CLEA WANNER

ÜBER WASSER (JELA HASLER)

Sich über Wasser halten, das ist auch für eine junge selbstbewusste Frau an einem schönen Sommertag in Zürich nicht einfach. Dies macht Jela Hasler in ihrem neuesten Kurzfilm zum Thema: die alltäglichen, vermeintlich belanglosen Aggressionen, denen Frau ausgesetzt ist. Die Story ist klar aufgebaut: In knapp zwölf Minuten wird ein ‹normaler› Tag aus der Erlebnisperspektive der Protagonistin erzählt. Eli beginnt den Morgen mit einer Abkühlung im Fluss, was sogleich ein Passant mit besserwisserischen und feindseligen Äusserungen kommentiert. Und so geht es weiter: Sei es bei der Arbeit, im Tram, auf dem Heimweg, die Frau erfährt ununterbrochen subtile Attacken, die in einer gefährlichen Begegnung kulminieren. Mit diesem dramatischen Aufbau entlarvt die Regisseurin geschickt die Verharmlosung der im Film vorangehenden Alltagsszenen und lädt das Publikum ein, das Gesehene neu zu reflektieren. Die Brisanz ist in Anbetracht des zeitaktuellen Geschehens unbestreitbar. Denn kurz vor der Premiere in Cannes (Semaine de la Critique) veröffentlichte die Stadt Zürich eine Studie zur sexuellen Belästigung im öffentlichen Raum – mit erschreckenden Resultaten.
 
Jela Hasler ist für ihr (film-)politisches Engagement und Denken bekannt. Dies kommt etwa als Mitglied in Filmkommissionen oder Vorständen (u.a. Pro short) zum Zuge und wird in ihrem künstlerischen Schaffen besonders deutlich: ob in ihrem preisgekrönten Dokumentarfilm The Meadow (CH 2015), der sich über das Motiv weidender Kühe mit dem Nahostkonflikt befasst, oder im Polit-Spot Ecopop (CH 2014), der mit viel Schmunzeln den Ex-Bachelor Vujo Gavrić die Volksinitiative kommentieren lässt.
 
Auch in Über Wasser ist die feministische Position klar formuliert. Doch so schonungslos die Ungleichheiten und Missstände benannt werden, so viel Empfindsamkeit zeigt Hasler für die leisen und flüchtigen Momente. Wie ihre Dokumentarfilme zeugt auch ihr fiktionales Kurzfilmdebut von Beobachtungsgabe – für Zwischenmenschliches sowie Stimmungen. Die Dialoge und Interaktionen, auf denen der Film aufbaut, fügen sich nahtlos in den Fluss des Alltags ein. Ein harmonisches Gesamtbild, das dem Drehbuch sowie dem Schauspiel von Sofia Eliane Borsani zu verdanken ist. Durch filigranes Mienenspiel und prägnante Körpersprache bringt sie den Frust zum Ausdruck, der sich vor der dröhnenden Soundkulisse allmählich auflädt. Presslufthammer, Hundegebell und das Zerschellen von Glasflaschen geben der nichtgreifbaren Bedrohung einen Ausdruck und lassen somit auch die Zuschauenden die Unausweichlichkeit spüren. Der Befreiungsschlag am Ende ist für Protagonistin und Publikum eine Erlösung im besten kinematographischen Sinne.
Clea Wanner
Lehrt und forscht als Assistentin für visuelle Medien am Slavischen Seminar der Universität Basel. Sie promovierte zum Thema «Der neue kinematographische Mensch. Körperästhetiken im frühen russischen Film». Forschungsschwerpunkte zur Performance- und Kinokultur des späten Zarenreichs, sowjetischen und jugoslawischen Filmgeschichte und zum osteuropäischen Gegenwartskino. Sie schreibt Filmkritiken, kuratiert Filmreihen und moderiert Regiegespräche.
(Stand: 2021)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]