BRUNO JAEGGI

EN ROUTE VERS LA TERRE PROMISE — ZU ALAIN TANNERS JONAS - QUI AURA 25 ANS EN TAN 2000

CH-FENSTER

1966 fragte sich, ebenfalls nach einem filmischen Meilenstein (Godards), ein Kritiker: «Wie kritisiert man ein Feuerwerk?» Vor Alain Tanners Jonas nun hätte man sich analog dazu zu fragen: «Wie kritisiert man eine Wundertüte?» Denn es hat längst die Runde gemacht: Dieser Film ist die Summe aller bisheriger Spielfilme Alain Tanners. Eine Summe aber nicht im Sinn einer Kollektion oder blossen Addierung (obwohl der Begriff «Wundertüte» von Tanner selbst stammt): Tanner steigt in Jonas bis zu Charles mort ou vif? zurück, um etwas Neues zu schaffen. Das ganzheitliche Denken, das Jonas charakterisiert, umschliesst Tanners ganzes bisheriges Schaffen.

Mit jedem Werk geht Tanner einen Schritt weiter. So wenig diese Schritte auch voraussehbar sind: Im Nachhinein überzeugen sie durch ihre Folgerichtigkeit und Reflektiertheit. Zuschauer und Kritiker werden dadurch herausgefordert: Auch sie müssen einen Schritt machen. Schon deshalb läuft hier orthodoxe Kritik leer. Was mich daher mehr interessiert, das ist die Ganzheit Alain Tanners in seinem Gesamtschaffen und in Jonas, die an die Vollkommenheit grenzende Vielfalt, die weitergesponnenen oder eine andere Richtung einschlagenden Fäden, die Fähigkeit eines Poeten, realistisch zu sein, und das Vermögen eines politischen Pessimisten, ideologisch (Lebens-)Mut zu machen.

Um diesen Mut für den Alltag und die Zukunft ringen in Jonas acht Menschen: gleichberechtigte Figuren, die — ob einsam oder nur im Kontakt mit den andern möglich, ob pessimistisch oder vital — durchaus innerhalb der Gesellschaft bleiben. Das abgelegene Bauernhaus, in dem sie sich finden, wird zum eigentlichen Maquis eines Partisanenkampfs: Nicht die hoffnungslos-verbissene Konfrontation mit dem herrschenden System wird hier gesucht, sondern die praktizierte Absage und Veränderung vom verbleibenden Spielraum aus, der Kampf um die eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen — und für die Zukunft. Eine Geschichte im herkömmlichen Sinn gibt es dabei nicht. Seit jeher sind Tanners Figuren Allegorien, Metaphern, wenn auch durch und durch fühlbare Menschen. Und mehr und mehr hat Tanner nicht nur das Romaneske, sondern auch die Linearität, die Story und deren traditionelle Dramaturgie zerstört: Wie Godard, der den Umbruch erkannte, führt auch Tanner seine Geschichten nur zu jenem Punkt, wo er sie auflösen oder in Neues umformen kann. An die Stelle einer autonomen Story tritt die Wirklichkeit des autonomen Films: der Austausch künstlerisch geschaffener Einzelteile (in denen sich durchaus Realität spiegelt), deren vielfältige assoziative Interdependenz sowie das Zusammenwirken aller gestalterischer Mittel, um sich der Realität zu nähern und um gleichzeitig über sie hinauszugehen. Zeigte Tanner in La Salamandre, wie die Vision der Wirklichkeit vorauseilen kann, so nimmt gerade etwa der vorsichtige Optimismus, der Mut von Jonas seine plausible Gestalt zunächst im Film an, und erst dann überträgt sie der Zuschauer auf seine eigene «reale» Welt. Was der Zuschauer zuerst einmal als Ganzes fühlt, das ist der ungebrochene Kampfwille in einer Welt, die nach Veränderung dürstet, das ist ein jeder peinlichen Grundsatzerklärung bares Engagement, das selbst jener praktiziert (Max), der seit Mai 1968 desillusioniert, ja fast selbstzerstörerisch wirkt. Die acht Menschen von Jonas werden so zum Teil einer unaufhaltbaren Kraft: Sie tauchen auf wie Rinnsale, wie Bächlein, Quellen, elementare Wasserläufe, die nichts voneinander wissen und dann, nach und nach, zusammenfliessen, zum Strom werden der Geschichte, der Jahrhundertwende: der Wende überhaupt, die ein ungeheurer Zukunftsdrang und eine unbeugsame Vitalität erwirken. Da agieren keine selbstgerecht-aufgeklärten Helden, keine militanten Führer, sondern Menschen, die völlig unbewusst Propheten dieser Zeitwende sind, die gemeinsam, jeder an seinem Platz und jeder auf seine Weise, die Veränderung, den Bruch praktizieren: Figuren die auf dieser Fahrt nun einmal wirklich «im gleichen Boot» sitzen, Figuren aber auch, die wiederum ganz und gar voneinander verschieden sind und die permanente Revolution leben. (Worin sich zeigen dürfte, bis zu welchem Punkt man die Namensgebung der acht Figuren zu ihrem Nennwert nehmen darf, beginnen doch alle mit «Ma...».) Diese Figuren ergänzen sich gegenseitig; sie formen den Mikrokosmos der Gesellschaft, die für ein neues Morgen (Jonas) lebt; sie lassen die Unausweichlichkeit des Umbruchs fühlen, der sich wie eine kosmische Kraft ankündet.

