FRITZ GÜTTINGER

DIE KINO-KONTROVERSE

ESSAY

Zitatengespräch

Diese Massenversammlung von Meinungen über den Kinobesuch besteht ausschliesslich aus Zitaten, die unverändert in einen Gesprächszusammenhang gebracht wurden, nur dass bei Auslassungen die üblichen Klammern und Punkte fehlen. (Straffung des Wortlauts war manchmal angezeigt, um Geschriebenes der Gesprächsform anzunähern.) Imaginär ist also nur die Montage der Textstellen; was gesagt wird, ist authentisch. Wenn zwei dasselbe sagen, wurde sogar auf die zeitliche Abfolge geachtet.

Die Zitate stammen zum grössten Teil aus der Zeit vor 1914, als tatsächlich ein Streitgespräch für und wider das Kino stattfand; vereinzelt auch aus den frühen zwanziger Jahren. Also aus einem geschlossenen Zeitraum, innerhalb welchem die zeitliche Reihenfolge von untergeordneter Bedeutung ist. Theodor Heuss, von 1905 bis 1918 Redakteur an der Wochenschrift Die Hilfe, sagte 1927: „Wer vor fünfzehn Jahren in einer Redaktion sass, von der nach den Erwartungen der Literaten auch die sogenannte Kulturpolitik betreut wurde, musste damit rechnen, in jeder Woche etwa zwei bis drei Manuskripte zugesandt zu erhalten: das eine wies nach, dass der Film eine neue, ungeahnte Erweiterung des künstlerischen Ausdrucksvermögens bringe, das andere legte mit gleicher Schlüssigkeit klar, dass der Film seiner inneren Natur nach mit Kunst nichts zu tun habe und nie haben könne.“

Kulturfaktor oder Konsumartikel? Auf diese alliterative Formel lässt sich die Kino-Kontroverse bringen. Diejenigen (meist nicht Träger bekannter Namen), die nie über die Fragestellung „Theater (Kunst) oder Kino (Kitsch)“ hinauskamen, wurden zu dem nachfolgenden Marathongespräch allerdings nur in beschränkter Zahl zugelassen. Das Ganze stellt die beträchtlich erweiterte Fassung eines erstmals in der Neuen Zürcher Zeitung vom 26. Oktober 1962 erschienenen Zitatengesprächs dar. Was man daraus herauslesen kann, ist das Verhältnis der Schriftsteller zum Film (als Publikum, nicht als Filmschaffende) und, wenn man will, eine Definition des Stummfilms durch die einzigen artikulierten Kinobesucher jener Zeit.

ERNST MORITZ MUNGENAST Ich habe mich schon oft gefragt, was mich an diesem oder jenem grundgescheiten Menschen plagt, und fand ganz plötzlich die Erklärung in dem Umstand, dass er dem Film gleichgültig oder feindselig gegenübersteht.

HANNS HEINZ EWERS Es gibt Menschen, die nie in Kinemas gehen. Es gibt auch Menschen, die nie ins Bad gehen. Beide Sorten sind mir höchst unsympathisch.

OTTO FLAKE Des Theaters überdrüssig und den Film verachtend — das war in den letzten Jahren mein Verhältnis zur Schauspielerei, und ich denke, es ist dasjenige sehr vieler.

CARL SPITTELER Ich habe mich zum Kinema bekehrt. Noch vor zwei Jahren sein eifriger Verächter, kann es mir heute etwa Vorkommen, dass ich es fünfmal in der Woche besuche.

KARL BLEIBTREU Nulla dies sine Kinema. Ich gehöre zu den ausschweifendsten Kinobesuchern Europas.

SIGISMUND VON RADECKI (nickt zustimmend)

ELSE LASKER-SCHÜLER Wir bekennen uns zu Kinonitern, Schulter an Schulter, ausgerüstet mit Fruchtbonbons, begeistert ziehen wir in manchen blutigen Film.

ALFRED DÖBLIN Nachdem ich mich seit Jahr und Tag gewöhnt habe, mein Kunstbedürfnis faute de mieux in Cinema, Varieté, Zirkus zu befriedigen, bedeutet der erste Gang ins Konzert eine folgenschwere Handlung. Ich schätze alles, was schweigt.

RUDOLF BORCHARDT Wo sass, während die gutgekleidete, feige Klasse der Hochgebildeten sich in Brahms Theater terrorisieren liess - wo sass damals die Menschheit? Wo lachte sie mit den Spässen der Nachfahren von Shakespeares Clowns? Im Varieté, im Zirkus, im Kino sass, mit seinen legitimen Instinkten sich gleich geblieben durch die Jahrhunderte, der Mensch.

ROBERT WALSER Im Kinematographentheater, wo man ja bekanntlich die unerhörtesten und unglaublichsten Sachen zu sehen und zu kosten bekommt.

ELSE LASKER-SCHÜLER Wenn mein Herz gesund wär, spräng ich zuerst aus dem Fenster; dann ging ich in den Kientopp und käm nie wieder heraus.

OTTO ERNST Die Kinosucht ist eine Krankheit.

ERWIN ACKERKNECHT Der Hunger nach gefühlsmässigem Erleben, der die Grossstädter in die Kinos treibt, ist keine moralische Krankheit.

FRANK WEDEKIND Ich verehre das Kinematographentheater und bin häufig sein Gast.

RUDOLF LEONHARD Theater heisst es, weil es etwas zu sehen gibt, nicht etwa weil das Kino, einer Redensart zufolge, die dadurch nicht richtiger wurde, dass man sie häufig zu hören bekam, ’das Theater des kleinen Mannes' ist.

THOMAS MANN Ich besuche sehr häufig Filmhäuser und werde des musikalisch gewürzten Schauvergnügens stundenlang nicht müde.

BERTOLT BRECHT Augsburg hat zwei Kinos. Die wechseln in der Woche einmal das Programm. Da sind höchstens vier Abende besetzt, und ich langweile mich.

FRANK THIESS Der häufige Kinobesucher wird - wie ich das bei intelligenten Menschen feststellen konnte - für ernsthafte Kunstbetrachtung nach und nach verdorben.

FERDINAND HARDEKOPF Ich glaube nicht daran. Anstatt den cinéma zu schelten, geniesse man ihn lieber, naiv und empfänglich, als eine dem Leben nahe Verzauberung.

