CYRIL THURSTON

EL SUIZO — UN AMOUR EN ESPAGNE (RICHARD DINDO)

SELECTION CINEMA

Richard Dindo benützt in El Suizo anders als in Schweizer im Spanischen Bürgerkrieg die politische Geschichte Spaniens nur als Hintergrund, um die Geschichte eines nach seiner Identität suchenden Journalisten zu erzählen.

Hans, ein Journalist beim Tages-Anzeiger, unternimmt eine Reise nach Spanien, um den Spuren seines eben verstorbenen Vaters, der auf der Seite der Kommunisten im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Frankisten gekämpft hat, nachzugehen. Kurz vor seiner Abreise wird er von Anne aufgesucht, die, ebenfalls auf der Suche nach ihrem Vater, sich bei Hans nach einem gewissen Hartmann, der im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft hat, erkundigt. Hans, der am nächsten Tag nach Spanien reisen will, versucht Anne zu bewegen, ihn doch auf der Reise zu begleiten. Anne meint jedoch knapp: „Je ne veuxpas d’histoire avec toi!” Wie Hans ihr aber später ein Telegramm schickt und vorgibt, Hinweise auf den Verbleib ihres Vaters gefunden zu haben, reist sie nach und mietet sich im selben Hotel ein. Der etwas starrköpfige, tolpatschig unbeholfene Schweizer verliebt sich in die meist in sich zurückgezogene Anne. Dass diese Liebe keine Zukunft hat, wird jedoch bald klar. Daran vermag auch die sie verbindende Suche nach ihren Wurzeln nichts zu ändern. Anne verliert bald den Wunsch, ihren Vater zu sehen und die Augenscheine an den Orten der Vergangenheit des Vaters von Hans erscheinen ihr absurd.

Anne bleibt für Hans undurchschaubar. Ein grundsätzliches Misstrauen versagt ihr, sich irgendwem anzuvertrauen. So zieht sie es vor, mit ihren Problemen allein zu bleiben. Hans, gefangen in den seinen, kann ihr Vertrauen nicht gewinnen; es scheint, dass Anne sich von ihm zutiefst unverstanden fühlt. Das Gefühl, so oder so alleine zu sein, bewegt Anne denn auch dazu, Hans endgültig zu verlassen.

Bei seinen Nachforschungen trifft Hans auf eine weitere Frau, die Tochter der spanischen Geliebten seines Vaters. Marguerite ist anders als Anne; emotional, offen und direkt. Neben Marguerite wirkt der doch so „schweizerische“ Hans erst recht verstockt. Er weiss nicht, wie er mit soviel Direktheit umgehen soll. Doch auch Marguerite gelingt es nicht, ihr Glück zu realisieren. Sie bricht die Beziehung zu ihrer grossen Liebe, einem holländischen Maler, ab und heiratet, dem Drängen ihrer Mutter folgeleistend, einen standesgemässen Mann. Jahre später meint sie dazu resigniert: „Ich wollte meiner Mutter beweisen, dass ich unglücklich sein werde.“ Die Abhängigkeit von ihrer Mutter hat sie bewogen, deren Geschichte zu wiederholen. Schon ihre Mutter hatte ihre Liebe, den Vater von Hans, aufgegeben, um einen Frankisten in guter Position zu heiraten. Ist es die Erfüllung im Leiden oder das Wissen um die Unentrinnbarkeit des Schicksals, was Marguerite zu diesem Schritt bewogen hat? Oder vielleicht das Bedürfnis nach äusserer Sicherheit? Ein Ziel hat sie damit jedenfalls erreicht. Ihren Wunsch, am Meer wohnen zu können. Doch alle äusseren Umstände täuschen letztlich nicht über ihre tiefe Resignation hinweg. Sie wirkt wie auf ein Abstellgleis geschoben, eingeschlossen mit ihrem Sohn im Haus ihrer Träume.

In dieser Situation sucht Hans sieben Jahre später, wie er erneut anlässlich der Wahlen in Spanien weilt, Marguerite in ihrem Haus in Mallorca auf. Es ist nicht klar, was er von ihr will, doch scheint es, dass er Abschied nehmen will von Erfahrungen und Gefühlen, von einer Zeit, die er somit als endgültig überwunden betrachten möchte. Marguerite ein letztes Mal sehen, heisst für ihn den Schlusspunkt setzen unter die Suche nach seiner Identität in der Vergangenheit.

An diesem Punkt beginnt und endet der Film, der als Rückblende aufgebaut ist.

Richard Dindo verknüpft in El Suizo die individuelle Suche dreier Menschen nach ihrer Identität mit den Geschehnissen eines sich im politischen Wandel begriffenen Landes, Spanien. Man kann sich fragen, was dieser politische Prozess mit dem individuellen der drei Protagonisten zu tun hat. Ob es legitim ist, Geschichte als Kulisse für eine individuelle Identitätssuche zu verwenden. In Dindos Film gibt es keinen zwingenden Grund für diese Verbindung. Genausogut könnte sich die von Dindo gezeigte, zentrale Identitätssuche eines verknorzten Journalisten vor irgendeinem Hintergrund abspielen. Ist das Thema der politischen Vergangenheitsbewältigung Spaniens, oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, das der Hausbesetzer Berlins, das Rudolf Thome in Berlin Chamissoplatz als Kulisse benutzt, nicht zu wichtig, um so verbraten zu werden?

Zuviel und doch zu wenig geht Dindo auf die spezifische Geschichte des Spanischen Bürgerkriegs ein. Keinen Platz haben die sich inhaltlich wiederholenden Besuche bei alten Freunden seines Vaters, die im Off vorgelesenen Briefe oder ein isoliert dastehender Besuch, den Hans einer klandestinen Pressekonferenz der ETA erstattet. So wie Hans vorgibt, nebst persönlichen Motiven seiner Arbeit wegen nach Spanien gereist zu sein, so gibt der Film vor, auf die politischen Hintergründe Spaniens einzutreten, ohne diesen Anspruch einzulösen.

Die Starke des Films liegt in der prägnanten Zeichnung seiner Protagonisten, in seiner konsequenten, wenn auch etwas konventionellen Entwicklung der Haupthandlung. So gesehen kann man am Film nichts kritisieren, äusser, dass er etwas brav, etwas zu gleichförmig an einem vorbeizieht. Dindo hätte besser daran getan, sich auf die individuelle Problematik seiner Protagonisten zu konzentrieren und diese vertiefter darzustellen, als mit viel überflüssigem Hintergrund zum Spanischen Bürgerkrieg, der letztlich keinen Boden findet, abzulenken.

Cyril Thurston
geb. 1957, seit 1982 für die Programmierung des Kinos Xenix in Zürich mitverantwortlich, Mitarbeiter des Filmfestivals Locarno 1987/88, hat verschiedene Kurzfilme realisiert und ist seit 1991 mit einer Senegalesin verheiratet.
(Stand: 2019)
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