JEAN PERRET

FOLLOW THE WATER (PAULINE JULIER, CLÉMENT POSTEC)

Die Atacama-Wüste ist ein Universum für sich, schwebend zwischen dem extrem trockenen Land und dem Himmel mit seiner nicht minder beeindruckenden, nächtlichen Helligkeit. Diese endlosen Gebiete erforderten mindestens drei Leinwände, um ihre Weite annähernd erfassen zu können. Pauline Julier und Clément Postec bemühen sich, die dort stattfindenden Ereignisse sowohl mit der Fantasie eines Spielfilms als auch mit der Präzision eines dokumentarfilmischen Gestus wiederzugeben. Die Herausforderungen sind sowohl bedeutend als auch komplex, die dieser visionäre Essay in einer fragmentierten Erzählung ausarbeitet, die zugleich das Ziel verfolgt, die Grundlagen für eine ganzheitliche Betrachtung zu schaffen. Die Wüste beherbergt eine riesige Saline, die grösste Chiles, in deren Tiefen sich Lithiumvorkommen befinden. Dieses Lithium soll «Stimmungen stabilisieren» und wird aus einer Sole extrahiert und an die Erdoberfläche gepumpt, damit es verdampfen kann.
 
Die enormen wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen sind gleichzeitig Gegenstand von besorgten und alarmierenden Berichten, wie von Werbung und Verkaufsförderung. Die Leiterin einer achtjährigen Organisation, die sich für sauberes Wasser einsetzt, spricht mit ruhiger Stimme im Schein einer Kerze über den Wert des Wassers, dieses lebendigen Körpers, der nicht von Erde, Luft oder Feuer zu trennen ist.
 
Die dynamischen und sich verändernden Wechselbeziehungen zwischen den drei Leinwänden erzeugen manchmal ein einziges, sehr breites Bild, dessen magische Montage in der Ferne Lastwagen erscheinen und wieder verschwinden lässt. Aus der Nähe wird die nächtliche Begegnung mit einem Mann nuanciert ausgeleuchtet. Diese rätselhafte bionische Figur erwacht zum Leben und erklärt, wie eng ihre Bewegungen mit denen von Curiosity, einem weiblichen Roboter, der angeblich bald auf dem Mars landen soll, gekoppelt sind. Denn in diesem Film geht es auch sehr ernsthaft um die Eroberung des Mars. Ein Programm der NASA, das seit den Neunzigerjahren unter dem Titel «Follow the Water» läuft, hat die Wüste zu einem Übungsgelände gemacht, um die zukünftige Erforschung des Planeten zu simulieren. Am Ende dieses bewusst diffrakten Verlaufs gibt der Film einem italienischen Liebeslied Raum, das ein einsamer Forscher im Halbdunkel der riesigen Wüste vor sich hin summt. Die Überraschung ist bewegende dichterische Freiheit!
 
Schliesslich wäre es ein grosser Fehler, während des Abspanns den Sitz zu verlassen, denn man würde verpassen, was danach kommt, nämlich die realistisch denkbare Marslandung. Davon sieht man aber nichts, die Kamera ist auf dem Boden des Planeten abgestürzt.
 
Aus dem Französischen von Simone Grüninger
Jean Perret
Jean Perret, geboren 1952 in Paris, in Genf etabliert, ist als Autor von zahlreichen Publikationen bekannt, gibt Seminare und Kurse sowohl in der Schweiz wie im Ausland über Semiotik, Ästhetik, Gesellschaft und "cinéma et photographie du réel". Leitet 16 Jahre das Festival „Visions du Réel“ in Nyon, dann ab 2010 das Département Cinéma / cinéma du réel in der Haute École d'Art et de Design in Genf. Heute Mitglied der Redaktionen der online Filmzeitschrift www.filmexplorer.ch und des Kulturmagazins La Couleur des Jours (www.lacouleurdesjours.ch ).
(Stand: 2019)
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