OTTO ERNST Die Kinodramatik wirft aber unser Publikum in seiner künstlerischen Erziehung um Jahrhunderte zurück.

JULIUS BAB Diese im allerfürchterlichsten Sinne des Wortes naturalistischen Darbietungen werfen den Menschen auf das niedrigste Niveau seiner brutalsten Instinkte zurück.

WALTER MUSCHG Es ist nicht wohlgetan, derart auf den Kino zu schimpfen, wie Sie es da tun.

GEORGE GROSZ Merkwürdig, früher ging ich sehr viel häufiger in ein Kino. Heute bedarf es immer erst der Suggestion von Bekannten und Freunden, die einem sehr eindringlich nahelegen, ja nicht diesen oder jenen Film zu verabsäumen.

BERNARD SHAW Ich, der ich nur höchst ungern ins Theater gehe, komme vom Kino nicht los. Der Schauspieler, den ich am besten kenne, ist Max Linder, obwohl ich ihn noch nie leibhaftig gesehen noch seine Stimme je gehört habe.

GEORGE GROSZ Ja früher, vor dem Krieg, ging ich gern in den Film; es gab ja noch nicht die Original-Autoren-Filme, das Wort Kunst trat noch nicht in jene überhebliche Beziehung zur Filmbranche wie jetzt üblich. Und keinem wäre es beigefallen, etwa Tom Prince oder Max Linder mit dem Erlöser und sozialen Trostbringer zu vergleichen, wie das später Chaplin geschah, von aus den expressionistischen Pantinen gekippten Dichterschwärmern.

IWAN GOLL

GERHARD AUSLEGER (schweigen betroffen)

V. O. STOMPS

CARL EINSTEIN

FELIX SALTEN Wir stehen hier noch so ziemlich am Anfang und wissen nicht, wohin der Weg uns führen wird.

PETER BEHRENS Kino ... quo vadis?

GEORG LUKÄCS Etwas Neues und Schönes ist in unseren Tagen entstanden, doch statt es so zu nehmen, wie es ist, will man es mit allen möglichen Mitteln in alte, unpassende Kategorien einordnen. Man fasst das ’Kino‘ bald als Instrument eines anschaulichen Unterrichts auf, bald als eine billige Konkurrenz der Theater.

CARL SPITTELER Die Naturbilder begrüsst gewiss jedermann mit Dank und Freuden. Ebenso die Vorführung fremder Völker und Gegenden.

LUDWIG THOMA Weiss schon - Naturaufnahmen, wissenschaftliche Filme, herrlicher Anschauungsunterricht, Kenntnis fernster Länder und Menschen usw. Ich möchte nur sehen, wieviele Leute ins Kino gingen, wenn ihnen nur diese Bildungsmittel vorgesetzt würden.

BERNARD SHAW Schon seit einiger Zeit wird, wenn auch nicht sehr laut, nach Lehrfilmen gerufen, womit erfahrungsgemäss etwas gemeint ist, das mit einem Kampf zwischen Tintenfisch und Krebs endet.

LUDWIG THOMA Auch der Anschauungsunterricht hat häufig die Form des abscheulichsten Hintertreppenromans. Ich will aber kein Wehgeschrei erheben über die Verwilderung der Jugend, die man im Kino sieht. Ich glaube gern, dass ihre Phantasie auch auf andere Weise verdorben würde.

CARL SPITTELER Nein, Sittengefährdend ist das Kino jedenfalls nicht, eher das Gegenteil: ultramoralisch, pedantisch moralisch.

BERNARD SHAW Nicht durch Unmoral wird das Kino eine Gefahr, sondern durch seine Allerweltsmoral.

JULIUS BAB Der Kinematograph kann aber seiner Natur nach nichts anderes bringen als die rohesten Vorgänge.

PETER ROSEGGER Der Kinematograph! Zehn Jahre hat’s gebraucht, bis ich mir den Namen merken konnte, und als es endlich zur Not so weit ist, nennen sie ihn ’Lichtspiel'.

HEINZ JAHN Ich habe den Aufsätzen meiner Kollegen entnommen, dass arme Leute in den Kientopp, dass der Mittelstand in das Kino und dass die Reichen in das Lichtbildtheater gehen.

HANNS HEINZ EWERS Der Kientopp! Ich hörte dies Wort zum erstenmal, als ich jetzt wieder nach Berlin zurückkam, und habe mich sofort darin verliebt. Und ich liebe die Berliner, dass sie dies Wort gefunden haben.

ADOLF GRABOWSKY Am schönsten war es doch, als man zwischen ein paar Holzverschlägen sass und auf einer weissen Fläche plötzlich in zagem Flimmern die Welt sich öffnete.

CARLO MIERENDORFF Teuflisch und hinreissend schwangen die Films unserer Kindtage mächtig aus. Zwischen Bretterverschlägen im Dunkel hingebogen vor der Leinwand, bebte unser Herz laut.

KURT KUSENBERG Eine italienische und eine brasilianische Kinderzeitschrift, Märchen, die eine alte Näherin uns Kindern erzählte, und Filme aus der Frühzeit des Kintopp trugen einen optisch-fabulösen Fundus zusammen, von dem ich heute noch lebe.

CARLO MIERENDORFF Da war Opfertod, Der Leidensweg einer Frau, Das Geheimnis des Bergsees, Im Banne der Leidenschaft.

CARL SPITTELER Die Kinodramen sind ja freilich literarisch wertlos. Allein es gibt noch andere Werte als literarische.

ROLAND SCHACHT Glaubt ja nicht, Literatur sei etwas Vornehmes, was Schwereres, und alle Welt müsste euch dankbar sein, wenn ihr den Film auf diese Weise veredelt. Die Welt pfeift euch was.

CARL SPITTELER Es gibt noch andere Werte als literarische: Lebenswerte, Beispielswerte.

STEFAN GROSSMANN Wir sahen das Schauspiel, dass anerkannte und gerühmte Dramatiker und Schriftsteller sich aufmachten und direkt für den photographischen Apparat dichteten ...

Fieberüber- jagt, voll Tränen, erschütternd, Films krass, knallig. Films unvollkommen, arm, rührend vor Hilflosigkeit, kitschig ja, aber noch im Kitsch unerhört.

FERDINAND AVENARIUS Wo sind die (horchen auf) besten alten Filme? Wo finden wir sie, wo werden sie wieder vorgeführt?

