MONIKA WERNLI

DIE PERSISTENZ DES IMPERIALEN BLICKS — GREEN BOOK VERSUS BLACKKKLANSMAN

ESSAY

Für den Skandal an der Oscarverleihung 2018 sorgte Spike Lee, als er nach Verkündigung von The Green Book (US 2018) als bester Film versuchte, das Dolby Theatre in einem Sturm der Entrüstung zu verlassen. Bei näherer Betrachtung ist das jedoch nicht der eigentliche Skandal; der Skandal ist auch nicht, dass Lees Film BlacKkKlansman (US 2018) nicht das Rennen gemacht hat – schliesslich gab es mit The Favourite (GB/IR/US 2018), Roma (MX/US 2018) und Vice (US 2018) durchaus würdige Konkurrenz –, sondern die beinahe kosmisch anmutende Ungerechtigkeit besteht darin, dass er, dreissig Jahre nachdem ein seither in der Versenkung der Filmannalen verschwundener Film sein Meisterwerk Do the Right Thing (US 1989) ausgestochen hatte, erneut von einem verklärten Chauffeurfilm um seinen wohlverdienten Oscar in der Königsklasse gebracht wurde.

Dabei verweist der Fall von Spike Lee auf einen viel tiefer greifenden Missstand der Filmindustrie, speziell was Hollywood betrifft; nämlich, dass sie nach wie vor von weissen Männern dominiert wird, daran ändern auch vereinzelte Würdigungen vieler herausragender Leistungen farbiger Künstler_innen nichts. Die Academy Awards sind geprägt von einer langen Geschichte der Ausgrenzung von Frauen, Schwarzen und anderen Minoritäten. So hat in der Königsklasse Regie erst eine einzige Frau gewonnen, und zwar Kathryn Bigelow mit ihrem Anti-Kriegs-Drama The Hurt Locker (US 2008). In der Sparte beste Hauptdarstellerin hat auch erst eine Afroamerikanerin gewonnen, Halle Berry erhielt 2002 für ihre Rolle in Monster’s Ball (US 2001) einen Oscar; sie sollte die bisher einzige bleiben. Auch in den anderen Darsteller-Kategorien kann man die Farbigen Gewinner an den Händen abzählen. Betrachtet man die Kreativen, die im Hintergrund arbeiten, sieht die Sache noch einseitiger aus. Über alle Kategorien hinweg waren bisher in der über 90-jährigen Geschichte der Oscars erst um die 200 Afroamerikaner nominiert (von insgesamt fast 10’000 Nominationen) und in den nicht-darstellerischen Kategorien gab es bisher nur 23 Gewinner. Eine von der Los Angeles Times im Jahre 2012 durchgeführte Studie ergab, dass von den 5765 stimmberechtigten Mitgliedern der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS) 94 Prozent weiss und 77 Prozent männlich waren. Gerade mal 2 Prozent Afroamerikaner und 2 Prozent Latinos waren vertreten.1 Das Durchschnittsalter war 62 Jahre, lediglich 14 Prozent waren jünger als 50 Jahre. Das ist eine Folge davon, dass die Mitgliedschaft auf Lebenszeit gilt (ausser man wird rausgeworfen wie Harvey Weinstein), und es können auch Mitglieder in ihrer jeweiligen Kategorie abstimmen, die schon seit Langem nicht mehr im Filmgeschäft tätig sind. Der Mangel an Diversität bei den Oscars gab periodisch immer wieder Anlass zur Kritik und der Vorstand der amerikanischen Filmvereinigung (vorwiegend männlich) hat sich dann immer damit herausgeredet, dass das Filmgeschäft eben vorwiegend männlich und weiss sei, so als wäre dies ein natürlicher Selbstläufer und eben nicht das Resultat einer bewusst betriebenen Ausgrenzung, die sich quasi selbst perpetuiert: Die überwiegend weissen stimmberechtigten Mitglieder nominieren nur vereinzelte afroamerikanische Filmschaffende, davon gewinnen dann noch weniger, und als Folge werden dann auch nur wenige als Mitglieder neu aufgenommen.

