NORA KEHLI

YOUTH TOPIA (DENNIS STORMER)

Die Eröffnungsmontage gibt bereits den Ton des Films an: In kunterbunten Bildern sieht man eine Gruppe Jugendlicher in trendigen Klamotten auf weiten Blumenfeldern tanzend, lachend, spielend zu feiern – und stets mit dem Handy in der Hand. Es sind Wanja, Greta, Sören, Maul und Leona, die ziellos durchs Leben laufen und ihr Peter-Pan-Syndrom in vollen Zügen ausleben. Sie machen nur das, worauf sie Bock haben, ohne Rücksicht auf Verluste: Sie lungern in der Scheune rum, machen Party, brechen aus Spass bei Leuten ein. Dabei wird jede noch so belanglose Tätigkeit mit dem Smartphone aufgezeichnet. Täglich müllen sie ihre sozialen Medien mit asozialen Inhalten zu. Damit versuchen die Taugenichtse den omnipräsenten Algorithmus zu umgehen, der einem angeblich den perfekten Traumjob ausrechnet. Doch Wanja verfällt dem Trend der Selbstverwirklichung und wird ‘erwachsen’. So prallen zwei entgegengesetzte Welten aufeinander: Die der planlosen Jugendlichen und die der pedantischen Erwachsenen.
 
Der Debütfilm von Dennis Stormer und Marisa Meier geht der grundsätzlichen Frage nach, was es bedeutet erwachsen zu sein. Im Film wird dies nicht etwa am Alter, sondern am Verhalten der Figuren festgemacht. Wanja und ihr Vater durchleben beispielsweise ein Freaky-Friday-Szenario und tauschen die Rollen: Während sie zur pflichtbewussten Erwachsenen heranwächst, wird er wiederum zum sturköpfigen Kind. Stormer und Meier wissen den Generationenkonflikt für sich zu nutzen und spielen die Jugendlichen und Erwachsenen gegeneinander aus. Dabei werden beide Parteien aufs Groteske zugespitzt: Während die verpeilten Jugendlichen lebensfrohe, sorgenfreie Wesen darstellen, wirken die pflichtbewussten Erwachsenen langweilig, trostlos und allein. So wird Wanja allmählich auch bewusst, dass der Pfad der Selbstverwirklichung ein sehr einsamer ist. Die Figurenzeichnung fällt somit bisweilen etwas überzeichnet aus. Dennoch strahlt das Ensemble um Wanja ein immenses Charisma aus, sodass man die Hallodris trotz ihres Unfugs doch irgendwie ins Herz schliessen muss. Formal wird mit übersättigten Farben, stetig wechselnden Bildformaten und wackelnden Handyaufnahmen gespielt. Unterlegt sind die zum Teil überladenen Bilder mit kühlen, betörenden Klängen des Electro Pop Soundtracks. Diese formalistischen Spielereien ermöglichen ein Eintauchen in eine cineastische Utopie.
 
Youth Topia lässt sich als zynischer Kommentar auf die heutige Selbstoptimierungskultur lesen, in der Effizienz als höchstes Gut angesehen wird. Dieser Selbstoptimierungswahn, der durch die allgegenwärtigen sozialen Medien angefeuert wird, und die daraus resultierende Egozentrik führen zu einem stark ausgeprägten Individualismus. Dagegen stehen die Langzeit-Jugendlichen für ein gemeinschaftliches Dasein, das den Erwachsenen abhanden gekommen scheint. So schaffen Stormer und Meier mit Youth Topia eine absurd komische Dystopie, die zahlreiche Parallelen zur heutigen Leistungsgesellschaft aufweist.
Nora Kehli
*1996 in Luxemburg, studiert Filmwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Zürich. Neben dem Studium als studentische Hilfskraft an der Online-Datenbank Timeline of Historical Film Colors tätig und für Online- und Printmedien Artikel über Film und Fernsehserien schreibend (maximumcinema.ch).
(Stand: 2022)
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