KARL BLEIBTREU Die gute alte Zeit des Kinos, wo man sich einen Teufel um Literatur und Wirklichkeit kümmerte!

PAUL LINDAU GERHART HAUPTMANN HERMANN SUDERMANN BERNHARD KELLERMANN ARTHUR SCHNITZLER

CARLO MIERENDORFF Deutlich ist heute, wie tief das Kino verrottete. Als man es für gesellschaftsfähig erklärte, da es als Kunst entdeckt wurde, seitdem spiegelt das Kino nur den Tiefstand bürgerlicher Kultur.

ROBERT WALSER Wer fragt bei Kinostücken nach Autoren!

KASIMIR EDSCHMID Hören Sie, Mierendorff, ist es nicht seltsam, dass sich niemand anbietet, über das Kino zu schreiben, ja niemand bisher auf den Gedanken kam, auch nur die Möglichkeiten zu überdenken, die in ihm

HUGO VON HOFMANNSTHAL JULIUS HART Aber das Kino von heute?

CARL HAUPTMANN Zichorie statt Kaffee.

STEFAN GROSSMANN ... Heute kann man feststellen; das Experiment ist missglückt. Das Bedürfnis nach ’Kinokunst' ist nun gestillt.

CARLO MIERENDORFF Ich habe daran gedacht. Lassen Sie mich darüber schreiben.

FRANZ BLEI Jede ernst gemeinte Schrift zum Thema Kino ist zu begrüssen.

KASIMIR EDSCHMID Hat man je den Mut gehabt, das Spiel auf das Strenge zu richten? Man verzeiht. Man lächelt. Niemand klagt an. O, wenn ich die Kinos hätt’ in meiner Hand!

CARLO MIERENDORFF Hätte ich das Kino! Zehntausend Films gegen den Kapitalismus, die angesehen werden müssen, einfach weil darin Henny Porten ist, die Negri gurrt, Wegener tobt, Erna Morena lächelt. Wer das Kino hat, wird die Welt aushebeln.

ALFRED KERR Ich habe für den Film ganz früh gefochten, als es noch unvornehm war. Ich bin von der Zukunft des Films überzeugt.

KARL HOFFMANN Der Gebildete hält sich für verpflichtet, den Dingen der Kunst gegenüber Bildung zu beweisen. Das hat man satt. Das Unterbewusste hungert nach unvermittelt erlebbarer Fülle, und man findet dergleichen im Kino.

RUDOLF LEONHARD Was uns und was alle ins Kino treibt, ist der brennende Wunsch, sein Lebensgefühl bereichert zu erhalten, sein Leben stärker zu fühlen.

CARLO MIERENDORFF Der Mensch, der sich bloss fragmentarisch spürt, hat den Drang, des Daseins Anfang und Ende in seine Hand zusammenzubiegen.

WILLY RATH Nennen wir den Trieb einfach Lebenshunger. Vor allem der Mensch der Masse ...

KARL BLEIBTREU Auch ich - zu meiner Schande sei’s gestanden - nehme gern ein paar Löffel davon zu mir. Der blühende Unsinn ist gar zu spannend.

WILLY RATH ... der Mensch der Masse, der jugendlich unfertige Mensch, den drängt es ins äussere Leben hinaus. Ist ihm Bekanntschaft mit der weiteren Wirklichkeit versagt, so treibt ihn der Lebenshunger zu einer Ersatzwelt hin, zur Weltwiedergabe, wie er sie in Büchern, im Theater und nunmehr auch im Kino findet.

ROBERT WALSER Möchten nicht überhaupt viele gern von Zeit zu Zeit ergriffen und gerührt sein? Besteht nicht hierin die stärkste Lebenssehnsuchtswoge?

REGINA ULLMANN Wer vermöchte sich jederzeit und in allen Phasen seines Lebens diesem grossen ’Nichts“, dem Kino, zu entziehen, das nur darum vielleicht manchen Menschen so gefährlich wird, weil es ihnen vorübergehend etwas abzunehmen und zu ersparen scheint, was sie im Augenblick nicht zu leisten imstande sind: das Leben!

KARL BLEIBTREU Ich danke meinem Schöpfer, dass ich das Kino noch erlebt habe.

CLAIRE GOLL Im Kino, in fünf Kontinenten zugleich, ist meine Heimat.

GERHARD AUSLEGER Das Kino hasse ich. Bin ihm jahrelang, jahrzehntelang aus dem Weg gelaufen. Kino ist heute: Spekulation, Unkunst, Kitsch.

ERNST MORITZ MUNGENAST Die den Film lieben, werden ihn auch hassen können.

WILLY HAAS Der Film wird von so vielen Idioten auf eine so idiotische Art gehasst, dass einer, der etwas Vernunft hat, den Hassern nichts von seinen Gründen abgeben darf.

ERNST MORITZ MUNGENAST Ein Liebender weiss immer, warum er hasst. Ihm wird die Frage, ob Film Kunst sei, ganz gleichgültig sein; er wird seinen Blick um die Welt wandern und ihn die Millionen Menschen umfassen lassen, die in allen Städten und Städtchen im Kino sitzen, verbunden zu einem grossen, die Erde umfassenden Volke.

LUDWIG THOMA Wenn man sich das vorstellt, wie jeden Nachmittag zur selben Stunde in allen europäischen und hoffentlich auch in den amerikanischen Städten die Augen nass werden über die Schicksale von Männern, die aus Liebe zu einer Gattin oder zu einem kranken Kinde ihnen anvertraute Kassen bestehlen, dann mit Klavierbegleitung ins Zuchthaus hinein und mit Harmoniumbegleitung aus dem Zuchthaus herauswandern, dann kann man sich darüber klarwerden, mit welchem herrlichen Kulturfaktor wir bereichert worden sind.

KURT PINTHUS Doch darf nicht vergessen werden, dass die Sehnsucht nach Kitsch im Menschen unvergänglich und unausrottbar ist. Der Kitsch im Leben und in der Kunst bedeutet für Unzählige das einzige Glückserlebnis ihres armen Daseins.

ROBERT WALSER Für mich ist nicht zweifelhaft, dass Hintertreppenhaftigkeit, die der Gebildete, scheinbar mit Recht, geringschätzt, immerhin ein Stück Welt ausmacht.

KARL BLEIBTREU Ich habe die Nielsen und den Student von Prag und die grausige Herrlichkeit des Kapitän Kidd erlebt, das kann mir niemand rauben.