2016 kam es dann zum Eklat, als die Nominierungen bekannt gegeben wurden und sich herausstellte, dass von den 20 Vorschlägen in der Kategorie Darsteller das zweite Jahr in Folge alle weiss waren. Die Anwältin und Aktivistin April Reign rief daraufhin den Hashtag #OscarsSoWhite ins Leben, der sich rasend schnell verbreitete. Sie wollte damit die nach wie vor fehlende Diversität und Inklusivität der Oscars ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Es waren denn auch der öffentliche Druck sowie die Boykott-Androhungen zukünftiger Oscarverleihungen von Filmgrössen wie Spike Lee, Will Smith und seiner Frau Jada Pinkett Smith, Dokumentarfilmer Michael Moore und anderen, welche die Academy zu einem Umdenken bewegten. Es ist wohl kein Zufall, dass Cheryl Boone Isaacs, seit 2013 die Präsidentin der AMPAS und erste afroamerikanische Frau, die dieses Amt bekleidet, versprach, bei der Wahl von Neumitgliedern mehr auf Diversität zu achten. Neben anderen Änderungen soll die Anzahl von weiblichen Mitgliedern und Mitgliedern, die einer Minorität angehören, bis 2020 verdoppelt werden und Mitglieder, die über 10 Jahre an keinem Film mehr mitgewirkt haben, sollen ihr Stimmrecht verlieren.

In den vergangenen Jahren trugen diese Änderungen bereits erste Früchte. So war 2019 mit 15 Nominierungen für schwarze Künstler nach 2016 (mit 18 Nominierungen) das Jahr mit der höchsten Diversität. Und mit Regina Kind in If Beale Street Could Talk (US 2018), Mahershala Ali für seine Rolle in Green Book und Rami Malek für seine beeindruckende Verkörperung von Freddie Mercury in Bohemian Rhapsody (US/GB 2018) konnten drei farbige Künstler die Wahl in diesen wichtigen Hauptkategorien für sich entscheiden. Das vermag jedoch nicht darüber hinwegzutäuschen, dass über das gesamte Feld gesehen nicht weisse Kreative mit 15 von insgesamt 212 Nominationen immer noch stark unterrepräsentiert waren.

Nicht ganz überraschend gab es gegen diese Diversitätsbemühungen auch Widerstand. So meinte die Schauspielerin Charlotte Rampling, die als beste Darstellerin für 45 Years (GB 2015) nominiert war, zu einem französischen Journalisten, dass der Grund dafür, dass nicht mehr schwarze Künstler nominiert werden, auch darin liege, dass sie es ganz einfach nicht verdienen würden. Dass die Sache vielleicht nicht ganz so einfach gelagert ist, lässt sich am Beispiel von Idris Elba nachzeichnen. Im bereits erwähnten Jahr 2016 hatte er für Beasts of No Nation (US 2015) bei den Screen Actors Guild Awards, welche als Gradmesser für die Oscars gelten, die Auszeichnung als bester Nebendarsteller in einem Kinofilm erhalten. Gleichzeitig wurde er für seine Rolle als Luther in der gleichnamigen britischen Krimiserie als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Daher war es dann doch eine ziemliche Überraschung, dass er für die Oscars nicht mal nominiert wurde. Elba war jedoch nicht der Einzige, der übergangen wurde, auch der biografische Film Straight Outta Compton (US 2015), über die Hip-Hop-Crew N.W.A., der im Vorfeld einiges an Preisen abgegriffen hatte, wurde lediglich in der Sparte bestes Original-Drehbuch nominiert (geschrieben von Jonathan Herman und Andrea Berloff, beide weiss). Und schafft es dann trotzdem mal ein Film mit einem mehrheitlich/fast ausschliesslich schwarzen Ensemble auf die Oscarnominationsliste, dann kann man sich gewiss sein, dass sich Stimmen melden, die behaupten, der Film habe die Nomination nur erhalten aufgrund der neuen Diversitäts-Politik der AMPAS. So geschehen dieses Jahr mit dem Film Black Panther (US 2018), der als erster Superhelden-Film überhaupt als bester Film nominiert wurde. Dass er ganz nebenbei auch noch die bisher kommerziell erfolgreichste Marvel-Comic-Verfilmung ist, spielte dabei sicher keine Rolle. Über den künstlerischen Anspruch des Films liesse sich sicher streiten, aber dasselbe könnte man noch über eine ganze Reihe von für einen Oscar nominierten Filmen sagen. Was also bedeutet es, wenn ein Schwergewicht in der amerikanischen Kulturszene wie Kultautor Bret Easton Ellis (bekannt für sein Erstlingswerk Less Than Zero und seinen Bestseller American Psycho) sich bemüssigt fühlt, in seinem (gebührenpflichtigen) Podcast über Black Panther herzuziehen und die Nomination als besten Film als Witz zu bezeichnen, da sie nur aufgrund von Disneys Inklusivitätswahn zustande gekommen sei?2 Zusammengefasst lautet also das Argument wie folgt: Wenn ein farbiger Künstler, eine farbige Künstlerin oder eine farbige Produktion übergangen wird, dann liegt es daran, dass er/sie nicht gut genug ist oder eben die Ansprüche nicht erfüllt. Und wenn er/sie prämiert wird, dann nur darum, weil er/sie einer Minorität angehört. In diesem Szenario wird jedoch das Privileg einer weissen Identität («white privilege») völlig ausgeklammert. Das liegt daran, dass «Weiss-Sein» in Amerika wie bei uns auch als Norm gilt und somit unmarkiert und unsichtbar ist. Als weisse Person macht man ja nie die Erfahrung, dass man aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert wird, und die Absenz von Diskriminierung und struktureller Diskriminierung ist nicht etwas, was wir bewusst wahrnehmen und als Vorteil sehen, dennoch existiert dieser.

