DORIS SENN

LOVING HIGHSMITH (EVA VITIJA)

Frühe Fotografien zeigen sie als zierliche Schöne mit schwarzer Mähne, hochgerollten Hemdsärmeln, sinnlichen Lippen. Sie war ein stolzes Kind des konservativen Texas, und schon früh war klar: Schreiben war ihr Leben. Patricia Highsmith, die Schriftstellerin von Weltrang, die ihre letzten Jahre – 1988 bis 1995 – im Tessin verbrachte, steht im Zentrum von Eva Vitijas Doku-Porträt. Vitija, die in ihrem Debütfilm Das Leben drehen (2015) ihr Aufwachsen mit einem obsessiv filmenden Vater auslotete, wagt sich in Loving Highsmith mit grossem Einfühlungsvermögen an eine Persönlichkeit, die nicht minder obsessiv war und als kontrovers und unnahbar galt.
 
Highsmith, die durch die Verfilmungen ihrer Bücher – Strangers on a Train etwa (1951 durch Hitchcock) oder verschiedenste Ripley-Adaptionen – früh weltberühmt wurde, machte noch durch eine andere Publikation auf sich aufmerksam: den Lesbenroman «The Price of Salt» (1952), den Highsmith erst 1990 unter ihrem richtigen Namen und dem Titel «Carol» veröffentlichte. Die Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen und dem für die Zeit ungewöhnlichen Happy End machte Furore. Highsmith selbst lebte als junge Erwachsene in den Vierzigern und Fünfzigern in New York ein bohèmehaftes, wildes lesbisches Liebesleben, das sie auch in ihren Tagebüchern festhielt. Von diesen ausgehend, entstand Loving Highsmith mit dem Fokus einer ‹Liebesbiografie›.
 
Dazu machte Eva Vitija Liebhaberinnen ausfindig, die bereit waren, vor der Kamera zu sprechen. Wobei sowohl der Zeitfaktor – die Autorin wurde 1921 geboren – als auch der Kodex, niemanden zu outen, die Suche nach ‹Zeitzeuginnen› zu einer kniffligen Aufgabe machten. Highsmith selbst hatte viele ihrer Affären in ihren Notizen nur anonymisiert erwähnt. Im Film sind nun die amerikanische Schriftstellerin Marijane Maeker, die französische Übersetzerin Monique Dubuffet und die deutsche Künstlerin Tabea Blumenschein sehen. Zudem stiess Vitija auf Nachkommen der Familie in Texas, die nicht nur bereit waren, Auskunft zu geben, sondern auch Fotografien und Homemovies zur Verfügung stellten.
 
In jahrelanger Recherche hat Eva Vitija das vielfältige Material zusammengetragen, das sie mit der Editorin Rebecca Trösch zu einem spannungsreichen Ganzen zu verknüpfen wusste: TV-Interviews, aber auch Highsmiths schwer entzifferbare Aufzeichnungen, samt Ausschnitten aus den Buchverfilmungen, Impressionen aus der Zeit in New York, nicht zu vergessen die Gespräche mit Geliebten und Familie. In der Verschmelzung von Biografie und Werk folgte Vitija nicht zuletzt einer Stossrichtung, die charakteristisch für Highsmiths Werk selbst war: das Nebeneinander und Ineinanderfliessen von Wirklichkeit und Imagination. In einer grossartigen Montage gewährt Loving Highsmith so eine respektvolle Annäherung an ihr Wesen und einen erfrischend neuen Einblick in Highsmiths Leben.
Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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