ROBERT WALSER Solche und ähnliche Dinge sieht der, der fleissig in die Vorführungen und Darbietungen springt und geht, welche vom Kino vorgeführt und dargeboten werden.

JULIUS HART Darbietungen, von denen auch ein so feinsinniger und vornehmer Mensch und Poet wie Johannes Schlaf uns sagt, sie hätten ihn genau so ergriffen und innerlich angeregt und beschäftigt wie Darstellungen unseres Theaters, ja zum Teil gibt er ihnen vor diesen den Vorzug.

MORITZ HEIMANN Der Unterschied ist der, dass im Filmschauspiel der Stoff in seiner kruden Tatsächlichkeit erhalten bleibt, während im echten Schauspiel der Stoff durch das Wort bis auf den letzten Rest aufgezehrt wird.

HANNS HEINZ EWERS Das war es ja gerade, was mich reizte: die Möglichkeit, endlich, endlich einmal des ’Wortes“ entraten zu können, dieses ’Wortes“, das dem Dichter bisher alles war und das dennoch für alle tiefste Empfindung nur ein vages und nie voll ausschöpfendes Surrogat war!

EDUARD KORRODI Wenn Raffael auch ohne Hände ein Künstler wäre, so muss es Wegener auch ohne die Stimme im Kino bleiben, selbst in einem Filmkitsch.

ALFRED BAEUMLER Der Film vermag den tragischen Konflikten wenn nicht den tiefsten, so doch den wirksamsten Ausdruck zu geben.

LUDWIG FULDA Der vom Unfug der Filmdramatik gereinigte Kino wird ohne jede Frage lebensfähig bleiben.

ALFRED BAEUMLER Wenn sich nun eine ernsthafte Filmdramatik herausbildet, was ist daran Schlimmes?

CARL SPITTELER Die Kinodramen sind ja sämtlich Rührstücke und Tugendstücke, ob auch in sensationeller Sauce.

ALFRED BAEUMLER Es ist hochmütiger Wahn, wenn die Gebildeten die Empfindungsweise des Volkes durch Worte wie sentimental und sensationell verächtlich machen.

ALFRED DÖBLIN Man nehme dem Volk und der Jugend nicht die Schundliteratur noch den Kientopp; sie brauchen die sehr blutige Kost ohne die breite Mehlpampe der volkstümlichen Literatur. Der Höhergebildete aber verlässt das Lokal, vor allem froh, dass das Kinema — schweigt.

ALFRED BAEUMLER Die einfachen Elemente des Lebens, die primitiven Erschütterungen der Seele, das ist der Stoff, den das Volk verlangt.

BERTOLT BRECHT Der Irrtum der Dichter aber, die Filme für Kitsch halten und Filme schreiben, ist unverzeihlich. Es gibt wirksame Filme, die auch auf Leute wirken, die sie für Kitsch halten, aber wirksame Filme, die von Leuten stammen, die sie für Kitsch halten, gibt es nicht.

KURT TUCHOLSKY Ich habe eine alte, tief eingewurzelte Liebe zum Kitsch. Die letzte Galavorstellung des Zirkus Wolfson war hinreissend. Aus dem Programmheft ging hervor, dass dieser Film auch einen Inhalt hat - ich habe gar nicht darauf geachtet.

JOSEF GREGOR Das ausserordentlich rasche Vergessen der Filminhalte spricht dafür, dass diese Inhalte gänzlich unwichtig sind.

BÉLA BALÁZS Die ganze Geschichte ist vielleicht einfältig, vielleicht auch kitschig-verlogen. Warum der Held etwas tut, das hat oft keinen Sinn, aber wie er es tut, das hat Naturwärme.

THOMAS MANN Was die Geschichte betrifft, so darf sie sogar albern sein, falls, wie heute fast immer der Fall, die Albernheit ihres Erfindungsgerüstes eingebettet ist in ein lebenswahres szenisch-mimisches Erfindungsdetail, durch welches das Menschliche in hundert Einzelmomenten über die Unwahrheit der Gesamtgestaltung triumphiert.

KARL BLEIBTREU Hier kann man lernen, was das Kinema für die Dramatik bedeutet. Ganz unbedeutende gewöhnliche Szenen, Dinge, Figuren rücken in neue Beleuchtung, nämlich ins wirkliche Leben vor, und man folgt mit lebhafter Spannung einer mindestens bunten Handlung.

KURT PINTHUS Die Handlung interessiert ja wenig.

ROBERT MUSIL Ich sah einen deutschen Film, der einen elenden Kitschroman verkurbelte. Ein solcher Ablauf von Geschehnissen, der Übelkeit verursacht, wenn man sich ihn - lesend - vorstellen muss, wird geschluckt, wenn er vor einen hingestellt wird.

KARL BLEIBTREU Aber halt! Wie kommt es, dass wir erst nachher zur Besinnung kommen, welchen Spuk wir da wohlgefällig angesehen haben? Weil die reizende Bilderfolge trotzdem eine erstaunliche Lebensechtheit atmet.

ALFRED POLGAR Das Störende weg-, das Vervollkommnende hinzuzudenken, ist dem Zuschauer des Kinematographendramas ein leichtes.

CARL SPITTELER Nur ausnahmsweise taugt im Kinemadrama die Handlung etwas, man muss sich an die einzelnen Szenen halten. Kommt zu dem Ausnahmefall noch die ausnehmende Schönheit der Schauspielerin, dann steigert sich der Kunstgenuss bis zum Glücksgefühl ...

KURT PINTHUS Alle Gegner des Films sind sofort zu widerlegen, wenn man ihnen zu erwägen gibt, welch ungeheures Plus an Glücksgefühl der Menschheit mit der Erfindung des Films gegeben ist.

CARL SPITTELER ... Wer die Lyda Borelli in den Kindern der Sünde gesehen hat, wird mir beistimmen.

KARL BLEIBTREU Diese allerneuste Kinogrösse, die Borelli, kommt unmittelbar hinter Asta Nielsen. Es gibt da Züge von so erhabenem Liebreiz, dass man es nie vergisst. Das Stück ist nichts, aber diese Borelli!

PAUL WEGENER Auch in einem nicht allzu guten Film kann eine für das Kino speziell begabte Schauspielerin persönlich und menschlich künstlerisch wirken.

KARL BLEIBTREU Man applaudiert angeblich der Leistung, tatsächlich der Schönheit.

