DORIS SENN

WET SAND (ELENE NAVERIANI)

Mit ihrem neusten Werk schwingt sich die georgische Elene Naveriani, die in Genf ihre Filmausbildung absolvierte, zu einem neuen Höhepunkt ihres Schaffens. Ein karg ausgestattetes Strand-Café namens Wet Sand steht dabei im Mittelpunkt, irgendwo an der georgischen Schwarzmeerküste, ausgerichtet auf die grau heranrollenden Wellen. Hier trifft sich das Dorf. Gastgeber ist Amnon – ihm zur Seite die junge Fleshka, auf deren Jacke «Follow Your Fucking Dreams» steht. Als spröde Aufforderung an sich selbst, endlich den Absprung zu schaffen aus diesem gottverlassenen Nest, wo alle alle kennen, und sie doch nur aneckt. Da durchbricht ein Todesfall das Dorf-Einerlei: Eliko, den die Bewohner als hochmütigen Aussenseiter brandmarken, hat sich erhängt. Alle glauben, den Grund zu kennen – bis die Enkelin, Moe, im Dorf auftaucht und auf ihrer Spurensuche immer mehr Verborgenes aufdeckt. Etwa die über zwanzig Jahre dauernde heimliche Liebesbeziehung zwischen Amnon und Eliko, aber auch die patriarchale Gewalt, die in den Familien herrscht, die Bigotterie.
 
Sublim gefilmt und erzählt, taucht Wet Sand wie Elene Naverianis bisherige Filme ein in die von repressiver Kirche und Homophobie dominierte Gesellschaft Georgiens, um hier eine Art Mystery Film mit einer feingesponnenen Liebesgeschichte – zwischen Moe und Fleshka – zu verknüpfen. Mit Wet Sand realisiert die 35-jährige Regisseurin ihren zweiten Spielfilm nach I'm Truly a Drop of Sun on Earth (CH/GE 2017), der sich, wie ihre vorherigen Titel, eher assoziativ-fragmentarisch entfaltete. In Wet Sand nun, dessen Drehbuch sie mit ihrem Bruder zusammen schrieb, findet Elene Naveriani zu einer klassischeren, aber auch zugänglicheren Form, die durch ihre Atmosphäre und ihre Visualität von Beginn weg in den Bann schlägt.
 
Mit der Kamerafrau Agnesh Pakozdki, mit der Naveriani alle ihre Filme realisierte, war vereinbart, die Story mit so wenigen Cuts wie möglich zu erzählen. So sind vor allem Totalen zu sehen und darin oft dieselben Örtlichkeiten – die Café-Terrasse, der Bar-Tresen, die Wohnung Elikos oder Fleshkas Zimmer. Darin spielen oft in sich geschlossene Szenen – mit einer Lakonie und einer Intensität, wie sie griechischen Tragödien eignet. Aus dem stimmigen Cast, den die Regisseurin teils aus Laien, teils aus Profidarstellern zusammenstellte, ragen sowohl Gia Agumava als schwuler Amnon (für den sich bezeichnenderweise kein Profischauspieler finden liess) und Bebe Sesitashvili als Moe heraus – für beide ist es das Schauspieldebüt. Mit Wet Sand bekräftigt Elene Naveriani ihr Können und fügt ihrer engagierten Filmografie ein weiteres emblematisches Werk hinzu.
Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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