SIMON MEIER

BEYTO (GITTA GSELL)

Der 19-jährige Schweiz-Türke Beyto wäre der perfekte Schwiegersohn: Er ist gutaussehend, ein talentierter, durchtrainierter Schwimmer und in der Lehre als Informatiker ist er Klassenbester. Wäre da nicht ein kleiner Makel: Beyto ist schwul. Da Beytos Eltern mit den türkischen Traditionen stark verbunden sind und Homosexualität gegenüber ablehnend eingestellt, hält er seine sexuelle Vorlieben vor ihnen geheim. Als er seinem ebenfalls schwulen Schwimmkollegen Mike immer näher kommt und von Verwandten der Eltern an der Gay Pride gesehen wird, an der er heimlich teilnimmt, überstürzen sich die Ereignisse. Beytos Eltern beschliessen ihren Sohn mit seiner Kindheitsfreundin Seher, die in einem abgelegenen, kleinen Dorf in der Türkei lebt, zu verheiraten. Natürlich ohne ihn vorher über diesen Plan in Kenntnis zu setzen. Als Beyto im Dorf angekommen endlich vom Plan erfährt, bricht eine Welt für ihn zusammen. Das ganze Dorf erwartet, dass er Seher heiratet...
 
Beyto ist die Verfilmung des Romans Hochzeitflug von Yusuf Yesilöz, für die Gitta Gsell und Yesilöz zusammen das Drehbuch schrieben. Gsell inszeniert die eigentlich traurige Geschichte als Tragikomödie, in dem sie die mit den kulturellen Differenzen zwischen der Türkei und der Schweiz, die neben dem Thema der Homosexualität das zentrale Motiv bilden, spielt: die Eltern, die in der Berner Agglomeration einen Kebabstand betreiben, sind etwas überdeutlich von einem starken Fernweh nach ihrer Heimat gezeichnet, Beytos Secondo-Kollegen sind Machos und Auto-Poser, die durch vulgäre Sprache auffallen. Im starken Kontrast dazu steht das aus der Zeit gefallene, verschlafene türkische Dorf, in dem Beyto zwangsverheiratet wird. Hier wirkt der Film am Authentischsten: für die Dorfbewohner, die das einfache Leben von Bauern führen, inklusive eines liebenswerten Dorftrottels, ist die Hochzeit eine willkommene Abwechslung. Sie spielen im Film sich selbst und wurden über die wahre Thematik des Filmes im Dunkeln gelassen.
 
Weniger überzeugend wirkt der innere Konflikt von Beyto und seine Liebesbeziehung mit Mike. Während etwa in Mario (CH 2018) die Zerrissenheit des Protagonisten glaubhaft bis ins kleinste Detail ausgeführt wird, bleibt Beytos Zwiespalt zwischen der türkischen Kultur und seiner Homosexualität erstaunlich oberflächlich: kaum hat Mike Beyto nebenbei eröffnet, dass er schwul ist, sind die beiden auch schon ein Paar. Eine Annäherung oder genauere Einführung der Charaktere findet nicht statt. Dennoch mag Beyto mit einer ungewöhnlichen und eindringlich erzählten Geschichte für sich einzunehmen. Hauptdarsteller Burak Ates, der für den Film das erste Mal vor der Kamera stand, spielt den zunehmend desillusionierten Beyto mit einer natürlich wirkenden Zurückhaltung, die nur gelegentlich von Gefühlsausbrüchen durchbrochen wird. Beyto feierte im Rahmen des 16. Zurich Film Festivals seine Premiere.
Simon Meier
*1986, Studium der Kunstgeschichte, Filmwissenschaft und Ethnologie an der Universität Zürich. Längere Sprach- und Forschungsaufenthalte in Louisiana und Neuseeland. Arbeitet als Bildredaktor bei Keystone-SDA. Seit 2011 Mitglied der CINEMA-Redaktion. www.palimpsest.ch
(Stand: 2021)
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