CARL SPITTELER Da durch den Wegfall der Sprache die Mimik und die Gebärde im Kinema die Hauptrolle spielen, so sind die Meister der Mimik und der Gebärde, also die Italiener, hier das Höchste. Und wenn sich zur Meisterschaft noch die Schönheit gesellt, so erhalten wir im Gebiete des Höchsten das Allerhöchste, mit einem Wort: Lyda Borelli.

CARL HAUPTMANN Das Wesen des Films hat die ganze zeitgenössische Kunst massgebend beeinflusst, indem es das Urbereich der Gebärde auftat. Sinn des Films ist die Urmitteilung durch die Gebärde.

CARLO MIERENDORFF Nichts teilt jäher und direkter innere Bewegtheit mit als die Gebärde.

CARL HAUPTMANN Die Seele macht sich auch ohne Wortsprache in der Gebärde verständlich. Nicht bloss die Wortsprache hat seelischen Mitteilungswert.

HUGO VON HOFMANNSTHAL Im tiefsten, ohne es zu wissen, fürchten die Leute die Sprache; sie fürchten in der Sprache das Werkzeug der Gesellschaft. Sie fühlen, das führt nur immer weiter vom eigentlichen Leben weg.

CARL HAUPTMANN Alle expressionistischen Künstler ringen seit langen Jahren um solch neue, lebendige, unmittelbare, jähe Urmitteilung der Seele. Deshalb ist das Bioskop eine der charakteristischsten Entdeckungen auf künstlerischem Gebiet.

FRANK THIESS Als ein zeitweilig gepriesener expressionistischer Poet begeistert Fern Andra besang, musste auch der Literatürling das Kino für den Kunsttempel der Zukunft halten.

WALTER HASENCLEVER (kringelt sich vor Lachen)

ULRICH RAUSCHER Die beste Schauspielerin hab ich im Kientopp gesehen und studiert. Ich weiss jetzt noch jede ihrer Bewegungen, ich habe sie auswendig gelernt wie ein schönes Gedicht, ihre Augen und ihren Mund, die ganze Melodie ihrer Erlebnisse.

B£LA BALÄZS Mienenspielszenen werden wie Strophen eines Gedichts besonders hervorgehoben zu einer eigenen Bedeutsamkeit gesteigert. Man kann sich an sie erinnern wie an ein Zitat aus einem schönen Gedicht.

REGINA ULLMANN Sie haben eine Macht. Und gar, wenn der Mensch traurigen Herzens ist, üben sie eine noch grössere Macht aus, denn der Mensch gibt sich dann freiwillig preis an die Schatten, gesellt sich ihnen zu und verflüchtigt sich.

BERNARD VON BRENTANO Man verlässt das Kino erschüttert von der Wirkung. Man geht die Strasse hinunter und möchte anfangen zu leben und aufhören zugleich.

ALFRED KERR Manchmal erschüttert mich der Film, wo das gesprochene Wort mich unerschüttert liess. Weil jeder sich Worte dazudenken kann, die sein Gefühl ihm einflösst ...

VICTOR KLEMPERER ... findet der Gebildete an den Volksstücken des Kinematographen einen innigeren Genuss als an den literarischen Dichtungen der modernen Bühne.

ROBERT MUSIL Es ist vielleicht gar nicht schlecht, wenn man zu der Frage gezwungen wird: wozu eigentlich Worte?

ROBERT WALSER Wahr ist, ich geh nicht häufig ins Theater. Man hat einzusehen begonnen, dass der Genuss eines Theaterabends nicht nur ein Genuss ist, sondern auch Kräfte in Anspruch nimmt, und man zog den Kinobesuch vor.

ALFRED DÖBLIN Das Theater der kleinen Leute ...

DIE GANZE RUNDE (schaut schweigend in die Runde)

CARL SPITTELER (bricht das Schweigen): Ich gestehe, oft aus dem Kinema im tiefsten Herzen ergriffen und erschüttert zurückzukehren.

WALTER BLOEM d. J. Wer ins Lichtspiel geht, will nicht denken, sondern fühlend erleben.

THEODOR HEINRICH MAYER Die Grenzen der Photographie sind grösstenteils auch die der Kinematographie. Keine von beiden soll Gedankenkunst sein.

BETA BALÄZS Ins Kino geht man nicht um zu denken, sondern um zu sehen.

ROLAND SCHACHT Der Film ist ein Konsumartikel.

KURT TUCHOLSKY Ich weiss nur nicht, was die Lieblingsfrau des Maharadscha (3. Teil) mit uns andern zu tun hat.

WOLFGANG PETZET Die Welt der Filmautoren und unser Dasein hätten eigentlich gar nichts miteinander zu tun, wenn Anna May Wong nicht wäre.

EUGEN GÜRSTER Solche Filme hinterlassen im Zuschauer ein recht zwiespältiges Gefühl: er hat das filmisch-optische Erlebnis ausserordentlich wohlgeratener und unvergesslicher Menschen gehabt und doch dieses Erlebnis mit einer Beleidigung seines guten Geschmacks bezahlen müssen.

WALTER BLOEM d.J. Hauptsache ist und bleibt die seelische Ergriffenheit der Zuschauer.

KARL BLEIBTREU Recht auf Glück - hier siegt die Tugend. Am Schluss traten mir altem Sünder wirklich Tränen in die Augen.

THOMAS MANN Sagen Sie mir doch, warum man im Cinema jeden Augenblick weint oder vielmehr heult wie ein Dienstmädchen.

PETER ALTENBERG Meine zarte 15jährige Freundin und ich, 52jähriger, haben bei dem Natursketch ’Unter dem Sternenhimmel“, in dem ein armer französischer Schiffzieher seine tote Braut flussaufwärts zieht, schwer und langsam, durch blühende Wiesen, heiss geweint.

THOMAS MANN Wir waren neulich alle bei der Erstaufführung der Grossen Parade, auch Olaf Gulbransson, dem wir am Ausgang begegneten. Der lustige, muskulöse Eskimo war tränenüberschwemmt. Ich habe mich noch nicht abgetrocknet“, sagte er entschuldigend, und wir standen noch lange mit feuchten Augen in einfältiger Gelöstheit beieinander.

FRANK THIESS Der Film ist nur für die Masse da, und die durch ihn getroffenen Empfindungen sind Massenempfindungen, weshalb auch geistig sehr hochstehende Persönlichkeiten nur darum gern ins Kino gehen, um wieder einmal Kollektivempfindungen zu haben.