Ideologie als Waffe

Bisher hat sich Alain Tanner, jedenfalls bei flüchtiger Betrachtung, als Pessimist ausgewiesen. Charles mort ou vif? war ein Echo auf die Ereignisse vom Mai 68. Da rebelliert ein Fünfzigjähriger gegen den sterilen Komfort des helvetischen Alltags. Er spielt nur den Verrückten (er ist es zweifellos nicht), doch er wird vom herrschenden System gepackt. Die Frage nach den echten Bedürfnissen des Menschen, die auch in Jonas mitschwingt, wird hier erstmals gestellt und — zusammen mit der spontanen Revolte — in La Salamandre variiert. Aber gerade die Rosemonde von La Salamandre weckt kaum Zukunftshoffnungen. Jonas erinnert zwar an ihren entscheidenden Schritt: an das entdeckte Bewusstsein, dass es Vergangenheit, Geschichte gibt und dass erst deren Integration auch Zukunft möglich macht. Bricht mit Charles jahrzehntelanges Schweigen und Sich-Fügen auf, so gewinnt Rosemonde durch das jäh geschmolzene Eis ihrer Vergangenheit Bewusstsein über die Motivation ihrer ersten Revolte. Sehr schön gelingt diese Anmerkung auf den Sinn der Geschichte in Jonas unter anderem dort, wo Marco seine Schüler nach den Fragen beurteilt, die sie, hier und jetzt, einer Grenzgängerin (Marie) stellen.

Man erinnert sich auch an anderes. Etwa an das «Ende» von Charles, an das ideologische Zitat: «Wer zuletzt lacht, lacht am besten». Denn am Schluss von Jonas lacht Jonas tatsächlich! Man erinnert sich vielleicht auch an den ursprünglichen, bitter-ironisch gemeinten Titel von La Salamandre: «En route vers la terre promise» — Jonas macht sich tatsächlich auf nach diesem «versprochenen» Land. Aber Tanner hatte 1971 dennoch Recht, wenn er in La Salamandre alles andere als einen optimistischen Film sah: «Die gegenwärtige Situation erlaubt es nicht.» Und insbesondere in Komödie, Ironie und Humor erkannte Tanner «den Beweis für meine eigene Ohnmacht als politischer Mensch gegenüber der herrschenden Realität. Man sitzt in einem völligen Loch. Man hat nicht einmal die politischen Waffen».

In Le Retour d’Afrique handelt das Paar zwar, es entschliesst sich, ein Kind zur Welt zu bringen: Aber das erscheint doch wie ein falscher Trost, als ein Pyrrhus-Sieg gegen eine Macht, die jede Zukunft raubt. Die Verbannung Adrianas (Le Milieu du Monde) schliesslich in die Beton-Kälte eines germanisch-alemannischen Kreises, die Alternativlosigkeit eines Menschen, der seine Ganzheit verteidigt, wirkt auch nicht sehr zuversichtlich. Immerhin: Ihre ungebrochene Erwartung ist eine Allegorie, die nicht von der nunmehr konkretisierten, bewussteren Erwartung der Jonas-Figuren zu trennen ist.

