THOMAS HUNZIKER

THE BEAUTY (PASCAL SCHELBLI)

Täuschung ist ein Konzept in der Natur, um Feinde zu irritieren. Ein Reizung des Publikums beabsichtigt auch Pascal Schelbli mit den Illusionen in seinem Animationsfilm Kurzfilm The Beauty. Die Kamera fängt unter der Meeresoberfläche Wesen ein, die sich graziös durch ihr Habitat bewegen. Doch anstatt um Fische und andere Meerestiere handelt es sich bei diesen seltsamen Gestalten um Kreaturen aus Kunststoff. Der Fischschwarm entpuppt sich als eine Ansammlung von Badesandalen, die Korallen bestehen aus Plastikbesteck und Trinkröhrchen, der Kugelfisch aus Verpackungsmaterial und die Muräne aus Autoreifen. Gegen Ende lässt sich die Kamera unter die Wasseroberfläche treiben, wo das Ausmass der Verschmutzung der Ozeane durch diesen Abfall aus Kunststoff ersichtlich wird.
 
Die Idee für den Film ist keineswegs neu. Solche Bilder sind bereits von den prägnanten Plakaten der Umweltschutzorganisation OceanCare bekannt. Auf ihnen soll der erschreckende Kontrast zwischen der natürlichen Schönheit der Meeresbewohner und dem ähnlich aussehenden Plastikabfall Aufmerksamkeit erzeugen. Das gleiche Ziel verfolgt Filmemacher Pascal Schelbli mit seinem Kurzfilm. Obschon der Einfall nicht neu ist, erscheint die Umsetzung umso faszinierender. Wie die Brüder Guillaume in Le renard et l'oisille (CH 2019) verwendet Schelbli für seine Animationen einen gefilmten Hintergrund, in den er die anmutigen Kreationen aus Plastik setzt. Mit einer verblüffenden Eleganz lässt er die animierten Abfälle durch diese Kulisse treiben.
 
Für zusätzliche Verstörung sorgen die von Charlie H. Gardner im Tonfall eines Werbefilms für Tauchferien gesprochenen Sätze. Es ist zwar nicht ganz klar, wie diese inhaltlich vagen Worthülsen genau zu deuten sind, doch der Zusammenhang lässt eine sarkastische Überhöhung der visuellen Reize vermuten: Man solle eintauchen und wenigstens für eine Weile vergessen. Das Plastik habe auch gute Seiten, denn es ist leicht, solid und lebensfähig. Das hört sich so an, als ob die Plastikindustrie die Vorzüge des unverwüstlichen Materials hervorheben möchte, das in den Ozeanen auch noch lange nach dem Absterben allen Lebens für eine dekorative Umgebung sorgen wird.
 
Für sein nachdenklich stimmendes Werk wurde Pascal Schelbli 2020 mit dem Student Academy Award der Academy of Motion Picture Arts and Sciences ausgezeichnet.
Thomas Hunziker
*1975, Studium der Filmwissenschaft, Anglistik und Geschichte an der Universität Zürich. Er arbeitet als Radiologiefachmann und betreibt das Filmtagebuch filmsprung.ch. Mit seiner Partnerin und zwei Kindern lebt er in Schaffhausen.
(Stand: 2021)

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