Zurück zu Black Panther: Es mag etwas überraschend anmuten, aber eine Verfilmung des Stoffes war bereits 1992 im Gespräch und treibende Kraft hinter dem Projekt war Wesley Snipes (der später den schwarzen Vampirjäger Blade in der gleichnamigen Marvel-Verfilmung spielen sollte). Neben zahlreichen anderen Gründen, warum das Projekt damals nicht weitergedieh, war die Befürchtung der verantwortlichen Studiobosse, dass ein Superhelden-Film mit einem mehrheitlich schwarzen Cast vom amerikanischen Filmpublikum nicht goutiert würde. Der Erfolg von Black Panther hat die Kritiker Lügen gestraft: Auf der ewigen Bestenliste der weltweit erfolgreichsten Filme belegt er Platz 12. Doch wahrscheinlich war die Zeit für so einen Film auch erst jetzt reif, nachdem Amerika seinen ersten schwarzen Präsidenten gewählt hatte.

Vom männlichen zum imperialen Blick

Im ersten Teil habe ich beleuchtet, wie Hollywood in der Vergangenheit von weissen Männern dominiert wurde und wie dieses System des Ausschlusses auch mittels Auszeichnungen durch die Academy aufrechterhalten wurde. Im Folgenden soll es darum gehen, wie sich diese Dominanz im Angesicht eines immer vielfältigeren Publikums aufrechterhalten liess. Am Anfang steht die möglicherweise banal anmutende Feststellung, dass Sehen nicht einfach Sehen ist, sondern dass unser Sehen ontologisch bestimmt und unsere Sehgewohnheiten kulturell geprägt sind. Wir sehen und interpretieren das Gesehene also im Rahmen unseres Wissens und unserer allgemeinen Weltsicht. Wie das genau bei Filmen funktioniert, hat Laura Mulvey 1975 in ihrem provokativen Essay «Visuelle Lust und narratives Kino» aufgezeigt.3 Dabei verfolgte sie einen psychoanalytisch-feministischen Ansatz und entwickelte ihr Konzept des «male gaze». Zugespitzt formuliert umschreibt der «male gaze» die männliche, heterosexuelle Perspektive auf die Frauen und die Welt im Allgemeinen und wie diese Sicht ihren Ausdruck unter anderem in den darstellenden Künsten (inklusive Film) und der Literatur findet. Dieser männliche Blick zeigt und stellt Frauen als sexuelle Objekte dar, zur lustvollen Ergötzung des männlichen (männlich gedachten) Betrachters. Beim Film besteht dieser Blick aus drei Perspektiven: dem Filmemacher hinter der Kamera, dem männlichen Protagonisten im Film selbst und dem Betrachter im Zuschauerraum.

