NOEMI DAUGAARD

SOUL OF A BEAST (LORENZ MERZ)

Mit seinem Coming-of-age-Film Soul of a Beast (CH 2021) reiht sich Lorenz Merz bildgewaltig in den genretypischen Reigen um jugendliche Triebe, Freiheitsdrang, Weltschmerz und der ersten Liebe ein. Der in seiner Charakterisierung recht typische Protagonist und Teenie-Vater Gabriel (Pablo Caprez) wohnt mit seiner Mutter und seinem Sohn im Kleinkindalter mitten an der Langstrasse und schwankt zwischen väterlichen Verpflichtungen und jugendlicher Torheit hin und her. Mit seinem besten Freund Joel (Tonatiu Radhzi) macht er die Langstrasse unsicher, bis er sich eines Abends im Meskalin-induzierten Drogenrausch im Zürcher Zoo in Joels Freundin Corey (Ella Rumpf) verliebt und dabei zahlreiche Wildtiere freilässt. Die Dreieckskonstellation endet im voraussehbaren Drama, aber auch darin, dass Gabriel sich (vielleicht?) endlich richtig mit seinem Leben auseinandersetzt. Zwischen Stadt und, realer sowie innerer, Wildnis kommt Gabriel an seine emotionalen Grenzen, muss sich stellen und über sich selbst hinauswachsen.
 
Was inhaltlich recht genretypisch daherkommt, vermag aus ästhetischer Sicht durchgehend zu überzeugen: Merz’ Stadt- und Naturbilder sind durchkomponiert, organisch und schmutzig und werden in vibrierenden Farben umgesetzt und von gekonnten Musik- und Tonkompositionen unterlegt. Merz führt uns in diesem Züri-Film quer durch die Stadt und ihre Umgebung und hält die Zuschauer_innen mit spannenden Rhythmuswechseln und interessanten Entscheiden, wie dem Sprachenwirrwarr zwischen Zürichdeutsch, japanischem Voice Over und aus unerklärlichen Gründen französischsprechenden Figuren, sowie ästhetischen Clashes zwischen Langstrasse und Goldküste und Stadt und Natur auf Trab. Während der Film auf ästhetischer und gestalterischer Ebene also sehr viele gute Qualitäten vorzuweisen hat, bleiben narrativ-dramaturgisch ein paar Störfaktoren. So eröffnet der Film zu Beginn zwar eine sehr spezifische (und relativ vorhersehbare) Erzählschiene und zieht diese auch bis fast zum Filmende durch, macht dann jedoch gegen Ende andere parallele Erzählstränge auf und verstrickt sich in seinen eigenen Wirrungen. Deshalb, und aufgrund von ein paar Längen, wirkt der Film ab einem gewissen Punkt leider etwas zu lang, hier hätten ein paar Entscheidungen getroffen werden müssen.
 
Nichtsdestotrotz vermag Lorenz Merz’ zweiter Langspielfilm nach Cherry Pie (2013) gut zu unterhalten und ästhetisch sowie atmosphärisch zu überzeugen. Am 74. Filmfestival Locarno, wo der Film als einziger Schweizer Beitrag im Internationalen Wettbewerb auftrat, erhielt er eine ‹Special Mention›. Ausserdem verlieh ihm die Ökumenische Filmjury des Festivals gar den Hauptpreis.
Noemi Daugaard
*1990, studierte in Zürich Filmwissenschaft, Anglistik und Kunstgeschichte. Sie ist Doktorandin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich und arbeitet in der Forschungsförderung.
(Stand: 2021)
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