PETER SCHNEIDER

XUNAN (THE LADY) (MARGRIT KELLER, PETER VON GUNTEN)

SELECTION CINEMA

Die beiden Autoren haben das Medium Film als blosses Reproduktionsmittel verwendet und es solchermassen voll in den Dienst der Uebermittlung einer vorfilmischen Realität gestellt. Derart wird die Aufmerksamkeit ganz auf das Thema des Dokumentarfilms gelenkt. Dieser ist in erster Linie ein Porträt von Gertrude Duby Blom, welche, seit Beginn der fünfziger Jahre in Südmexiko ansässig, sich mit dem indianischen Volk der Lakandonen beschäftigt.

Durch die Vermittlung der aus dem Kanton Bern ausgewanderten Lady wird der Film zum Bericht über die vermutlich letzten direkten Nachkommen der Mayas. Er berichtet von der bedrohten Existenz dieses Stammes durch multinational-anonyme Eindringlinge, welche den Lebensraum Dschungel mit ihrer Suche nach Edelhölzern und Erdöl zum Verschwinden bringen. Eindrücklich sind die Gespräche mit dem alten Lakandonen Chan K’in, der von den Vorboten der Zerstörung und der kulturellen Entfremdung zu berichten weiss, den Kautschuksammlern, den Missionaren. Dadurch, dass der Film die Persönlichkeit Frau Düby Bloms stärker als informierende Fakten sprechen lässt, reproduziert er die Hilflosigkeit dieser Einzelkämpferin.

Xunan ist so auch ein Dokument der Verirrung der Ethnologie im undurchschaubaren Gestrüpp der international tätigen Wirtschaft. Der Feind der Lakandonen heisst “multinationale Gesellschaften”, “moderne Zivilisation” schlechthin, ist namenlos und anonym, darum kaum mehr bekämpfbar geworden. Der Film berichtet vom offensichtlich unabänderlichen Untergang der indianischen Kultur, und einer Frau, die durch ihren mit aristokratischem Auftreten gepaarten Idealismus Ethno-Touristen aus der ganzen Welt anzieht. Er heftet sich an die Füsse dieser Kennerin der indianischen Lebensweise und verschweigt auch nicht die prekäre, ungeklärte Beziehung zwischen den Autoren und Frau Düby Blom. Die Eigenwilligkeit dieser alteingesessenen Forscherin stösst sich an der natürlichen und unvoreingenommenen Neugier der Neuankömmlinge. Xunan ist so weniger ein journalistischer, klärender Diskurs über ein entlegenes Problem, sondern mehr eine intime Annäherung an daran Beteiligte. Dazu gehören die in den Dschungel eindringenden Filmemacher auch.

Peter Schneider
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]