Auch in unseren gesellschaftlichen Vorstellungen halten sich hartnäckig die Deutungsmuster, wonach der Mann der aktive Part ist, während die Frau eher passiv zu sein hat und allenfalls als Spiegel oder Helferin des Mannes fungiert. Daher überrascht es nicht, dass trotz immer häufiger werdender Ausnahmen immer noch viele Hollywoodstreifen genau diesem Muster folgen. Und tun sie das nicht, dann führt das nicht selten zu Irritationen, man denke nur an die Antipathie, die Sigourney Weaver als eine der ersten, wenn auch zufälligen Actionheldinnen in der Alien-Reihe von mehrheitlich männlichen Kritikern entgegengebracht wurde (ihre Rolle war ursprünglich für einen männlichen Schauspieler gedacht gewesen). Oder wie unwohl Daniel Craig sich laut seiner eigenen Aussage bei der Szene in Casino Royale (US/GB/CZ 2006) fühlte, als er in einer Reminiszenz an Ursula Andress (und Halle Berry) sich lasziv aus den Wogen des Meeres erheben sollte. Auch wenn Bond oft leicht bekleidet und betont sexy dargestellt wird, ist es dann doch noch etwas anderes, sich so als Objekt einem lustvollen, weiblichen Blick auszusetzen. Natürlich stellt sich beim Konzept des männlichen Blicks die Frage nach der weiblichen Zuschauerin. Während für den männlichen Zuschauer der männliche Held/Hauptprotagonist als Identifikationsfigur zur Verfügung steht, kann die weibliche Zuschauerin sich mit dem Objekt des Begehrens des Filmhelden identifizieren und sich so gleichermassen dem männlichen Blick unterwerfen. Dadurch wird die gesellschaftliche Norm der Ungleichheit der Geschlechter stets aufs Neue reproduziert und verfestigt. Es wäre jedoch falsch, den männlichen Blick auf das biologische Geschlecht zu reduzieren, Frauen können zum Beispiel auch die Perspektive des männlichen Blicks einnehmen (wie im erwähnten Bond-Beispiel, wo die Logik des männlichen Blicks eben auf ein männliches Objekt projiziert wird). Aber als Modell, um zu verstehen, wie unsere Sehgewohnheiten strukturiert sind, bleibt es weiterhin nützlich.

In den 1990er-Jahren entwickelten E. Ann Kaplan und andere farbige Kulturkritiker_innen aus der postkolonialen Theorie heraus das Konzept des «imperial gaze»,4 sowohl als Reaktion wie auch als Fortschreibung von Laura Mulveys «male gaze». Darin argumentierten sie, dass die dominante Perspektive in der westlichen Kultur nicht nur männlich, sondern eben auch weiss ist. Ihre Kritik richtet sich damit auch explizit gegen die Vorstellung vieler weisser Feministinnen der «Frauen» als monolithischen Block, der bei genauerem Hinsehen nur die Erfahrung einer gewissen privilegierten Gruppe von Frauen widerspiegelt. Eines der Schlüsselelemente des imperialen Blicks ist, dass er ordnend wirkt: Das, was er überblickt, wird automatisch der eigenen Perspektive untergeordnet. Die Überblickten werden nicht als Subjekte mit einer eigenständigen Handlungsmacht wahrgenommen, sondern ihre Identität, ihre Geschichte wird ihnen vom Betrachter zugeschrieben. In die Sprache des Films übersetzt, bedeutet das, dass Schwarze und andere Minoritäten über eine lange Zeit im amerikanischen Film nur Rand- und Nebenfiguren waren, die dazu dienten, die Geschichte des weissen Helden zu erzählen. Oft genug als übertriebene Stereotype der Gruppe, die sie repräsentieren sollen, sind sie barbarisch, triebgesteuert, ungebildet, kriminell und bilden so die perfekte Folie, gegen welche sich der Held abheben kann. Zusätzlich wird ihre relative Unwichtigkeit dadurch unterstrichen, dass sie oft die erste Figur sind, welche im Filmuniversum getötet wird.

