MATTIA LENTO

JELMOLI – BIOGRAFIE EINES WARENHAUSES

Jelmoli ist ein Name, der für Qualität und Tradition im Schweizer Einzelhandel steht. In ihrem Dokumentarfilm beleuchtet Sabine Gisiger die Geschichte dieses ikonischen Kaufhauses, das einst für Fortschritt stand und nun (Februar 2025) vor dem Aus steht. Der Film verwebt Archivaufnahmen mit persönlichen Erinnerungen ehemaliger Mitarbeitenden zu einem facettenreichen Porträt.

Das Warenhaus Jelmoli wurde 1899 in Zürich vom italienischen Juden Giovanni Pietro Guglielmoli (später Hans Peter Jelmoli) gegründet und entwickelte sich schnell zu einem Symbol für modernen Konsum. Es revolutionierte den Einzelhandel mit Festpreisen und Heimlieferungen, zog ein wohlhabendes Publikum an und wurde zur festen Grösse im Stadtbild. Doch nicht alle sahen diese Entwicklung positiv: In den 1930er-Jahren war Jelmoli Ziel antisemitischer Kampagnen, angeführt von lokalen Händlern, die sich von den grossen Kaufhäusern bedroht fühlten. Die Familie Jelmoli war so gezwungen, die Firma zu verkaufen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg florierte das Unternehmen weiter und wuchs in den 1980er-Jahren zur landesweiten Kette mit über 5.000 Mitarbeitenden. Heute steht das Hauptgeschäft an der Zürcher Bahnhofstrasse vor der endgültigen Schliessung. 

Gisiger wählt für ihren Film einen klassischen dokumentarischen Ansatz, der auf intensive Recherche und umfangreiche Archivmaterialien setzt. Dem Film reüssiert darin, die starke Verbindung zwischen Kino und Einkaufszentren im 20. Jahrhundert ans Licht zu bringen. Beide Dispositive haben in der Tat mit dem Sehen, der Inszenierung, dem Konsum, dem Wunsch, dem Imaginären und mit der Unterhaltung zu tun. In diesem Sinne ist die Wahl der Materialien bewundernswert. Die Bildgestaltung setzt auf eine Mischung aus nostalgischen Rückblicken und nüchternen, aktuellen Aufnahmen des fast leerstehenden Gebäudes. Diese visuelle Gegenüberstellung macht den Wandel und Niedergang des einst florierenden Kaufhauses besonders greifbar.

Ein weiteres starkes Element des Films ist seine kritische Reflexion über die Verbindung zwischen Konsum und Kolonialismus. Jelmoli, wie viele europäische Kaufhäuser, nutzte exotisierende Darstellungen, um importierte Waren attraktiver zu machen. Gisiger zeigt, wie diese Ästhetik Teil einer kolonialen Denkweise war, die bis heute nachwirkt. Mit diesem Film gelingt es ihr, Nostalgie und Analyse geschickt zu verbinden. Sie zeigt, wie sich Konsum, Architektur und gesellschaftliche Werte über Jahrzehnte verändert haben – und welche Spuren ein traditionsreiches Kaufhaus in der kollektiven Erinnerung hinterlässt. 

Der Film hat im Rahmen der Kaufhaus-Filmreihe im Filmpodium im November 2024 Weltpremiere gefeiert.

Mattia Lento
*1984 in Italien, Promotion über La scoperta dell’attore cinematografico (Pisa 2017), zurzeit Gastforscher und Dozent an der Universität Innsbruck mit einem Stipendium des Schweizer National Fonds. Forschungsschwerpunkte: Frühes Kino/Europäischer Stummfilm/Filmschauspielerei/Film und Migration/Film und Politik/Filmkultur in der Schweiz. Freier Journalist bei RSI und filmexplorer.ch.
(Stand: 2021)
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