RENÉ MÜLLER

TAUSEND OZEANE (LUKI FRIEDEN)

SELECTION CINEMA

Der 24-jährige Meikel (Max Riemelt) soll in die Fussstapfen seines Vaters treten, der ein eigenes Autogeschäft führt. Vor versammelter Belegschaft will der verhärmte Vater (Thierry van Werveke) seinen Sohn als Nachfolger feiern. Doch plötzlich taucht Björn (Maximilian Simonischek), der beste Freund von Meikel, auf und befreit diesen aus der peinlichen Situation. Björn überredet Meikel, eine Reise zu unternehmen: Last-Minute auf die Malediven. Hin und her gerissen zwischen familiärem Pfilchtbewusstsein und jugendlicher Unternehmungslust entscheidet sich Meikel für den spontanen Trip. Bereits wenige Stunden später geniessen die beiden Freunde das paradiesische Inseldasein in vollen Zügen. Doch kein Urlaub währt ewig, und so naht schon bald die Heimreise. Jedenfalls für Meikel, denn Björn will nicht mehr zurück in die kalte Heimat ... Wieder zu Hause muss Meikel feststellen, dass sich seine Familie plötzlich distanziert und rätselhaft verhält – als hätte sich während seiner Abwesenheit eine Katastrophe ereignet. Meikel ist ratlos und will herausfinden, was geschehen ist. Es zieht ihn zurück zu Björn, doch die Insel scheint plötzlich nicht mehr zu existieren, und alle scheinen ihn daran hindern zu wollen, wieder mit Björn Kontakt aufzunehmen.

Tausend Ozeane eifert keinem Aussteiger Drama oder Mystery-Thriller nach, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sondern erzählt auf eigenwillige Weise eine brutale, aber alltägliche Geschichte. Der Abstecher auf die Malediven – in «Gottes goldene Badewanne» wie eine Figur nebenbei bemerkt – gerät zu einem ambitionierten Versuch, eigentlich undarstellbare Vorgänge zu visualisieren. Luki Friedens Film steht damit ziemlich solitär in der Schweizer (und vielleicht sogar internationalen) Filmlandschaft. Auch wenn er unweigerlich stark auf Metaphern setzen muss, um sein schwieriges Ziel zu erreichen, fühlt man sich als Zuschauer stets ernst genommen. Schliesslich ist es auch verständlich, dass der Film nicht zu einem Happy End finden kann, und Frieden konsequent auf einen mutigen und – immerhin – tröstlichen Schluss setzt. Besonders hervorgehoben werden muss die Kameraarbeit von Carlo Thiel, der eine teils ungewöhnliche Bildsprache pflegt, die zwischen Präzision und Irritation genau die richtige Stimmung für diesen Spielfilm findet.

Nach November (CH 2003) ist Tausend Ozeane erst der zweite Kinofilm des Thuner Regisseurs. Tausend Ozeane lief im internationalen Wettbewerb des Zurich Film Festivals 2008 und erhielt den Berner Filmpreis 2008. Die Jury des mit 15 000 Franken dotierten Preises überzeugte die gelungene Mischung aus formalem Experiment und massentauglicher Unterhaltung: «Auf mehreren fliessend ineinander montierten Ebenen erzählt der Film eine komplexe Geschichte, die emotional gefangen nimmt und tief berührt.»

René Müller
*1977, Studium der Filmwissenschaft, Publizistik und Neueren Deutschen Literatur in Zürich und Paris. Er ist beim Migros Museum für Gegenwartskunst für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Von 2007 bis 2012 Redaktionsmitglied von CINEMA.
(Stand: 2014)
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