Aber die Frage, woher dieser Optimismus von Jonas kommt, ist immer noch nicht beantwortet. Natürlich sagte der Dialektiker Tanner schon vor Jahren, dass echter Pessimismus zu praktiziertem Optimismus zwinge. Dennoch liegt kein aus dem Widerspruch allein begründbarer Zweck-Optimismus vor. Tanners Filme waren nie eigentlich politische, sondern stets ideologische Filme. Er zeigte Möglichkeiten zur Veränderung ohne die politischen Parteien an, als Kraft der Gegenkultur, aber doch innerhalb der bestehenden politisch-gesellschaftlichen Felder. Die «politischen Waffen», deren Absenz Tanner 1971 beklagte, braucht es zum politischen Wandel jetzt nicht mehr. Es braucht die vertausendfachte Revolte von Charles, den wiederholten Ausbruch aus dem eisigen Kessel Helvetiens im Stil von Rosemonde, Pierre und Paul, die Kraft zur Konfrontation hier und jetzt von Le Retour, die Fähigkeit Adrianas, Resistenz und Ganzheit zu verteidigen. Das alles führt Tanner in Jonas zusammen: und damit die Aspekte seines eigenen Standpunkts, mit allen Widersprüchen, Fragen, Zügen zu Pessimismus und Zuversicht — so wie bereits die drei Figuren von La Salamandre verschiedene Facetten von Tanner selbst spiegelten. Daher sind, bei allem Optimismus, die dunklen Momente von Jonas kaum zu übersehen; auch die Tränen von Marco, Max und Mathieu rühren wohl nicht bloss vom Zwiebelschneiden her... Und die Kamera kommentiert, als eigenständige Person, mehr als eine Sequenz mit einem dunklen, fragenden Blick.

Zuschauer, Individuum, Gesellschaft

Gerade in der geistigen und formalen Sichtbarmachung dieser Facetten und Widersprüche im Film findet der Zuschauer die Herausforderung, die ihn zwingt, mit Tanner selbst durch den Film, durch die vielfältigen Schichten und Entwürfe von Geschehnissen zu gehen, zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, Zuwendung und Distanz. Wobei bei Tanner Vision oder Traum (schwarzweiss) wiederum keineswegs unwirklicher sein müssen als die Realität selbst. Denn ganz abgesehen davon, dass in Jonas das eine mit dem andern verkettet ist, dass oft sogar das eine ganz konkret ins andere überführt, schlägt Tanner seit jeher diese Haken um die Realität herum, damit er nachher umso stärker auf diese in ihrer Vielschichtigkeit und in ihrem Zusammenhang aufgebrochene Realität zurückkommen kann. Musik, Kamera, Traum, Dekor, Montage, Schnitt, Widerspruch zwischen Figuren und Dialog, zwischen Gezeigtem und Gesagtem und mitunter auch falsche Spuren verraten das Ziel, den Zuschauer von der ersten Ebene der Realität zu befreien: Erst die Ganzheit von Distanz, Vision und Realität gibt die vollständige Sicht auf die umfassende, transparente Wirklichkeit frei. So wie Tanner schon frühzeitig daran ging, «alles und so auch die Beziehungen der Menschen untereinander neu zu erfinden» (Charles), fand er auch neue künstlerische und kommunikative Formen, um Kontakt und Aufmerksamkeit des Zuschauers herzustellen. In Le Retour d’Afrique arbeitete er nicht nur so mit der Kamera {wie mit einem Radiergummi), dass er das Direkte wegwischen und eine Spannung zwischen Bild und Sprache und Zuschauer schaffen konnte: Hier wurde auch deutlich, wie Tanner seinen Stoff umkreist, das Eigengewicht der Materie erkennbar macht und gleichzeitig aufzuheben versucht, wie er sich dieser Materie nähert, in ihre verborgenen Ritzen eindringt und dann immer wieder, seinem introspektiven, dialektischen Zug folgend, Distanz nimmt. In Le Milieu führte er diese Haken um die Realität zu einem «cinéma de rupture»: mit Brüchen in Ton, Zeitablauf, in einer Aufteilung in Fragmente, was nun auch in Jonas seine vertiefte und variierte Fortsetzung findet. Und erneut sind Kommentar und Zitat — hier von Rousseau — Fixpunkte: Hilfsmittel, die der Zuschauer gebrauchen kann.

