BERNHARD GIGER

WROTE A SONG FOR EVERYONE — DAS BROT DES BÄCKERS VON ERWIN KEUSCH

ESSAY

Weil er gern gutes Brot isst, will Werner Wild Bäcker werden. Bei Georg Baum in einer fränkischen Kleinstadt tritt er eine Lehre an. Er erlebt, was ein Junge, der zum Mann wird, erlebt. Über sein Bett hängt er Posters, zuerst von Martin Luther King, dann von Dylan und schliesslich von Elvis. Er lernt ein Mädchen kennen, Margot, die nicht recht weiss, ob sie auf ihre Mutter hören und weiter mit dem hoffnungsvollen jungen Mann im roten Sportwagen verkehren soll oder ob sie sich ganz dem Werner widmen soll. Der Bäckerlehrling hat zwar keinen Sportwagen und im Kino kann er sich nur den billigeren Platz leisten, in der Liebe aber ist er mehr wert als ein Sportwagen. Enttäuscht von Margots Unentschlossenheit, schläft er eines Nachts mit Baums Verkäuferin Gisela. Während Werner am nächsten Morgen Gisela kaum mehr anschaut und wieder an Margot denkt, verliebt sich Gisela in ihn, so sehr, dass sie sich dann mit Tabletten vollstopft und ihm einen Abschiedsbrief schreibt. Im Kino läuft Denn sie wissen nicht, was sie tun.

In der Bäckerei macht Werner rasch Fortschritte, Baum ist zufrieden mit ihm. Aber der Lehrling begreift mit der Zeit, dass das Handwerk, das er erlernen will, bedroht ist von Maschinen, die für den Supermarkt laufen, für den Supermarkt auch, der in der Nähe der Bäckerei gebaut wird. Georg Baum ist stolz darauf, dass durch seine Backstube noch keine Brotstrassen führen. Der Angestellte Kurt, Meister und Lehrling und gelegentlich die beiden Söhne Baums machen alles selber. Das Brot, das sie backen, ist gut, aber nicht billig, nicht so billig wie die blassen Brötchen des Supermarkts, in die man ohne Lust hineinbeisst. Die Leute kümmern sich nicht darum, was sie im Magen haben, sondern vielmehr darum, was ihnen — mit vollem Magen — noch im Geldbeutel bleibt. Darum drängen sie sich in den Supermarkt.

Georg Baum muss, um der mächtigen Konkurrenz standzuhalten, seinen Betrieb modernisieren. Er kauft Maschinen, er baut den Laden um, er macht Schulden, er produziert mehr, die Kundschaft jedoch holt er damit nicht wieder aus dem Supermarkt. Die Schulden werden nicht kleiner. Baum wird nervös, er ist übermüdet, er schläft ein vor dem Fernseher, aus dem Mireille Mathieu die Botschaft von Freiheit und Liebe verkündet. Er schreit jetzt auch öfters. Schliesslich hat Kurt genug und geht. Werner bietet Baum an, nach der Lehre bei ihm zu bleiben. Baum aber behauptet, er könne nun alles allein machen.

Kurz vor der Lehrlingsprüfung trifft Werner vor dem Supermarkt Margot wieder. In einem Kornfeld feiern sie Wiedersehen. Margot will in die Stadt ziehen, sie fordert Werner auf, mit ihr zu kommen. Irgendwie denkt Margot daran, dass auch Werner einmal einen roten Sportwagen fahren könnte, sie möchte den Fünfer und das Brötchen, den Sportwagen und den Werner. Sie gehört zum Supermarkt.

