SASCHA LARA BLEULER

FORBIDDEN VOICES (BARBARA MILLER)

SELECTION CINEMA

«Vaterland oder Tod – wir werden siegen!» – diese Worte zieren das grellfarbige Porträt von Fidel Castro an einer Hausmauer in Havanna. Die Argumentation der kubanischen Regierung ist simpel, die indoktrinierte Propaganda omnipräsent im Stadtbild. Kommunismus und Isolation um jeden Preis, wer sich dem System widersetzt, wird beschattet und inhaftiert. Yoani Sánchez, eine Widerstandskämpferin, welche die Macht des Internets nutzt, hat die repressive Methodik am eigenen Leib erfahren; stundenlang wurde sie verhört und geschlagen. Die behandelnden Ärzte bestreiten später vor der Fernsehkamera Sánchez’ Verletzungen, eine Ausreisebewilligung kriegt sie nicht mehr. Private Internetanschlüsse sind in Kuba verboten, Yoani surft für teures Geld in öffentlichen Hotel-Lobbys und verbreitet ihren Blog Generation Y mittels USB-Stick; CDs und Papierkopien. Ihr Bekanntheitsgrad in den internationalen Medien bietet ihr Schutz, doch Yoani weiss um die Willkür der Cyber-Polizei, die zu plötzlichen Verhaftungen aufgrund «falscher Überzeugung» führen kann.

Die Filmemacherin und Journalistin Barbara Miller heftet sich in Forbidden Voices an die Fersen von drei charismatischen Frauen in Kuba, China und Iran. Sie montiert rituelle Parallelen zwischen den drei Ländern: Die militärische Präzision des Ersten Mais in Kuba spiegelt sich im chinesischen Nationalfeiertag, die demonstrierenden kubanischen Frauen werden von der Polizei mit gleicher Härte niedergeprügelt wie im Iran. Neben Yoani, die deutlich – und nicht immer dramaturgisch nachvollziehbar – am meisten Screentime bekommt, besucht Miller die iranische Opposi­tionelle Farnaz Seifi, die seit 2007 in Deutschland lebt. Farnaz vermisst Teheran und verfolgt besorgt die Ereignisse in ihrer «virtuellen Heimat». Der Arabische Frühling entfachte eine Hoffnung, dass auch die Iraner ihr Regime stürzen könnten. Was blieb, ist Enttäuschung, sogar Neid auf die «befreiten» arabischen Brüder.

Im Iran wie in China, und – in nur leicht gemilderter Form – in Kuba, kontrollieren Cyber-Polizisten das Internet. In China können Begriffe wie «ägyptische Revolution» nicht gegoogelt werden, die Geschichte prallt an der Zensurmauer ab und wird umgeschrieben – ein System der Kontrolle und Manipulation, das an George Orwells 1984 erinnert und dessen Schrecken übertrifft.

Die junge Chinesin Zeng Jinyan, die seit Jahren unter Hausarrest steht, filmt mit ihrer Handkamera die Polizisten vor ihrem Haus. Die Menschenrechtsaktivistin findet eine starke visuelle Sprache für das Gefühl der Verzweiflung und des Gefangenseins. Die Bilder von Zeng sind erfrischend unkonventionell, und man wünscht sich mehr von ihren beklemmend-poetischen Aufnahmen, die Forbidden Voices – neben der inhaltlichen Stärke – auch zu einem formal aufregenden Film gemacht hätten.

Sascha Lara Bleuler
*1977, Schauspielausbildung am Lee Strasberg Theatre & Film Institute in New York. Studium Anglistik, Filmwissenschaft und Fran­zösi­sche Literatur an der Universität Zü­rich. Lehrtätigkeit in Englisch, Filmtheorie und Schauspiel. Freie Journalistin für Filmzeitschriften. Kuratorin von Filmreihen. Programmation der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur und des Dokumentarfilmfestivals Visions du Réel. Schauspielerin in Film- und Theaterproduktionen. Lebt in Zürich und Tel Aviv.
(Stand: 2017)
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