Sonst aber wird der Zuschauer mehr denn je auf seine eigenen Beine gestellt. Gerade in der Haltung Tanners, sich für etwas zu engagieren und dann wieder Distanz zu nehmen, liegt die subversive Kraft seiner Filme: Der Zuschauer kann sich nicht einfach an ein neues Credo, an eine mitreissende Dramaturgie oder lineare Story halten. Der Boden wird brüchig, bekommt Risse. Der Zuschauer erhält keine Antworten zugeschickt: Tanner konfrontiert ihn mit Fragen, mit Beobachtungen, die — wie Marco von seinem Unterricht sagt — «mit eigenen Wünschen und Erfahrungen angereichert werden müssen». Und Max tönt Ähnliches an: Er informiert die Bauern über die geplanten Spekulationen des Kapitals, aber «es liegt an ihnen, daraus die Schlüsse zu ziehen.» Denn Tanner bekämpft die Ideologie des bourgeoisen Kinos nicht, indem er den Zuschauer, wenn auch mit anderen Ideen, vergewaltigt. Seine ideologischen Allegorien gehen seit Charles nicht nur vom Individuum aus: Sie zielen auch auf den Zuschauer als reifes, selbständig denkendes und fühlendes Individuum, das jederzeit als Teil der Gesellschaft — und der Zeit — begriffen wird. Dadurch verändert Tanner das Verhältnis sowohl zwischen Film als Kunst und Ideologie und Zuschauer als auch zwischen Zuschauer und Alltag, Gesellschaft. Der unvorbereitete Zuschauer, gewohnt, vom Grosspapa-Regisseur an der Hand geführt zu werden, merkt — schon nach den ersten paar Bildern — unverhofft, dass er selbständig gehen und sich seinen Weg selber suchen kann; er gewinnt den Spass und die Fähigkeit, zusammen mit Alain Tanner den Gang der Dinge zu betrachten, über die Zeit nach 1968 zu reflektieren, das Ganze aller Entwicklungen zu sehen und damit die entscheidende Frage: Wie kann man aus dem 20. Jahrhundert aussteigen?

Der Durchbruch zur Freiheit

Doch der wichtigste Grund, warum Jonas Optimismus ausstrahlt, liegt wohl in der Tatsache, dass sich Tanner durch den Film und die Poesie ausdrückt. Die Poesie ist in sich dialektisch; zum einen schafft sie — wie Humor, Tonbruch, Schnitt — die Distanz, die nötig ist, um den Lauf der Geschichte zwischen 1968, heute und dem Jahr 2000 (in dem Jonas 25 Jahre als sein wird) im Zusammenhang zu sehen (so wie Marco den Schülern die Zeit und Zeitwenden als folgerichtiges Ganzes zeigt). Die Poesie schafft aber gleichzeitig auch den Kontakt zum Zuschauer, erweckt jenes Sensorium, dass diese Zusammenhänge und Strömungen auch intuitiv erfassen lässt. Und zudem schafft die Poesie durch ihre Ambivalenz jenes Feld, in dem eben die naheliegende Realität, die wenig optimistisch stimmen könnte, auseinanderbricht und neue Kräfte, neue Möglichkeiten freilegt.

Noch folgerichtiger erscheint Jonas, wenn man die zunehmende Kongruenz von Form und Inhalt, von Ideologie und Transparenz der schöpferischen Arbeit in Tanners Werk berücksichtigt. Hier drängte sich ein abgrenzender Vergleich mit Robert Bresson auf. Für den Moment nur so viel: Film wird bei Tanner als jene Sprache fassbar, die als einzige konsequent mit der Zeit arbeitet: mit der Dynamik von Zeitablauf und Entwicklung etwa, mit den Brüchen und der Bewegung, mit der Dauer sowohl innerhalb der Sequenz als auch der Ereignisse und der Träume oder Ideen, die zur Materie werden. Tanners fortschreitende Auflösung der traditionellen Darstellungsformen musste ihn fast zwangsläufig zu einer Loslösung von jenen Chroniken in Schwarzweiss und dann in Farbe (Le Milieu du Monde) führen, die ganz bewusst nur einen gegebenen Zeitausschnitt beleuchteten. Wenn der fast schon zum Schlagwort gewordene Begriff «Summe» für Jonas zutrifft, dann eben durch dieses Neue, das Tanners Sprache allein schon aufdecken musste: Die Gesamtschau aus Distanz auf die Zeit und den daraus resultierenden «Discours du Changement».

Dies ist möglich geworden, weil Tanner, der noch vor kurzem von «rekonstruierter Wirklichkeit» gesprochen hat, nun eher die Transformation der Wirklichkeit (im Sinne Bressons) geschaffen hat, und in dieser Transformation erst konnte er die Kongruenz zu seinem der Zukunft gewidmeten Film finden. Und man darf sich hier getrost nochmals an Robert Bresson erinnern, der das Entscheidende im Austausch zwischen Bildern, Montage, Ton und dem dadurch entdeckten Neuen sieht, der die Alltagssprache entziffert und neue Formen ihrer Darstellung gefunden hat: «Die Ideen, sie verbergen, doch so, dass man sie findet. Die wichtigste wird die verborgenste sein.» Denn die so verstandene Idee von Jonas ist für mich jene, die zum eingangs definierten Optimismus führt.

