SASCHA LARA BLEULER

THE END OF TIME (PETER METTLER)

SELECTION CINEMA

Peter Mettler ist ein Filmemacher, der sich viel Zeit lässt für seine Werke. Ähnlich musikalischen Kompositionen, klingen seine Filme oftmals jahrelang nach. Wenn dann endlich der nächste Mettler’sche Wurf auf die Leinwand kommt, stellen wir erschüttert fest, dass wir zehn Jahre älter geworden sind. Die individuelle Wahrnehmung dieser Zeitspanne hängt von tausend ineinandergreifenden Faktoren ab – dies visualisiert Mettlers neuer Film, der sich wie schon Gambling, Gods and LSD (2002) mit metaphysischen Fragen unseres Daseins auseinandersetzt. Mettlers Kamera sucht nach Bildern, die uns zu Grenzgängern der Wissenschaft, zu zeitlos Zeitreisenden machen. Der kanadisch-schweizerische Filme­macher stellt die Fragen dort, wo sich die Antworten unserer Vorstellungskraft entziehen, seine Aufnahmen verhandeln, was Kant als das «unhintertreibliche Bedürfnis» des modernen, sinnsuchenden Menschen beschreibt. Mettler findet Poesie in der konzentrierten Geduld einer Katze vor dem Mausloch und montiert assoziativ Aussagen von meditierenden Buddhisten mit den verkopften Erklärungen von Physikern. Der Teilchenbeschleuniger des Cern ähnelt in seinen farbig grafischen Anordnun­gen einem Kaleidoskop, und wie Kinder verfallen wir in ein ganz ursprüngliches Staunen. Weniger als der zum Teil bewusst naiv philosophische Inhalt verführt uns die Musikalität und der meditative Ton von Mettlers unverkennbarer Erzählstimme, die das Unbegreifliche, das Dynamische des Zeitbegriffs zu fassen versucht.

Wie ein vorzeitlich ergrautes Reptil frisst sich der glühende Schmelzstrom der Lavamassen in Hawaii durch die Landschaft und rafft – von Mettler dramatisch ins Bild gerückt – ein zartgrünes Pflänzchen dahin. Unweigerlich fragt man sich in diesen Momenten, wo der Filmemacher mit seiner Kamera stand, wie lange er dort ausharren musste und wie nahe die Lavaflut seinen Schuhen kam.

Angesichts dieser eindrücklichen Natur­gewalten verkümmern die menschlichen Pro­tagonisten zuweilen zu geschwätzigen Ego­zentrikern. Viele der pseudopsychologischen Ausführungen des Einsiedlers Jack Johnson oder des Techno-DJ Richie Hawtin, dessen elektronische Beats die Massen hüpfen lassen, sind ohne wirklichen Tiefgang. In diesen Sequenzen nimmt sich der Film zu ernst und lässt Mettlers ironische Handschrift vermissen. Es fehlt der implizierte Beobachter-Autor, der wie in Gambling, Gods and LSD dem Junkie unprätentiös begegnet und mit ihm des Nachts augenzwinkernd durch eine Einwurfstelle der Kleidersammlung in die wärmende «Notschlafstelle» schlüpft.

Am Ende seiner filmischen Zeitreise landet Mettler wieder auf der Erde und besucht seine Mutter. Seine erfrischend pragmatische Erzeugerin erinnert den Sohn an seine eigene Vergänglichkeit – an die Nabelschnur, mit deren Durchtrennung jede Lebenszeit ihren Anfang nimmt und das eigene Ende bereits beginnt.

Sascha Lara Bleuler
*1977, Schauspielausbildung am Lee Strasberg Theatre & Film Institute in New York. Studium Anglistik, Filmwissenschaft und Fran­zösi­sche Literatur an der Universität Zü­rich. Lehrtätigkeit in Englisch, Filmtheorie und Schauspiel. Freie Journalistin für Filmzeitschriften. Kuratorin von Filmreihen. Programmation der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur und des Dokumentarfilmfestivals Visions du Réel. Schauspielerin in Film- und Theaterproduktionen. Lebt in Zürich und Tel Aviv.
(Stand: 2017)
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