NATHALIE JANCSO

CHRIGU (JAN GASSMANN, CHRISTIAN ZIÖRJEN)

SELECTION CINEMA

«Der Film soll nicht traurig sein, nicht moralisieren, er soll lustig werden.» Mit dieser Bitte an seinen besten Freund und Mitfilmer Jan Gassmann verabschiedet sich der 24-jährige Christian Ziörjen, genannt Chrigu, vor der Kamera. Chrigu, die beeindruckende Dokumentation über sein Leben und Sterben, wurde nach seinem Tod von Gassmann geschnitten und von Thomas Jörg, einem anderen Freund, produziert.

Chrigus Geschichte geht nahe. Sie zeigt einen Teenager voller Lebensfreude, einen, der Dinge anreisst und gerne im Mittelpunkt steht, mit Freunden nach Indien reist, wilde Partys feiert, mit 16 Jahren seinen ersten Film dreht und damit die Welt verändern will. Und dann plötzlich mit 21 die Diagnose: Chrigu hat PNET, einen seltenen, bösartigen Tumor zwischen zwei Halswirbeln, in fortgeschrittenem Stadium.

Während seiner ersten Chemotherapie filmt sich Chrigu selbst. Diese Selbstinszenierungen helfen ihm, mit der neuen Situation klarzukommen. Fragen nach dem Sinn der Krankheit wechseln ab mit humorvollen Bestandesaufnahmen eines Lebens im Ausnahmezustand. Gefilmt in der selbstreflexiven Ästhetik eines verwackelten Homevideos, inszeniert sich Chrigu, wie er sich gerne sehen will.

Als er einen Rückfall hat und nicht mehr fähig ist, selber zu filmen, bittet er seinen Freund Jan Gassmann, zu dokumentieren, was ihn auf dem Weg ins Ungewisse erwartet. Damit wird der Film auch zum Dokument einer Freundschaft. Die Krankheit verändert den Protagonisten, nicht nur äusserlich, sondern auch in seiner Haltung zum Leben. Bis zum Schluss will Chrigu weiterleben, aber irgendwann muss er sich in das Unvermeidliche fügen. Kurz vor seinem Tod wird abgeblendet.

Die teils sehr verwackelten Videobilder und die wilde Montage, die Bilder von Chrigus Indienreise mit Aufnahmen im abgedunkelten Spitalzimmer verbindet, um gleich darauf ihn und seine Freunde beim Herumalbern und Spaghettikochen zu zeigen, machen es einem nicht leicht, der Geschichte zu folgen. Erst nach und nach wird erkennbar, wie die verschiedenen Lebensphasen und der Krankheitsverlauf zeitlich einzuordnen sind. Als Klammer und roter Faden dient eine Zugfahrt, die nach Chrigus Tod stattfindet: Die Hinterbliebenen fahren an den Inn, um Chrigus letzten Wunsch zu erfüllen: Seine Asche soll «in einem Fluss, der nach Osten fliesst», verstreut werden.

Chrigu schafft es, durch die nonchalante Verbindung von leichten und schweren Momenten, vom Leben mit dem Sterben, die Leidensgeschichte in all ihren Facetten zu vermitteln.

Chrigus Bitte wurde von seinen Freunden beherzigt: Der Film moralisiert nicht, er bringt durchaus mal zum Lachen. Aber er kann auch zu Tränen rühren, einfach, weil der Protagonist in jeder Einstellung wahrhaftig bleibt und einen durch seine direkte Art berührt.

Nathalie Jancso
*1969, Studium der Anglistik, Filmwissenschaft und Germanistik an der Universität Zürich. Arbeitet als Filmredaktorin beim Schweizer Fernsehen und war von 2007 bis 2011 Mitglied der CINEMA-Redaktion.
(Stand: 2013)
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