Dass dies keineswegs nur Produktionen in der Vergangenheit betrifft, beweist die jüngste Kontroverse um die äusserst erfolgreiche Fantasy-Serie Game of Thrones. Insgesamt wurde der Serie vorgeworfen, dass sie doch sehr weiss sei und es nur wenige farbige Charaktere gebe, die eine mehr oder minder wichtige Rolle spielen.5, 6 Die Dothraki sind ein kriegerisches Steppenvolk, welches das Klischee der «edlen Wilden» zu hundert Prozent erfüllt. Es muss dann erst die extrem hellhäutige und weissblonde Khaleesi daherkommen, um sie unter sich zu einigen und sie aus ihrer Barbarei zu «erretten». Um ihren Machtanspruch ja nicht zu gefährden, wird ihr Gemahl, Khal Drogo, einer der Stammesführer, gleich zu Beginn der Serie entsorgt. Im weiteren Verlauf stechen lediglich zwei farbige Figuren aus der Masse hervor, Grauer Wurm und Missandei, beides Vertraute von Daenerys. Grauer Wurm ist der Oberkommandant von Daenerys’ Truppen und er wurde vorsorglich entmannt, sodass er auf der sexuellen Ebene keine Gefahr für die weisse Herrscherin darstellen kann. Die Bedrohung der weissen Frau durch den schwarzen Mann ist ein alter rassistischer Topos, der auch heute noch in den Köpfen vieler Menschen herumgeistert. Missandeis Ende verrät, dass sie nicht um ihrer selbst willen Teil der Geschichte war, sondern als Erklärung und Symbol für die weisse Hauptfigur: Daenerys hat sie gerettet und aus der Knechtschaft befreit und am Schluss ist es ihr Tod, der Daenerys endgültig überschnappen lässt. Damit ist ihre Funktion erfüllt. Es geht nicht darum, Game of Thrones schlechtzureden oder den Autor, die Drehbuchautoren, Filmemacher etc. des Rassismus zu bezichtigen (obwohl es an dieser Stelle niemand überraschen wird, dass es fast ausschliesslich weisse Männer sind), sondern darum, die Leser für die Wirkungsweise und Wirkungsmacht des imperialen Blicks zu sensibilisieren, da er eben die in der Gesellschaft dominante Perspektive wiedergibt. So gesehen handelt es sich dabei um ein strukturelles Problem und verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig es wäre, Diversität vor und hinter der Kamera zu fördern.

Vor diesem Hintergrund erhält die Wahl des besten Films 2018 eine ganz neue Brisanz. Bei beiden der erwähnten Filme – BlacKkKlansman und Green Book – handelt es sich um Biopics und beide thematisieren Rassebeziehungen in den 1960er- und 1970er-Jahren in den USA, weshalb sie sich gut für einen Vergleich eignen. Sie gehen dabei jedoch sehr unterschiedlich an die Materie heran. BlacKkKlansman erzählt die Geschichte des afroamerikanischen Polizisten Ron Stallworth, der das erste farbige Mitglied der Polizeibehörde in Colorado Springs wird. Anfänglich ins Archiv versetzt, bekundet er jedoch Interesse, als verdeckter Ermittler tätig zu sein. Als Erstes wird er dann im Rahmen einer FBI-Überwachung auf Stokely Carmichael, einen Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen, angesetzt. Per Zufall stösst er dann in einer Lokalzeitung auf eine Annonce des Ku-Klux-Klans, der auf diese Weise neue Mitglieder zu rekrutieren hofft. Er ruft unter der angegebenen Telefonnummer an und nach mehreren Gesprächen, in denen er erfolgreich den Rassisten mimt, wird er zu einem persönlichen Treffen eingeladen, worauf er aus offensichtlichen Gründen nicht eingehen kann. Da ihm jedoch in Aussicht gestellt wird, wichtigen Mitgliedern der Führungsriege vorgestellt zu werden, wird beschlossen, einen weissen Kollegen zu schicken, der aber ein säkularer Jude ist, was auch nicht einer gewissen Komik entbehrt. Der Film bewegt sich denn auch zwischen Drama und Komödie und schafft es so, sowohl die Bedrohung, die der Klan darstellt, zu unterstreichen und gleichzeitig seine abstossende Ideologie der Lächerlichkeit preiszugeben. Der Film endet mit Archivmaterial der Nazi-Kundgebung 2018 in Charlottesville, was zuerst einmal etwas befremdlich wirkt; bis man hinhört und feststellt, dass Neonazis und andere rechts-nationale Gruppierungen die genau gleichen Parolen skandieren wie der Klan damals: «Amerika den Weissen! Wir lassen uns nicht von Juden verdrängen!» Spike Lee ist nicht nur Regisseur, sondern auch Bürgerrechtsaktivist, und so verortet er seinen Film, der in der Vergangenheit spielt, in der Gegenwart und zeigt auf, dass diese in der Vergangenheit geglaubten Probleme heute in Amerika weiterhin gegenwärtig sind.