Noch nie haben sich bei Tanner Idee und Form in einer derartigen Freiheit entsprochen; erstmals ist es, so scheint mir jedenfalls, Tanner gelungen, die Eigenexistenz des durch die Realität angereicherten Films bis an die Grenzen des Träumbaren und Visionären zu verwirklichen und die verschiedensten Tonlagen und Fragmente zu einem Ganzen zu verschmelzen. Die Luft, der Blick über die Mauern hinaus — die man besonders in Le Retour d’Afrique vermisste — werden so zugleich zum formalen und zum ideologischen Moment, und zu dieser Form gehört auch die Gelöstheit des Blickes auf eine Zeit im Zusammenhang, auf eine Zeit, die — fast wie ein Naturgesetz — die Wende bringen wird. Vorbei ist der zyklische Wechsel, der nur den Kreis der Jahreszeiten spiegelte in Milieu du Monde, vorbei ist auch jene abgeschlossene, zur erstarrten Gegenwart gewordene Geschichte, wie sie Paul in Le Milieu und wohl auch der alte Eisenbahner Charles in Jonas verraten. In Jonas richtet sich der Blick nach vorn, mit jener Kraft, die man auch aus dem Blick zurück in die Geschichte gefunden hat. Der Mut ohne Illusion, der vorsichtige Optimismus überträgt sich wie «Une flamme dans mon cœur» (so hiess der zweite Arbeitstitel von La Salamandre) auf den Zuschauer: durch einen Film, der zum ideologischen Durchbruch ein Gegenstück in der Struktur der Filmsprache findet, der elementarstes Fühlen und Denken verbindet, der gesellschaftliche, historische und individuelle Veränderung als Zwangsläufigkeit einsehbar macht. Und was da auch mitschwingt, das ist zweifellos die Identifikation mit Tanner, der den Zuschauer als selbständigen und notwendigen Teil des Ganzen einbezieht in die Suche der Form, der Protagonisten und der Idee: in die Suche nach der Freiheit. Diese Freiheit bleibt dabei auch völlig intakt innerhalb der einzelnen Sequenzen und deren zu interpretierenden Assoziationen: Man wird mit Jonas und Jonas noch lange zu leben haben. Und daher erscheint die Frage, die ich selbst bejahen möchte, berechtigt: Ist Jonas nur das Kind von Mathieu und Mathilde? Ist er nicht das Kind sämtlicher Figuren — und Geschehnisse des Films? Oder: Ist dieser Jonas, der 25 Jahre als sein wird bei der Jahrhundert-Wende, nicht unser aller Kind?

Jonas qui aura 25 ans en l'an 2000, Schweiz/Frankreich, 1976, 35 mm., Farbe, 113 Minuten. P: Action Films, Paris, Citel Films Genève, SSR Télévision Suisse; R: Alain Tanner; B: John Berger, Alain Tanner; K: Renato Berta; Montage: Brigitte Sousselier; Darsteller: Jean-Luc Bideau, Myriam Mezières, Rufus, Myriam Boyer, Roger Jendly, Dominique Labourier, Jasques Denis, Miou Miou, Raymond Bussières und Jonas. Uraufführung: 11. August 1976, Filmfestival Locarno.

JONAS QUI AURA 25 ANS EN L'AN 2000

Ce qui m'intéresse le plus dans mes premières réflexions sur Jonas, n'est pas une critique traditionnelle. J'aimerais plutôt m'approcher de ia totalité aussi bien de l'œuvre de Tanner que de Jonas, dont on dit, à juste titre, qu'il repérsente une somme (et un sommet). S'il est vrai que Jonas reflète et réfléchit intensivement toute l'œuvre depuis mai 1968 (Charles mort ou vif?, 1969), il est néanmoins beaucoup plus qu'une addition.

Jonas nous apporte quelque chose de plus et de neuf: un accomplissement de ia création et de son idéologie, un optimisme déjà présent dans ses films précédents, qui sont pourtant même dans leurs aspects comiques et dans l'humour — pessimistes. Aucun film de Tanner n'a offert une telle liberté que Jonas dont les personnages et l'enfant (qui aura 25 ans en l'an 2000) aspirent, chacun à sa manière, à la liberté, au changement. Mon essai suit le chemin d'Alain Tanner, un chemin qui a conduit à cette identité parfaite entre langage, contenu, idéologie et auteur. La maturité de ce langage, qui reflète d'une manière personnellle et spécifique le cinéma selon Godard et Bresson, se manifeste avec la même logique irrévocable, avec la même force irrésistible que le changement d'une société et du temps dont Jonas fait le discours idéologique, en dialoguant constamment avec le spectateur. (b. j.)

Bruno Jaeggi
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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