Nach der Prüfung arbeitet Werner in der Stadt in einer Grossbäckerei, Margot in einem Grossraumbüro — Werner drückt die Knöpfe einer Teigmaschine, Margot tippt die Tasten einer Schreibmaschine. Baum, vereinsamt und verbittert, verwüstet eines Nachts den Supermarkt. Werner kehrt zurück aus der Stadt, er will mithelfen, die Bäckerei vor dem endgültigen Untergang zu retten. Er entscheidet sich für das gute Brot und gegen Margot. Der Film von Erwin Keusch erzählt von Brot und Liebe — beide sind sich ähnlich: Wer versucht, sie besonders gut zu machen, hat auch viel mehr Schwierigkeiten.

Das Brot des Bäckers ist in Deutschland entstanden. Die deutsche Kinolandschaft ist verödet, zerstört von Dummheiten, die das Publikum aus den Kinos trieben. Nicht nur auf deutsche Leinwände jedoch wurden Bilder projiziert, die des Vergewaltigungsversuchs am Publikum angeklagt werden sollten, Bilder, die keine Achtung haben vor den Gefühlen, vor den Menschen und vor dem Leben. Bilder, lieblos gemacht und hässlich wie die Brötchen des Supermarkts. Die Wut und den Ekel, die diese Bilder auslösten, die das System, das sie produziert, auslöst, rücksichtslos herauszukotzen, ist für einen Filmemacher eine mögliche Reaktion. Fassbinders Satansbraten ist ein Beispiel dafür. Ruhige und persönliche Filme, Bilder der Melancholie, sind eine andere mögliche Reaktion; Filme wie Falsche Bewegung von Wim Wenders, in denen die Menschen voreinander flüchten und in der Einsamkeit leiden. Eine dritte mögliche Reaktion ist die von Karl Saurer (Mitarbeit am Drehbuch) und Erwin Keusch. Sie haben geschafft, woran andere vor ihnen gescheitert sind. Sie erzählen ihre Kleinstadt- und Kleinbürgergeschichte ohne jede Verachtung einerseits, ohne falsche Liebe anderseits.

Wer die leeren Kinos wieder füllen will, muss Filme machen, die jeder begreift, muss eine Sprache sprechen, die jeder versteht. Fremdsprachen haben im grossen Kino vorläufig noch wenig Chancen. Das Brot des Bäckers ist ein einfacher, leicht verständlicher, aber nie plumper Film. Er bietet, was viele im Kino sehen möchten. Er ist unterhaltend und lustig, traurig und bedrückend; er zeigt Menschen, mit denen man Freundschaft schliessen möchte. Die Bilder, die Dietrich Lohmann aufgenommen hat, sind nicht grell und böse, die Menschen werden nicht zu Gefühls-Monstren aufgeblasen. Wie diese Menschen sind und was sie fühlen, das erfährt man erst nach und nach. Wenn in Fassbinders Angst essen Seele auf die Witwe Kurowski erstmals in Alis Stammkneipe kommt, bei Barbara Valentin ein Cola bestellt und dabei besorgt und doch irgendwie neugierig zu den Fremden an der Bar schaut, so ist mit dieser Einführung eigentlich schon beinahe alles gesagt über die Einsamkeit dieser Frau. Vom ersten Bild an wird einem klipp und klar mitgeteilt, was für ein Mensch die Kurowski ist. Über Werner Wild im Bäckerfilm weiss man zuerst nur, dass er Bäcker werden will, weil er gern gutes Brot isst. So wenig man am Anfang die Menschen kennt, so wenig kennt man die Situation, in der sie leben. Die Bedrohung, die der Supermarkt für Baums Bäckerei darstellt, erfährt man mit Baum zusammen; die Erfahrungen, die Werner in der Liebe und im Beruf sammelt, sammelt man mit ihm zusammen. Die miesen Geschäfte, die der Supermarkt treibt, lernt man erst mit denen zusammen kennen, die darunter leiden: Der Einbruch in den Supermarkt ist ein Akt der Verzweiflung, den jeder begreift. Was ist denn schon die Zerstörung einiger plastiküberspannter Gebäcke gegen die massenweise Produktion dieser Gebäcke? Das Brot des Bäckers ist ein volkstümlicher Film. Das Publikum geht mit, es lacht und weint und applaudiert. Spontaner Applaus spricht zwar nicht unbedingt für einen Film; wenn Jean-Paul Belmondo in Le Casse eine Frau zusammenschlägt und das Publikum dabei geil aufschreit, ist das keine Auszeichnung für Verneuils Film. Denn Belmondo ist ein einträgliches Produkt des Film-Supermarkts; wen und wie lange er prügeln darf, bestimmen kommerzielle Überlegungen. Wenn das Publikum hingegen im Bäckerfilm mitgeht, solidarisiert es sich mit jenen, die sich gegen den Supermarkt auflehnen, solidarisiert es sich mit den Schwächeren.

