ACHIM HÄTTICH

THÉO ET LES MÉTAMORPHOSES (DAMIEN ODOUL)

Der 27-jährige Théo, genannt To (Théo Kermel), hat Downsyndrom und lebt mit seinem Vater (Pierre Meunier) abgeschieden inmitten des Waldes, nachdem die von To idealisierte Mutter gestorben ist. Der Film öffnet mit einer längeren Szene, die ihn dabei zeigt, wie er in eine dunkle Höhle geht. Als die Geräusche von Geröll und Wasser stärker werden, tritt er seinen Rückzug an, oben herrscht Nebel. Hier setzt dann auch seine Stimme aus dem Off ein, die in reflektierender Absicht bis zum Filmende nicht abreisst und der mit der Zeit mühsam zu folgen ist. Dadurch können wir zwar an der Gedankenwelt von To teilhaben, aber das ist dennoch zu wenig, um sich ein differenziertes Bild von ihm zu machen, und so bleibt die Hauptfigur über weite Strecken eine skizzenhafte Figur.
 
Vergleichsweise spät erwähnt er das erste Mal sein Downsyndrom, gibt aber auch klar zu verstehen, dass er drauf scheisse, da er ein Samurai werden möchte. Vor allem will er sein eigenes Leben führen. To wird dadurch ambivalent gezeigt, bedient dabei aber zugleich auch einige Klischees von Downsyndrom. Zum einen mit exzessiven Besonderheiten, wie Fliegen totzuschlagen oder Milch in einem Zug leer zu trinken. Zum anderen wird sein Verhalten nicht nur als ungelenk und kindisch, sondern insbesondere aggressiv inszeniert. Es gibt Kämpfe, die der Abhärtung dienen, bis dahin, dass er einen Strick um seinen Hals und den des Vaters legt. Dieser mehr als symbolische Vatermord gipfelt darin, dass To die Einrichtung seines Zimmers und die Fotos seines Vaters verbrennt; ein Neuanfang steht an, ein radikaler Schnitt.
 
Eine besondere Rolle spielt im Film ein ungezwungener Umgang mit Sexualität. Zwar stellt sie ein wichtiges Thema im Alltag von Personen mit Downsyndrom dar, allerdings wird es allzu sehr als visuelle Skandalisierung strapaziert. Durch den ganzen Film gibt es sehr viel Nacktheit zu sehen. Wissend kommentiert To einen Porno: «technique méchanique, c’est n’est pas d’amour», erwähnt aber auch, dass bei Superhelden im Film nie Sex gezeigt wird. Auch in diesem Film wird der Koitus nicht gezeigt, sondern nur in komischer Weise simuliert. Dazu kann man zählen, als die sich als «impératrice» bezeichnende und Ratschläge gebende Schlangenfrau an seinem Penis zieht.
 
Der Film präsentiert insgesamt ein wirres Geflecht, mit dem die Fabulierlust samt einer manchmal kindischen, manchmal exponierenden Verspieltheit etwas durchgeht. Leider tut dies der insgesamt relativ unzusammenhängenden Geschichte nicht gut. Die eingestreuten sozial- oder religionskritischen Gedanken kommen dabei ebenso wenig zu einem Gesamtbild zusammen wie die unzähligen Analogien im wilden Tierreich des Waldes – von Bob Marleys Reinkarnation als Hund bis zu Tos Auftritt im Bärenkostüm. Zu guter Letzt gibt es im Film sogar Subversives wie «Dieu n’existe pas», dass nicht Jesus, sondern sein Zwillingsbruder auferstanden sei, und dass man mit Geld immer eine Lösung finde. Zumindest solche Aussagen tragen zum Nachdenken bei, eine Metamorphose der besonderen Art.
Achim Hättich
*1957, Dr. phil., studierte in Trier und Zürich Klinische Psychologie, Sozialpädagogik und Sozialpsychologie. Dozent und Projektleiter an Universität Duisburg, Universität Marburg, Universität Zürich, der HfH und ZHAW. Autor zahlreicher Bücher und Artikel über Film. Jury ZFF 2010 und Filmfest Schwerin 2015. Leitung des Filmzirkels, mehrere Jahre VSMitglied von Cineducation und Zürich für den Film.
(Stand: 2022)
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