THOMAS HUNZIKER

LA REINE DES RENARDS (MARINA ROSSET)

Wieso bloss streifen in der Nacht immer diese Füchse durch die Stadt? Dafür hat Filmemacherin Marina Rosset eine ebenso einleuchtende wie bezaubernde Erklärung gefunden. In ihrem kurzen Animationsfilm La reine des renards versucht eine Schar von Füchsen ihre traurige Königin aufzuheitern, indem sie in der Stadt weggeworfene Liebesbriefe suchen. Wenn sie sie eingesammelt haben, heisst es: entknüllen, glätten und parfümieren. Die schönsten Liebesbriefe klebt die Königin an die Baumstämme. Doch irgendwann hat die Königin genug von lockigen Haaren und breiten Schultern. Wo sind die Komplimente über pelzige Ohren und buschige Schwänze? Da lassen sich die Füchse etwas Neues einfallen.
 
Auf den ersten Blick wirkt La reine des renards wie ein süsser Zeichentrickfilm für Kinder. Doch schnell entpuppt sich diese Fabel als hintersinnige Erzählung über Liebe und Einsamkeit. So setzt sich die Königin zu Beginn stolz ihre Krone auf und nimmt ihren Platz auf dem Thron ein, während die übrigen Füchse kuschlig in einem Knäuel schlafen. Die Erzählerin (Stimme von Marina Rosset) erklärt daraufhin, dass die Königin ihre Position hat, weil sie die traurigste von allen Füchsen ist – oder vielleicht sei es auch umgekehrt. So durchbricht die Erzählerin immer wieder mit spitzen ironischen Bemerkungen die Handlung. Als die Königin gar weinerlich beklagt, dass nie jemand Briefe an sie schreibt, sehen wir die Liebesbriefe schreibenden Menschen genauso selbstmitleidig an ihren Schreibtischen sitzen und an ihrer Mutlosigkeit verzweifeln. Danach wird die Geschichte in eine neue Richtung gelenkt. Die Füchse entführen eine Frau, die nun endlich den perfekten Liebesbrief an die Königin schreiben soll. Doch so einfach ist das gar nicht. Die Liebesbriefe an den Baumstämmen sollen für Inspiration sorgen.
 
Die Parabel von Marina Rosset ist voller reizvollen und melancholischen Humors. Passend dazu sorgen die handgezeichneten Animationen für die entsprechende visuelle Stimmung. Eine reduzierte Farbpalette taucht die Hintergründe im Wald in ein verwunschenes Braun und in der Stadt in ein tristes Grau, aufgelockert durch das gelbliche Leuchten aus den Fenstern der verzweifelten Liebesbriefverfassern. Die Füchse erweckt Rosset mit wenigen Strichen zum Leben und lässt sie durch ein einheitliches Rostorange zwischendurch regelrecht ineinander verschmelzen. Vorzüglich abgerundet wird die emotionale Wirkung der Bilder durch die zarten Perkussions- und Saitenklänge von Rahel Zimmermann und die fein strukturierte Tonkulisse von Peter Bräker mit Vogelgezwitscher, Eulenschreien und allerlei anderen Geräuschen.
Thomas Hunziker
*1975, Studium der Filmwissenschaft, Anglistik und Geschichte an der Universität Zürich. Er arbeitet als Radiologiefachmann und betreibt das Filmtagebuch filmsprung.ch. Mit seiner Partnerin und zwei Kindern lebt er in Schaffhausen.
(Stand: 2021)

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