BENJAMIN EUGSTER

AZOR (ANDREAS FONTANA)

Wer ist Key Lamar? Der Name des vermissten Privatbankiers zieht sich wie ein Codewort für einen verschlossenen Banksafe durch den Film von Andreas Fontana. Hinter dem Namen steckt jedoch mehr als nur der Name des Partners von Yvan De Wiel (Fabrizion Rongione), der sich in Argentinien in Begleitung mit seiner Frau Ines (Stéphanie Cléau) auf die Spurensuche macht. Der Film öffnet mit einer statischen Aufnahme eines lachenden Bankers, in Anzug, Dreitagebart und langen Haaren, dessen Gesichtszüge sich langsam zur ernsten Mine wandeln. Dieses innere Bild von Key Lamar scheint den adretten und zurückhaltenden De Weil durch den ganzen Film als Schatten zu verfolgen. Durch die fünf Kapitel des Films wird ihm denn auch immer mehr bewusst, dass er nicht so einfach in die Fussstapfen seines abgetauchten Vorgängers treten kann, ohne gewisse moralische Kompromisse einzugehen.
 
Der Film ist im Argentinien der 1980er-Jahre situiert, kurz vor dem politischen Umsturz. Dennoch gelingt es dem Film, diesen politisch explosiven Kontext bewusst nur zu streifen in nicht weiter kommentierten Strassenkontrollen und einer allgemeinen Atmosphäre der Bedrohung: «Es ist unmöglich zu erraten, was im Land gerade abläuft» sinniert De Weil an einer Stelle, während sie sich wie in einer Parallelwelt, in der er sich mit seiner Partnerin ausdrücklich «wie in Europa» fühlt von Poolparty zu Hotel-Lobby bewegt. Denn neben seiner Suche nach Key Lamar ist es seine Hauptaufgabe, die Vermögen dessen Geschäftskund_innen sicherzustellen und im Interesse der Privatbank gut anzulegen. Begleitet wird das Ganze durch den geradezu unheimlichen Soundtrack von Xavier Lavorel und Etienne Curchod, dessen langsamen synthetischen Klänge mal die brütende Hitze und mal die instabile politische Lage als akustisches Memento ins Bewusstsein ruft.
 
Während die Intransparenz internationaler Geldgeschäfte zum Beispiel in Bettina Oberlis zweiteiligen Fernsehfilm Private Banking als grosse Enthüllung inszeniert wird, bleiben die Zuschauer_innen von Azor bis zum Schluss im Dunkeln über die genauen Verbindungen der Finanzangelegenheiten zum Regime. Der Film vermag es dadurch gekonnt mit den Rollenbild des zurückhaltenden Bankers zu spielen, indem er dessen Diskretion im historischen Kontext zwischen Skrupellosigkeit und Indifferenz schwanken lässt. Besonders erfrischend sind dabei die dargestellten Nuancen eines Generationenwandels im Reich der Vermögenden und Vermögendsverwaltenden: mal in der Form des Kunden, der sich enttäuscht über seine Söhne als Schwachköpfe enerviert, die nichts anderes als Spekulationen im Sinne haben, mal in der Form des Bankangestellten, der die Skrupellosigkeit seines Vorgängers im Verlauf des Filmes nahezu zu übertreffen scheint. «Du wirst hinkommen, wo Key nie war.» gesteht ihm seine Frau voller Stolz ein. Sein persönliches Geheimnis für diesen Erfolg steckt im Namen Azor. Aber darüber, was dies genau bedeutet, lässt sich besser schweigen.
 
Benjamin Eugster
*1987, hat an der Universität Zürich Populäre Kulturen, Filmwissenschaft und tschechische Literaturwissenschaft studiert. Seit 2017 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe Blended Learning an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Er hat zu partizipativen Medien, digitalem Wandel, DIY und audiovisuellen Remix-Praktiken publiziert.
(Stand: 2020)
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