OTTO FLAKE Ich gehe nicht ins Lichtspiel, um mich auf das Niveau des Dienstmädchens zu begeben, sondern um Ersatz für das erledigte Theater zu suchen.

ERNST HOWALD Im athenischen Theater haben wir die Masse. An diese stellt das Tragische im Sinne unserer deutschen Klassiker zu hohe Anforderungen. Wir müssen also, um eine griechische Tragödie zu verstehen, jene Regungen in uns aufkommen lassen, die wir als Kollektivgefühle kennen. Wir müssen so harmlos sein wie vor dem Film.

CARLO MIERENDORFF Das Publikum des Kino ist das klassenlose Publikum.

FRANZ PFEMFERT Das alles ändert daran nichts, dass das Kino den Geschmack des Volkes verwüstet.

JULIUS HART Kinematographen und Phonographen sind nun einmal Maschinen, keine kunstschöpferischen Wesen.

PETER ALTENBERG (springt auf): Ich schleudere hiermit meinen Bannfluch gegen alle, die sich in neuerer Zeit gegen die Kinotheater wenden!

KASIMIR EDSCHMID Ich bin für den Film, wenn es mir Lust macht, und dagegen, Bannstrahle ’gegen Unbekannt“ zu schleudern und da von Kunst zu reden, wo es ums Geldverdienen geht.

KURT TUCHOLSKY Nie hat Industrie und Kapital so frech behauptet, Kultur zu spenden, wie heute; nie ist ihnen das so geglaubt worden wie heute.

CARL SPITTELER Was hat mich trotz alledem mit dem Kino versöhnt und befreundet? Nun, tausenderlei Sehenswürdigkeiten, von denen ich die wichtigsten nicht einmal berühren kann, weil sie besondere ästhetische Abhandlungen beanspruchen, die ich mir Vorbehalte. Wenn ich z.B. an Pina Menichelli in Feuer der Liebe denke ...

ALFRED POLGAR Eine bessere Liebe als die zwischen Romeo und Isolde ... Jetzt frage ich: Warum wäre das im Theater unerträglich und ist im Kinematographen so hübsch?

THOMAS MANN Eine genauere Äusserung über den Film, an die ich zuweilen denke, muss ich mir für ungebundenere Tage Vorbehalten.

ROBERT WALSER Ich glaube das Gefühl haben zu dürfen, das Theater hoffe, ich würde zu bewegen sein, ihm vor dem Kino den Vorzug zu geben, dessen Vorführungen mich hauptsächlich um ihrer Weltgeschichtlichkeit willen zu bezaubern imstande sind.

FRANZ KAFKA Masslose Unterhaltung.

ROBERT WALSER Und dann die Schnelligkeit, dieses graziöse Vorüberhuschen der Bedeutungen, als sitze man abends beim Lampenlicht in einer Herberge am Tische und blättere in einem Bilderbuch, das voll unaussprechlichen Lebens ist.

MAX BROD Es entzückt mich, dass gerade durch diese Edisonerfindung, die anfangs nur nüchtern kopiertes Leben sein wollte, so viel phantastisches Theater in die Welt gekommen ist.

HUGO ZEHDER Nichts ist phantastischer als die Wirklichkeit. Der Film ergreift sie. Nicht wider den guten Geschmack, aber gegen die Tatsache, dass der Film Ausdrucksmittel unserer Zeit ist, verstösst die antiquarische Liebhaberei, historische Stoffe auszugraben, Mumien zu wecken, um sie mit altem, verstaubtem Kulissenrequisit ausgerechnet im Film - dieser modernsten der modernen Erfindungen - auferstehen zu lassen.

CARLO MIERENDORFF Gefilmter Ägypter, o Anachronismus!

KARL BLEIBTREU Von diesem Humbug möchte man sich gern bei Manzonis 'Verlobten erholen. Doch alles wird in die Länge gezogen - 214 Stunden klassischer Langeweile. Nach so unerfreulicher Schwergeburt tut doppelt wohl Der Eid des Stefan Hüller. Trotz 2'/2stündiger Dauer langweilt man sich keinen Augenblick.

FELIX MOESCHLIN Man ist im Film sehr empfindlich für Langeweile.

FRANZ BLEI Man filme Lebensläufe unserer Zeit.

KARL BLEIBTREU Solide Films, wo nämlich wirklich schöne und neue Bilder zwanglos ohne jede Unnatur sich abrollen.

HEINRICH MANN In der alltäglichen Filmproduktion kommen Geist und Geschmack zu kurz.

PETER ROSEGGER Das Kino ist eine höchst geistreiche Sache - ohne Geist zu haben.

FERDINAND HARDEKOPF Es ist geistige Arbeit, die dem Publikum durch ein neues Reproduktionsverfahren übermittelt wird.

GOTTFRIED BENN Über den Trümmern einer kranken Zeit hatte sich zusammengefunden die Bewegung und der Geist, ohne Zwischentritt.

VICTOR KLEMPERER Sitze ich zwei Abendstunden vor der Leinwand ...

ALFRED POLGAR ... der Leinwand, die, seit die kaputten Bretter das nicht mehr tun, die Welt bedeutet ...

VICTOR KLEMPERER ... so ist es doch ganz gewiss, dass die Kinoaufführung ein ehrlicheres Volksstück bietet als irgendeine Bühne.

WALTER MUSCHG Was kümmert uns die ererbte Bühne, was das vergebliche Kunstgerede dieser ganzen Gegenwart? Was schert es uns noch, nachdem dies vollkommen Neue, dies neue Vollkommene unsere Augen ergriffen hat? Nicht besonders viel.

JULIUS HART Der Kinematograph ist ein Apparat, der auf die Aussenwelt eingestellt werden kann, nicht auf unser inneres seelisches und geistiges Vorstellungsvermögen.

VICTOR KLEMPERER Und doch bietet der Film nicht etwa seelenlose Zirkuskünste, sondern in seinen bewegten Körpern sind Seelen verborgen, der Zuschauer muss sie erraten, er muss sich selber den Bildertext schreiben.

ROBERT MUSIL Der Film macht die Seele wohl scheinbar unmittelbar sichtbar und den Gedanken zum Erlebnis, in Wahrheit hängt dabei die Interpretation jeder einzelnen Gebärde von dem Reichtum an Interpretationshilfen ab, den der Beschauer mitbringt.