Im Gegensatz dazu präsentiert Green Book die Erzählperspektive von Tony Vallelonga, Italoamerikaner und weisser Hauptprotagonist des Films. Die Geschichte basiert auf den Erinnerungen seiner Familie und den Briefen, die Tony während seiner Fahrt an seine Frau geschrieben hat. So verwundert es denn nicht weiter, dass der Film die Läuterung des «gutartig» rassistischen Tony zeigt, der, nachdem er seinen Job als Rausschmeisser in einem Nachtclub verloren hat, als Fahrer für den schwarzen Pianisten Don Shirley anheuert und diesen auf seiner Konzerttour durch den Süden der USA begleitet (Shirleys Familie wurde bei den Vorbereitungen zum Film nicht konsultiert). Indem Tony selbst miterlebt, wie schlecht Shirley im Süden behandelt wird und welchen rassistischen Anfeindungen er ausgesetzt ist, und durch seine persönliche Beziehung zu Shirley setzt bei Tony ein Prozess des Umdenkens ein, und schlussendlich gelingt es ihm, seine eigenen Vorurteile zu überwinden, hurra! Dem weissen Publikum bietet der Film an, die eigene Läuterungsreise stellvertretend noch einmal nachzuerleben und sich so vom Rassismus zu distanzieren.

Obwohl der Film von den Kritikern (vornehmlich männlich und weiss) weitgehend wohlwollend aufgenommen wurde, gab es auch vereinzelte kritische Stimmen, die dem Film vorwarfen, dass er im Grunde eine «Rassenversöhnungsfantasie» befördere,7 welche die Probleme in der Vergangenheit verorte und so der Frage nach gegenwärtigen Spannungen aus dem Weg gehe.

An diesem Punkt ist hoffentlich nachvollziehbar, warum die Bevorzugung von Green Book gegenüber BlacKkKlansman durch die stimmberechtigten Mitglieder der Academy so skandalös ist. Nicht weil das Werk eines schwarzen Künstlers zugunsten von dem eines weissen übergangen wurde, sondern weil sich eben jene dominante Perspektive der Academy durchgesetzt hat, wonach die Erfahrung von Schwarzen nicht von ihnen selbst interpretiert wird, sondern von einer weissen Majorität. Dieser Kampf um die Deutungshoheit über die Geschichte und die Erfahrungen von Minoritäten erfährt eine zusätzliche Bedeutung, wenn man sich vor Augen führt, dass die Diskussion um Filme eingebunden ist in einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs, wo es um die Frage geht, ob den Afroamerikanern als Nachkommen der Sklaven Reparationen zustehen oder nicht. Die Antwort hängt nicht unmassgeblich davon ab, ob man die gegenwärtig immer noch existierenden Ungleichheiten als Folge eines nach wie vor diskriminierenden Systems begreift oder ob man sich wie Mitch McConnell (Mehrheitsführer im US-Senat) hinstellt und die Einstellung seiner Partei (Republikaner) mit folgenden Worten vertritt: «Sklaverei und ihre Folgen haben mit uns nichts zu tun, das war schliesslich vor unserer Zeit.»

John Horn, Nicole Sperling Doug Smith, «Unmasking Oscar: Academy voters are overwhelmingly white and male», in: Los Angeles Times (19.2.2012), https://www.latimes.com/entertai..., zuletzt besucht am 19.7.2019.

Zack Sharf, «Bret Easton Ellis Questions ‹Black Panther› Oscar Noms, Says No One Thinks It’s ‹That Good›», in: Indiewire (4.2.2019), https://www.indiewire.com/2019/0..., zuletzt besucht am 10.7.2019.

Laura Mulvey, «Visual pleasure and narrative cinema», in: Screen 16:3 (1975), S. 6–18.

E. Ann Kaplan, Looking for the Other: Feminism, Film and the Imperial Gaze, New York 1997.

Ellen E. Jones, «‹There Are No Black People on Game of Thrones›: Why Is Fantasy TV so White?», in: The Guardian (6.4.2019), https://www.theguardian.com/tv-a..., zuletzt besucht am 10.7.2019.

Spencer Kornhaber, «The Deeper Dilemma for Daenerys in Game of Thrones», in: The Atlantic (7.5.2019), https://www.theatlantic.com/ente..., zuletzt besucht am 10.7.2019.

Wesley Morris, «Why Do the Oscars Keep Falling for Racial Reconciliation Fantasies?», in: The New York Times (23.1.2019), https://www.nytimes.com/2019/01/..., zuletzt besucht am 10.7.2019.

Monika Wernli
Studium in Germanistik und Kunstgeschichte, später Geschichte, Gender Studies und Anglistik. Hat als Lehrerin, Aussendienstmitarbeiterin eines Ingenieurbüros, als Übersetzerin und freie Journalistin gearbeitet. Eine ihrer grossen Leidenschaften war immer das Kino und sie hat zahlreiche Texte auf diesem Gebiet verfasst – von der populären Filmkritik bis hin zu fundierten Filmanalysen.
(Stand: 2021)
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