MARCO NEUHAUS

THAT GIRL (CORNELIA GANTNER)

Gladys Shonga-Furrer aus Sambia wollte früher Lehrerin werden. Die Chancen standen schlecht für ein solches Wagnis, aber Gladys wollte ‹that girl› sein – die, die es auf sich nimmt und es ökonomischer Not und restriktiven Geschlechterbildern zum Trotz schafft. Jahre später lässt sie sich mit ihrem Ehemann, dem Schweizer Thomas, im Dorf Chewe nieder, um dort eine Farm aufzubauen und sich um die Infrastruktur des abgelegenen Dorfes zu kümmern. Der Traum vom Lehrberuf ist fürs Erste aufgegeben, aber seine Resonanz durchdringt auch Gladys heutiges Leben: Die Schulen und insbesondere der Bildungszugang für Mädchen werden ihre grossen Anliegen. Doch zunächst steht der Bau einer neuen Brücke an. Es handelt sich dabei insbesondere für die Frauen von Chewe um eine Frage des Überlebens, wie Dorf-Chief Mutungu Fimaka festhält: «Jedes Jahr sterben schwangere Frauen auf dem Weg nach Mporokoso [der Distrikthauptstadt]. Wir leiden, wir haben hier keine Klinik.» Doch die Arbeit kommt nur in kleinen Schritten voran; für Gladys stellt sich die Frage, wie viel sie für ihre Vision zu opfern bereit ist.
 
Wenn man diese politisch brisante und dringliche Ausgangslage bedenkt, kann es überraschen, dass That Girl ein so nachdenklich langsamer Film geworden ist. Jeder Aushandlungsprozess bekommt Raum zum Atmen, technische und organisatorische Hürden werden geduldig aufgefächert, so dass der Film zu einer Kartografie einer gesellschaftlichen Situation wird, mit unendlich vielen Konflikt- und Anknüpfungspunkten. Auch wohlmeinende europäische Blicke auf Afrika haben sich oft als herablassend, paternalistisch oder Schlimmeres erwiesen; dieses Problem geht Regisseurin Cornelia Gantner weniger durch reflexiven Einbezug der eigenen Perspektive an, sondern durch deren diskrete Zurücknahme; sie lässt die Menschen vor Ort sprechen, ohne mit auktorialer Off-Stimme Deutungen oder Wertungen aufzudrängen. Über mehrere Jahre ist Gantner Gladys gefolgt; im Film, der in dieser langen Zeit entstanden ist, rückt sie vor allem die ständige Arbeit in den Fokus, die materielle ebenso wie die zwischenmenschliche, so dass Gladys Geschichte weniger zu einer von grossen, dramatischen Wendepunkten wird, sondern zu einer Reflexion auf Dauer und Beharrlichkeit. Die Ambivalenz tritt greifbar hervor: Es geht voran, aber der Weg ist voller Rückschläge und Hindernisse. Kameramann Laurent Stoop findet dabei fast meditative Bilder für den Bau der Brücke, den Farmalltag, für Feste, Gebete und Ruhestunden.
 
Obwohl zahlreiche Persönlichkeiten aus dem Dorf zu Wort kommen, bleibt der Film aber im Kern ein Portrait von Gladys’ Engagement. «Träume hemmungslos, und du wirst sehen, dass das Leben keine geheimen Regeln hat, » sagt sie gegen Schluss einer Gruppe Schülerinnen. Ein stiller Film über eine Unerschrockene also, ein kontemplativer Film über eine Kämpferin.
Marco Neuhaus
*1991, hat in Zürich Germanistik und Philosophie studiert und hat für die Zürcher Studierendenzeitung, buchjahr.uzh.ch und das Filmbulletin geschrieben.
(Stand: 2021)
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