NORA KEHLI

DAS MADDOCK MANIFEST (DIMITRI STAPFER)

Ein leeres Theater, ein rätselhafter Anruf, ein fliegender Fisch und ein sprechender Hund – dies alles spinnen Dimitri Stapfer und Benjamin Burger zu einem mysteriösen Film mit autobiografischen Bezügen zusammen. Als Protagonist fungiert der Performance-Künstler Ben, der aufgrund einer Ausgangssperre sein Soloprogramm nicht auf den Theaterbrettern aufführen kann. Einsam und isoliert trägt er sein Stück nun vor leeren Sitzplätzen vor. Wie lange er bereits im Theater ausharrt, lässt sich nur spekulieren. Die unzähligen Videokassetten, mit denen er seine Solo Show aufzeichnet, lassen erraten, dass es sich bereits um eine längere Zeit handeln muss. Nebenbei macht er sich auf die Suche nach der perfekten Kombination von Wörtern.
 
Der von der Aussenwelt abgeschottete Künstler scheint dabei wahnsinnig zu werden, denn ihm passieren merkwürdige Dinge. Ihn erreicht etwa einen Anruf von einem Telefon ohne Wählscheibe; die Stimme am Apparat stellt sich mit dem Namen Enigma vor. Gemeinsam philosophieren beide über Kunst und ihre Aufgabe in der Gesellschaft, woraus sich teils unterhaltsame Dialoge ergeben. Eine weitere bizarre Begegnung bildet diejenige mit einer zoomorphen Gestalt, die zwar einen menschlichen Körper, aber einen Hundekopf besitzt. Mit der Hundefigur führt er ähnliche Gespräche wie mit Enigma – ohne allerdings zu bahnbrechenden Erkenntnissen zu gelangen. Zwischen diesen absurd-komischen, surrealistisch anmutenden Unterhaltungen kommt die Handlung teils schleppend voran. Die meiste Zeit verbringt Ben nämlich alleine.
 
Stapfer und Burger verdichten ihr Debüt zu einem streng aufs Wesentliche reduzierten Kammerspiel, das zum Grossteil im leeren Theater Roxy in Birsfelden spielt. Neben dem weitgehend schmucklosen Theaterinterieur, dient eine verlassene, mit Schnee überzogene Berglandlandschaft als Kulisse, die ebenfalls karg daherkommt. Auf den zweiten Blick lassen sich aber kleine Besonderheiten erkennen; etwa die Süsswaren, die an der Kinokasse verkauft werden und Namen tragen wie Singles oder Snikkers, obwohl sie aussehen wie bekannte Markenprodukte. Trotz dieser amüsanten Momente ist der Film insgesamt von einer düsteren Stimmung geprägt, die durch die menschenleere Szenerie, Bens nachdenklich stimmende Monologe sowie die minimal eingesetzte atmosphärische Musik erzeugt wird.
 
Das auf den Solothurner Filmtagen uraufgeführte Werk dokumentiert sowohl in allegorischer als auch in ganz konkreter Weise die innere Odyssee eines auf sich allein gestellten Künstlers, der sich mit der Frage auseinandersetzt, was Kunst sein soll. Heilung oder doch Zerstörung? Ausbruch oder Gefangensein? Eine klare Antwort gibt der Film nicht. Zugleich kann Das Maddock Manifest als Plädoyer für Kulturschaffende gelesen werden, die während der Pandemie weitgehend vernachlässigt wurden – so auch Burger, der sein gleichnamiges Theaterstück im März 2020 hätte vorführen sollen. Durch die Corona-bedingten Umstände konzipierte er das Stück kurzerhand zu einem Film um. Obwohl relativ schnell ersichtlich wird, dass es sich hierbei um die Adaption eines Bühnenwerks handelt, schafft es das Schweizer Duo mit einer schlichten Inszenierung geschickt das Gefühl existenzieller Verlassenheit filmisch festzuhalten.
Nora Kehli
*1996 in Luxemburg, studiert Filmwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Zürich. Neben dem Studium als studentische Hilfskraft an der Online-Datenbank Timeline of Historical Film Colors tätig und für Online- und Printmedien Artikel über Film und Fernsehserien schreibend (maximumcinema.ch).
(Stand: 2022)
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