CORINNE SCHELBERT

«VITO MIO...»

ESSAY

La sflda, erinnere ich mich, habe ich vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal im Fernsehen gesehen. (Dies muss nach der Kinoaufführung von Salvatore Giuliano gewesen sein, denn Rosi war mir schon einigermassen ein Begriff.) Ein viszerales Erlebnis, wie bei Les tricheurs ein Jahrzehnt zuvor, von keiner Bildung «behindert». Enzensberger und sein Aufsatz «Pupetta oder das Ende der Neuen Camorra», ein ungefähres Wissen um die realen Vorkommnisse kamen später. Zuerst war da nur das Drama und die Leidenschaft, Rosanna Schiaffino in einem dieser Sommerkleider, die schöne Italienerinnen so effektvoll entkleideten (die Erinnerung vermischt sich mit Alida Vallis schwarzem Unterrock — schwarze Dessous waren damals das Signet italienischen Sex-Appeals...), Rosanna Schiafflno, die sich über ihren toten Mann wirft, seinen Kopf im Schoss hält, «in der Stellung archaischen Schmerzes» (ich zitiere) und der Ausruf «Vito mio», der klang wie «vita mia». Und so war es auch — ihr Leben war damit verlöscht.

Dann, vor kurzem, ein nochmaliges Betrachten, zur Verifizierung und Bestätigung einer weit zurückliegenden Faszination, und dann ein drittes, diesmal mit dem festen Vorsatz, das Geheimnis zu entschlüsseln, das Genie Rosis in seine Elemente zu zerlegen, Einstellung für Einstellung aufmerksam zu verfolgen. Eben: Das Wie aufzuspüren. «Wie haben Sie das gemacht, Herr Rosi?» Nun weiss ich es etwas besser, bin aber so sprachlos wie zuvor. Das «Opernfinale», das Kritiker einst monierten, ist immer noch grandios, nur dass jetzt eine «Technik» sichtbar geworden ist. Ich weiss etwas mehr: Dass nämlich die (Hand-) Kamera «mit» der auf ihren soeben ermordeten Gatten zueilenden Rosanna Schiaffino zu Boden geht; das ist der «Trick», mit dem Rosi wochenschauartige Unmittelbarkeit und zugleich Pathos schafft.

Corinne Schelbert
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]