Das Brot des Bäckers ist wie ein Stück der Creedence Clearwater Revival. Ihre Musik ist erfrischend wie ein eisgekühltes Cola, anregend wie eine Fahrt durch Landschaften, die Geschichten erzählen. Es ist Musik, die rasch ins Ohr geht. Dieser Musik zuzuhören ist kein unvergessliches Erlebnis, nichts, worüber man noch tagelang nachdenkt. Aber man fühlt sich wohl mit ihr, man könnte ihr stundenlang zuhören. Das Brot des Bäckers ist kein unvergessliches kinematographisches Meisterwerk, kein Meilenstein der Filmgeschichte. Sondern ein Film, in dem man sich wohl fühlen kann, in dem man mitgehen kann, ohne dabei ständig vom schlechten Gewissen geplagt zu sein, man verfalle einer perfekten Verführung. Ein Film, der Erinnerungen wachruft: Gisela ist die Verkäuferin, für die man als kleiner Junge heimlich geschwärmt hat. Werners Liebeserlebnisse sind Erlebnisse, die man selber auch durchgemacht hat, sein Liebeskummer ein Kummer, unter dem man auch gelitten hat. James Dean ist auch in den eigenen Träumen schon erschienen. Ein Film, der Vorgänge verdeutlicht, die man selber miterlebt, aber kaum wahrgenommen hat: Migros-verdorben, wie wir sind, haben wir lange Zeit nicht bemerkt, dass wir beitragen zum Untergang der kleinen Bäckerei. Die Schliessung des Ladens an der Ecke, der Bäckerei gegenüber hat uns nicht besonders beschäftigt. Das Bäckerehepaar ist nun wirklich schon sehr alt, hat man sich dabei gedacht. Dass vielleicht Junge den Laden weiterführen könnten, das interessierte keinen, da man sich sein täglich Brot längstens im Supermarkt besorgte. Wir waren scharf auf Sonderangebote und 4- für- 2-Aktionen: Brot ist etwas Alltägliches, etwas, das man braucht wie Zahnpasta, Deodorant, Waschmittel und Toilettenpapier. Alltägliches muss billig sein, denn der Alltag ist langweilig, man erlebt ihn lustlos und spart seine Hoffnungen und sein Geld für die sonnigen, kurzen, aber teuren Badeferien im Süden.

Erfolgsmeldungen: Berlin, 1. Woche 2000 Eintritte, 2. 2450, 3. 2600, 4. 2900, 5. 2700, 6. 2400, 7. 2800, 8. 2800; in Frankfurt 1. Woche 1650, 2. 2000, 3. 2300, 4. 2300, 5. 2500; in München pro Woche 2000, in Köln 1500-2000. Das Brot des Bäckers füllt die Kinos wieder, das vertriebene Publikum kehrt zurück. Ein Stück der Creedence Clearwater Revival heisst «Wrote a song for everyone».