VICTOR KLEMPERER Dieses ständige Beseelenmüssen ist es offenbar, was den Ernst und die Andacht des Publikums hervorbringt, indem es aus Zuschauern Mitschaffende macht.

KARL BLEIBTREU Ob der Regisseur sich wohl alle die psychologischen Feinheiten klarmachte, die mir so wohltun?

VICTOR KLEMPERER Niemand hindert den Gebildeten, den Text des gleichen Bildes tiefer und eigenwilliger zu verfassen, als ihn vielleicht ein roherer Nachbar herstellt - aber verfassen muss er ihn.

ALFRED BAEUMLER Der Film macht aktiv, der Zuschauer muss mitarbeiten, sonst geht alles für ihn verloren.

WALTER HASENCLEVER Seine Modernität äussert sich darin, dass er Idioten und Geister in gleichem Masse, doch auf andere Art zu befriedigen vermag, jeden nach seiner seelischen Struktur.

KURT TUCHOLSKY Wir glauben die Menschen zu kennen, wenn wir ihre Zeitungen lesen und die Bücher, die gerade Erfolg haben. Falsch. Heute müssen wir sie im Kino aufsuchen: da sind sie ganz, da sind sie Mensch, da darf man’s sein - da ist Leben und Liebe, Leidenschaft und leichter Sinn - da sind sie ganz.

HUGO VON HOFMANNSTHAL Es ist der ganze Mensch, der sich diesem Schauspiel hingibt; mit allem, was in ihm ist, bis in die geheimste Falte, starrt er auf dieses flimmernde Lebensrad, das sich ewig dreht.

NORBERT JACQUES Wie die Musik dringt auch das Bildwerk des Films unmittelbar durch das Auge in den Sitz des Gemüts.

ROBERT MUSIL Vor allem spricht für ihn sein verstümmeltes Wesen als ein auf bewegte Schatten reduziertes Geschehen, das dennoch eine Illusion des Lebens erzeugt. Jede Kunst ist eine solche Abspaltung; sie erscheint als eine Brücke, die vom festen Boden sich so wegwölbt, als besäss sie im Imaginären ein Widerlager.

EGON FRIEDELL Dadurch dass den Sinnen weniger gegeben wird, wird der Einbildungskraft mehr gegeben. Hundert Deutungen sind möglich, und alle sind richtig.

ISABELLA KAISER Ich sehe im Kino, was ich sehen will, und lange nicht, was man mir zeigt.

HUGO VON HOFMANNSTHAL Es ist wie ein Schalten und Walten mit diesen stummen, dienstbar vorüberhastenden Bildern, ein Schalten und Walten mit ganzen Existenzen.

ISABELLA KAISER Im Kino zaubert unsere Phantasie unwillkürlich auf den Lippen der stummen Menschen die schönsten Rollen. Wir können ihrer Mimik die edelsten Gefühle und die tiefsten Leiden unterschieben: wir werden selbst zum Dichter.

HERBERT EULENBERG Die fehlenden Stimmen und Geräusche ersetzt unser Ohr wie von selbst.

VICTOR KLEMPERER Aber Musik muss sein.

CARL SPITTELER Die Musik hat mich schon oft in schleunige Flucht gejagt-.....

ERNST BLOCH Wenn die Töne dem Lichtbild einen Teppich unterbreiten, der aus der umfassenden, affektreichen Stärke der Wirklichkeit ohne deren Inhalte gewoben ist, so fehlt das Kriterium der Notwendigkeit. Dies ist nur deshalb nicht so stark fühlbar, weil ein guter Teppich zu allen Möbeln passt.

BÉLA BALÁZS Auffallend ist ja, dass wir nur das Fehlen der Musik sofort wahrnehmen, ihr Dasein beachten wir gar nicht.

CARLO MIERENDORFF Wenn die Musik aufhört, wird es gespenstisch.

FRIEDRICH SIEBURG Während der ’Fürst der Diebe* im Auto seinen Verfolgern entbrauste, entschlossen sich die Musiker plötzlich, Abendbrot zu essen. Die Musik brach ab. Stille. Das Filmband surrte. Die Handlung hastete weiter. Ich sage Ihnen, es war beängstigend. Die Handelnden waren wie im Schlaf, lautlos agierten Leichen. Da ich nicht wusste, was daraus werden würde, entfernte ich mich vorsichtig.

CARL SPITTELER Die Vergeisterung des Weltbildes durch die Lautlosigkeit.

HUGO VON HOFMANNSTHAL Dass diese Bilder stumm sind, ist ein Reiz mehr; sie sind stumm wie Träume.

FRIEDRICH KAYSSLER Die geheimnisvolle Lautlosigkeit der sich abrollenden Geschehnisse, begleitet von einer meist unsichtbaren Musik, verstärkt den Eindruck des Traumhaften.

THEODOR HEINRICH MAYER Es lassen sich so viele Berührungspunkte mit Traumerscheinungen nachweisen, dass das Traumgefühl als im Prinzip des Kinematographen liegend angenommen werden muss.

FRIEDRICH KAYSSLER In dieser Ähnlichkeit liegt für mein Gefühl ein wesentlicher Teil des allgemeinen Zaubers, den der Film als solcher auf die Menschen ausströmt.

HANNS HEINZ EWERS Auf der Bühne des Theaters reden die Menschen, zwingen mich achtzugeben auf das, was sie sagen, ihren Gedanken zu folgen. Im Kinema aber kann ich träumen. Ich lebe in der Welt des Wunderbaren, und diese Welt ist doch nur lebendig durch meine Träume.

ALFRED KERR Worte können den Zuschauer wecken, den Traum zerreissen.

MAX KRETZER In dieser Beziehung gleichen die lebenden Photographien einem wandelnden Traum, den wir wie einen Wirklichkeitsspuk an uns vorüberziehen lassen, machtlos gegen die Wahrscheinlichkeitskontrolle, nach der unsere Vernunft förmlich schreit.

ALBERT HELLWIG Erste Wirkung der Schundfilme: dass durch sie eine verderbliche Trübung des Wirklichkeitssinnes stattfindet.

GEORGE GROSZ Seltsamerweise wird der Mensch oder, vorsichtiger gesagt, mancher Mensch vom Abbild der Dinge oft tiefer befriedigt als von den Dingen selbst.

