generation winken noch lukrative Geschäfte, wie Aussagen der Besitzer und einer Architektendelegation aus Japan bestätigen.

Oswald kommt ohne Alterspyramiden, soziologische Gutachten oder AHV-Prognosen aus; er interessiert sich für den status quo, Einwohner, Personal und Besitzer des Altenheims. Die Bilder und Aussagen aus den Interviews kommen ohne Kommentar aus. Oswald schöpft und spielt mit vielen Möglichkeiten des Dokumentarischen: In den Gruppeninterviews in Seidl-Manier, in denen auch mal nur die leeren Interviewräume zu sehen sind, hört man vieles zwischen den Zeilen heraus. Die fotografischen Raumaufnahmen zeigen karminrote, endlose Teppichgänge, zwischen goldenen Leuchtern und Beistelltischchen, die auf den frischgebohnerten Marmoroberflächen glänzen. Dann wird die Perspektive des Staubsaugers oder des Poolbodens eingenommen. Auch die Räumlichkeiten und teils bizarren Gepflogenheiten der Manager werden sichtbar gemacht. Was fehlt, sind Aufnahmen aus der Natur: Ruhestand findet ausnahmslos in klimatisierten Räumen statt. Der einzige dokumentierte Naturmoment scheitert an der Natur: Ein Ausflug wird wegen Regentropfen abgebrochen.

Verstärkend und gewinnbringend wirken dabei Musik und Ton, letztere vom Regisseur selbst verantwortet. Oswald hat schon in seinem letzten Kurzfilm Volksfest (2014) Bild und Tonebene zu einem Filmessay collagiert. In Golden Age kontrastiert er elektronische Clubmusik mit Alltagsszenen. Ansonsten dominiert der O-Ton, der einen lauten und schrillen Ruhestand in grossen Gemeinschaftsräumen mit Alleinunterhaltern zeigt. Aber auch beängstigende Stille in den Einzelwohnungen.

Katja Zellweger
*1986, Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Bern, arbeitet als Redaktorin der Berner Kulturagenda, 2014–2017 als Produktionsleitung und Teil der Programmationsgruppe im Schlachthaus Theater Bern tätig, davor wissenschaftliche Mitarbeit im Robert Walser-Zentrum Bern, Co-Gründung des «Dislike. Magazin für Unmutsbekundung», einem Format, das die Mannigfaltigkeit von Kritik zelebriert. Filmkritiken für filmexplorer.ch, Filmbulletin und Cineman im Rahmen der Critics Academy Locarno, in Bern vor allem im Kino Rex anzutreffen.
(Stand: 2021)

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