LILIAN RÄBER

MAGIC MATTERHORN (ANKA SCHMID)

SELECTION CINEMA

Heimat ist ein wichtiges Thema des Schweizer Dokumentarfilms. Der zweite Film, den Anka Schmid im dokumentarischen Genre realisiert hat, stellt sich ebenfalls die Frage nach der Heimat, die immer mit der Frage nach der Identität verknüpft ist. Schmid stellt ein touristisches Symbol ins Zentrum: das Matterhorn. In Zermatt hat die Filmemacherin zwei Jahre recherchiert, hat versucht, den unterschiedlichen Bedeutungen auf die Schliche zu kommen, die das Matterhorn hat - für die Anwohnerinnen und Anwohner und für die Menschen, die anreisen, um es sich anzusehen. Daß dabei allen der Referenzpunkt abhanden gekommen ist, wird deutlich - oder umgekehrt formuliert: An einem symbolischen Ort läßt sich nicht über das Thema Heimat reflektieren, weil Symbole nicht für etwas »Echtes« stehen, das, was die Leute erzählen, aber etwas mit ihrer Realität zu tun hat. Zu diesem Schluß kommt nun Anka Schmid leider nicht. Beharrlich unterbricht sie ihre Interviewpartner aus dem Off mit stereotypen Fragen. An den unmöglichsten Orten und zu den unmöglichsten Zeiten will sie immer nur eines wissen: Wie ist das Verhältnis der Befragten zur Heimat und/oder dem Matterhorn.

Verschnitten werden solche Sequenzen mit Auftritten der göttlichen Geschwister Pfister und den Lebensweisheiten des kalifornischen Disneyland-Jodlers Fred Burri. Beide haben sich in ihren Shows in verschiedener Weise auf den rein symbolischen Ort »Heimat Schweiz« zurückgezogen und produzieren Edelweiße, Kühe und Folklore en mässe. Diese Einschübe ernten genauso viele Lacher im Publikum wie die breit ausgewalzten Beschreibungen und Titel, die den Touristinnen und Touristen aus aller Welt im Angesicht des Matterhorns einfallen. Wären da nicht jene Stellen, in denen eine ernsthafte Stimme in perfektem Hochdeutsch den von Nicole Müller verfaßten Kommentar zum Thema Heimat abgibt, das ganze Projekt müßte als eine einzige Verballhornung dastehen. Daß Anka Schmid es nicht

so gemeint hat, verdeutlicht auch eine Szene gegen den Schluß, in der ein Bauer den Verlust mehrerer Schafe beklagt. Die Kamera zeigt den Berg, böse und bedrohlich in Wolken gehüllt - und in der folgenden Sequenz spricht man von Geistern und unheimlichen Begegnungen. Plötzlich werden Mythen ernst genommen. Wenn am Anfang nur klar war, was Heimat nicht sein kann, so steht gegen Ende nicht einmal dies mehr fest.

Lilian Räber
geb. 1967, ist Historikerin und arbeitet als freie Filmjournalistin - vorwiegend für die WochenZeitung, lebt in Zürich.
(Stand: 2019)
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