HUGO VON HOFMANNSTHAL Der vollgepfropfte, halbdunkle Raum mit den vorüberflirrenden Bildern ist mir, ich kann es nicht anders sagen,, beinahe ehrwürdig, als die Stätte, wo die Menschen in einem dunklen Selbsterhaltungsdrange hinflüchten, von der Ziffer zur Vision.

CARLO MIERENDORFF Schon scheint es, der Mensch muss ins Kino, um sich zu erhalten.

FRIEDRICH FREKSA Der Kinematograph ist für unsere Tage ebenso wichtig wie seinerzeit die Kartoffel, die die Ernährung der schnell anschwellenden Menschenmassen ermöglichte.

GERHART HAUPTMANN Der Bedarf an Kinoschöpfungen ist so gewaltig, dass man diese geistige Nahrung recht wohl, ähnlich wie Brot und Kartoffeln, ein Volksnahrungsmittel nennen kann.

CARL HAUPTMANN (unterdrückt ein Lächeln)

ARNOLT BRONNEN Alle liefen wir herum, Filme im Kopf und in der Brusttasche.

ALFRED DÖBLIN Ich zweifle nicht, fast alle haben wir mal Filme geschrieben.

WILHELM SCHÄFER In der masslosen Beliebtheit des Kino tritt eigentlich nichts zutage, als was das ’Volk“ in der Literatur sucht und zwar im Theater wie im Buch.

ALFRED KERR Mitunter denkt man vor einem erbärmlichen Sprechstück: wenn ich schon zwischen Schund und Schund wählen soll, dann lieber den neuen, genialen, zukunftsvollen Schund als den abgetakelten, maroden Schund.

GEORG LUKÁCS Die Bühne ist die absolute Gegenwart. Das Fehlen dieser Gegenwart ist das wesentliche Kennzeichen des Kino. Nicht weil die Gestalten sich heute noch stumm bewegen müssen, sondern weil sie eben nur Bewegungen und Taten von Menschen sind, aber keine Menschen.

THOMAS MANN Sie sind lebendige Schatten. Sie sprechen nicht, sie sind nicht, sie waren.

ARNOLT BRONNEN Unvergessen sind die grossen Filme dieser Zeit, vom Caligari bis zur Tragödie der Liebe. Sie waren die eigentlichen, die wesentlichen Erlebnisse dieser Jahre.

JULIUS BAB Ich für mein Teil bin der Ansicht, dass die seelische Vergiftung durch die Filmdramatik der körperlichen Alkoholvergiftung durchaus nicht an Gemeingefährlichkeit nachsteht.

CARLO MIERENDORFF Es gab gute Films. Wo sind sie? Wer durfte es wagen, sie zum Gerümpel zu werfen?

LUDWIG FULDA Man betrachte doch nur die Plakate vor den kleineren und kleinsten dieser Institute und frage sich, ob der nach Labung dürstenden Volksseele hier nicht nachgerade ein geistiger Methylalkohol ausgeschenkt wird.

JULIUS BAB Man kann behaupten, dass der Riesenerfolg der Filmbühnen sich daher schreibt, dass ihnen die Behörden das Leben so viel leichter machen als allen Konkurrenzinstituten.

LUDWIG FULDA Was also soll geschehen?

BERNARD SHAW Der Staat sollte das Kino subventionieren, wie er jede Art von Kunst in dem Masse unterstützen sollte, dass sie in ihrer höchsten Form des Wettbewerbs enthoben ist.

OTTO ERNST Unsere Gesetze kennen ’berechtigte Interessen“, sobald es sich um eine Mark fünfzig handelt; aber sie kennen nichts dergleichen, wenn edelste Güter der Volksseele vernichtet werden.

CARL SPITTELER Ist es wahr, man will unsere Lichtspieltheater noch mehr belästigen, noch peinlicher einschränken und bevormunden, noch lächerlicher ängstlich zensieren, überhaupt noch misstrauischer behandeln, als wären sie ein öffentliches Übel?

LUDWIG FULDA Die unbillige Bevorzugung des Kinos vor dem Theater muss aufhören. Die bestehenden Gesetze und Verordnungen müssen dahin berichtigt und ergänzt werden.

CARL SPITTELER

Schade, dass ich nicht in der Behörde zu sitzen die Ehre habe, sonst würde ich mir den Gegenantrag erlauben, die stummen Lichtspieltheater genau so zu behandeln wie die sprechenden und singenden Stadttheater, nämlich sie mit allen Mitteln zu fördern und zu unterstützen.

Literatur

Harry M. Geduld (Hg.): Authors on Film. Indiana University Press, Bloomington und London: 1972.

Ludwig Greve (Hg.): Hätte ich das Kino! Ausstellungskatalog des Deutschen Literaturarchivs. Marbach a.N., 1976.

Anton Kaes (Hg.): Kino-Debatte. Literatur und Film 1909 -1929. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1978.

Walter Fritz: Kino in Österreich. Der Stummfilm 1896 -1930. Wien: Österreichischer Bundesverlag, 1981.

Hans Stempel/Manfred Ripkens (Hg.): Das Kino im Kopf. Zürich: Arche Verlag, 1984.

Heinrich Heller: Literarische Intelligenz und Film. Tübingen: Max Niemeyer Verlag, 1985.

Franz-Josef Albersmeier: Die Herausforderung an die französische Literatur. Die Epoche des Stummfilms 1895 -1930. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag, 1985.

Helmut H. Diederichs: Anfänge deutscher Filmkritik. Stuttgart: Verlag Robert Fischer & Uwe Wiedleroither, 1986.

Hanns Zischler: „Masslose Unterhaltung/Franz Kafka geht ins Kino“, in: Freibeuter 16, Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 1983

Quellenangaben

zu den einzelnen Textstellen hätten den Umfang des Beitrags verdoppelt; sie sind aber vorhanden - mit einigen Ausnahmen - in den beiden Werken des Verfassers: Der Stummfilm im Zitat der Zeit und Kein Tag ohne Kino

Schriftsteller über den Stumm film (beide Frankfurt a.M.: Deutsches Filmmuseum, 1984), wo man sie über das Personenregister auffinden kann.

Fritz Güttinger
geb. 1907, studierte Germanistik und Anglistik in Zürich, London und Berlin, arbeitet als Übersetzer und Publizist in Zürich.
(Stand: 2019)
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