Das Brot des Bäckers, BRD 1976, 16 mm., Blow-up 35 mm., Farbe, 117 Minuten. P: Artus-Film und ZDF; R: Erwin Keusch; B: Erwin Keusch, Karl Saurer; K: Dietrich Lohmann; M: Condor (früher Improved Sound Limited); D: Bernd Tauber, Günter Lamprecht, Maria Lucca, Silvia Reize, Anita Lochner, Manfred Seipold, Gerhard Acktun, Krystian Martinek, Roland Nitschke. Gedreht vom 8. Juli-12. August 1976 in Hersbruck (Mittelfranken), München, Dachau, Fürstenfeldbruck, Puchheim und Gräfelfing. Verleih: BRD: prokino München; Schweiz: Alexander Film in Zusammenarbeit mit Filmcooperative Zürich.

Le pain du boulanger D’ERWIN KEUSCH

Les salles de cinéma ont été partiellement vidées de leur public parce qu’on y passait presque exclusivement des images méprisant les sentiments, les êtres, la vie, et des films laids, faits sans amour, commeles petits pains dusupermarché.

Pour reconquérir ce public, on doit tourner des films et utiliser un langage que tout le monde comprend. Les langues étrangères ont, pour l’instant, peu de chances dans les salles. Le pain du boulanger d’Erwin Keusch, une histoire de pain et d’amour — deux choses également difficiles à faire lorsqu’on veut bien les faire —, est un film simple, facilement intelligible, mais jamais lourd. Il offre ce que beaucoup de spectateurs voudraient voir au cinéma. Il est divertissant et amusant, triste et affligeant; il montre des gens avec lesquels on voudrait se lier d’amitié. Keusch et Saurer (qui a collaboré au scénario) racontent leur histoire d’une petite ville et d’une petite bourgeoisie sans mépris et sans amour faux. On y découvre petit à petit les êtres et ce qu’ils ressentent. En même temps que le boulanger Baum, nous prenons conscience de la menace que constituent les supermarchés pour sa petite boulangerie; avec Werner, nous accumulons les expériences amoureuses et professionnelles. Nous apprenons à connaître les sales «combines» des supermarchés avec ceux qui en souffrent. Le pain du boulanger est un film populaire; le public participe, rit et pleure et applaudit, parce qu’il se solidarise avec ceux qui se révoltent contre le supermarché, il se solidarise avec les faibles.

Le pain du boulanger est comme un morceau des Cree-dence Clearwater Revival. Leur musique est rafraîchissante comme un Coca Cola glacé, stimulant comme un voyage à travers un paysage qui raconte des histoires. C’est une musique qui entre rapidement dans l’oreille. Ecouter cette musique n’est pas un événement inoubliable, quelque chose à quoi on pense pendant des jours et des jours. Mais on se sent bien avec elle, on pourrait l’écouter durant des heures. Le pain du boulanger n’est pas un de ces chefs-d’œuvre inoubliables, un monument de l’histoire du cinéma; c’est un film dans lequel on peut se sentir à l’aise, et qui rappelle une foule de souvenirs: Gisela est la vendeuse dont nous avions secrètement le béguin, étant gosses. Les aventures amoureuses de Werner sont des aventures que nous avons aussi connues, son chagrin d’amour est un chagrin qui nous a aussi fait souffrir. Ce film clarifie certaines situations que nous vivons nous-mêmes sans vraiment le réaliser. Pourris par des Migros, nous avons bien trop longtemps négligé de remarquer à quel point nous avons contribué à la disparition de la petite boulangerie. Profitant des actions trois pour deux des supermarchés, nous avons dégradé le pain à un vulgaire produit de consommation dont nous avons besoin comme du dentifrice, du déodorant, des produits de lessive ou du papier de toilettes. Le quotidien doit être bon marché, car le quotidien est ennuyeux, on le subit sans joie et on économise ses espoirs et son argent pour les courtes, mais chères vacances dans le sud ensoleillé.

Le pain du boulanger parvient à remplir les salles de cinéma, le public chassé revient. Un morceau des Creedence Clearwater Revival s’appelle «Wrote a song for everyone». (AEP)

Bernhard Giger
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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