BETTINA SPOERRI

VIELEN DANK FÜR NICHTS (OLIVER PAULUS, STEFAN HILLEBRAND)

SELECTION CINEMA

Schon die früheren Filme des Regie-Duos Paulus/Hillebrand liessen aufhorchen, insbesondere auch der witzige und gelungene Bollywood-meets-Swissness-Spielfilm Tandoori Love (2008) des 1969 in Dornach geborenen Oliver Paulus, der mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, als er damals erhielt. Nun beweisen Paulus und Hillebrand – der im deutschsprachigen Raum vor allem auch im Bereich des Improvisationstheaters bekannt ist – einmal mehr und noch überzeugender, dass sie Humor und ernste Themen auf subtile Art und Weise zu verbinden wissen. Und sie haben durchgehalten, trotz ablehnenden Entscheiden von Bundesamt für Kultur und Schweizer Fernsehen, fanden neue Partner und Unterstützer im benachbarten Ausland, in Italien (Südtirol) und in Deutschland.

Vielen Dank für nichts erzählt vom Jugendlichen Valentin (Joel Basman), der mit seinem Schicksal hadert: Seit er mit seinem Snowboard verunfallt ist, sitzt er im Rollstuhl – und damit kann er sich nicht abfinden. Seine Mutter hofft, dass ihm ein Sommertheatercamp für Behinderte in Südtirol hilft, doch Valentin möchte mit den «Spastis» nichts zu tun haben. Er rebelliert gegen die Betreuungspersonen, die Regeln, den Theaterkurs, lehnt die Kommunikation mit seinem Zimmernachbarn Titus (Bastian Wurbs) ab, manövriert sich immer mehr ins Off, in die Einsamkeit. Seine abwehrende Haltung ändert sich erst, als er auf die junge Dolmetscherin Mira (Anna Unterberger) des italienischen Theaterpädagogen (gespielt vom Theatermann Antonio Viganò) aufmerksam wird, er schöpft Hoffnung, freundet sich mit Titus und dessen schwerstbehindertem Freund Lukas (Nikki Rappl) an – doch als er bemerkt, dass Mira zwar seine Sympathie, nicht aber seine Verliebtheit erwidert, kann er mit der Zurückweisung nicht umgehen und steigert sich in eine Art Rachefeldzug hinein. Bei diesem Aufstand der Behinderten gegen die «Normalen» stehen ihm Titus und Lukas zur Seite; sie bilden mit ihm ein unerschrockenes Trio, das bisweilen an alte Gangsterfilme oder aber an Don Quichottes absurde Bemühungen erinnert. Eifersüchtig auf Miras Freund Marc (Ricardo Angelini), möchte Valentin diesem ein wenig Angst einjagen, doch die Suche nach einer Waffe gestaltet sich hindernisreich. Trotz den Turbulenzen der Handlung bleibt Vielen Dank für nichts aber immer nahe an Valentins Emotionen, seiner Wut, seiner Verzweiflung, seiner Enttäuschung, artet nicht in oberflächlichen Klamauk aus. Dazu trägt neben einer schnörkellosen Regie mit viel Respekt vor den behinderten Schauspielern, einem herausragenden Joel Basman und dem Drehbuch, das glaubwürdige Charaktere schafft (Paulus/Hillebrand), wesentlich auch Pierre Mennels Kameraführung bei, die durch die Wahl von Positionen (Nähe/Distanz, Perspektiven/Blickwinkel) Valentins Verhältnis zu den Menschen um ihn herum differenziert gestaltet.

Bettina Spoerri
*1968, Dr. phil., studierte in Zürich, Berlin und Paris Germanistik, Philosophie, Theater- und Filmwissenschaften, danach Dozentin an Universitäten, der ETH, an der F&F. Begann 1998, als freie Filmkritikerin zu arbeiten und war Redaktorin (Film/Theater/Literatur) bei der NZZ. Mitglied Auswahlkommission FIFF 2010–12, Internat. Jury Fantoche 2013, mehrere Jahre VS-Mitglied der Filmjournalisten, Mitglied bei der Schweizer Filmakademie. Freie Schriftstellerin und Leiterin des Aargauer Literaturhauses. CINEMA-Redaktorin 2010–2017, heute Mitglied des CINEMA-Vorstands. www.seismograf.ch.
(Stand: 2021)
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