DORIS SENN

HARALD NAEGELI – DER SPRAYER VON ZÜRICH (NATHALIE DAVID)

Diese Hommage war überfällig! Harald Naegeli alias «Sprayer von Zürich» begann als Künstler in den 60ern, um Ende 70er seine minimalistischen Sprayfiguren zu kreieren, die er – ein Pionier der Street Art – im öffentlichen Raum Zürichs anbrachte. Während seine Geschöpfe zu verspielt-poetischen Ikonen der Jugendbewegung wurden, flüchtete Naegeli vor den Strafklagen nach Düsseldorf. Joseph Beuys und Willi Brandt verwendeten ihn für sich, doch die Schweiz, unbeeindruckt, schickte ihn für sechs Monate in den Strafvollzug. Was «seinen Ruhm» begründete, wie Naegeli mit einem Augenzwinkern meint.
 
Der verschmitzte Schalk Naegelis prägt das Doku-Porträt der französischen, in Deutschland lebenden Filmemacherin Nathalie David als Ganzes. Entstanden ist Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich nach einer Idee von Peter Spoerri, der als Co-Produzent zeichnet und seit über 40 Jahren Material zum Sprayer sammelt. David, selbst Künstlerin, realisierte schon zahlreiche Künstler_innenporträts und fand über die Kunst den Zugang zum eher verschlossenen Naegeli. Ihr Film beruht auf Gesprächen mit dem und über den Künstler, auf Akten und Artikeln, auf Graffiti und Bildern, die seinen Lebensweg nachzeichnen. David verwendet aber auch künstlerische Mittel für eine leichtfüssige Annäherung an den Kunstrebellen – etwa mittels plakativer Typografie, experimenteller Musik (Andrina Bollinger) oder eigenwilliger Montage.
 
Harald Naegeli, 1939 geboren, stammt aus einer illusteren Zürcher Familie und bezeichnet sich als «Wolkengänger», «Zeichner» und «Utopist». Philosoph und Aktivist, möchte man anfügen – und ein grosser Künstler, der nicht nur mit seiner Spraykunst überzeugt, sondern auch mit seinen fein ziselierten Zeichnungen oder seinen Porträts. Mit seinen Graffiti eckte er zeitlebens an – auch in Düsseldorf, wo er seit den 80ern lebte, oder jüngst wieder in Zürich, wohin er, sterbenskrank, zurückkehrte. Dort sollte er mit offizieller Erlaubnis das Projekt «Totentanz» im Grossmünster realisieren. Doch seine apokalyptischen Wesen hielten sich nicht an die behördlichen Vorgaben, und der Regierungsrat stoppte die Vollendung. Als seine tanzenden Skelette dann auch noch in den öffentlichen Raum ausschweiften, trug ihm das – als wäre die Zeit stehen geblieben – erneut Strafklagen ein. Auch seitens des Kunsthauses – an dessen Aussenmauer eine Figur auftauchte –, obwohl dieses doch ein paar Naegeli in seiner Sammlung hat...
 
Eine späte Ehrung wurde ihm dann aber doch noch zuteil: Die Stadt verlieh ihm ihren Kunstpreis für sein Lebenswerk. Und Nathalie David zollt mit ihrer filmischen Würdigung nicht nur seiner Kunst Tribut, sondern macht auch die Bühne frei für einen erfrischend subversiven Auftritt dieses begnadeten Aphoristikers.
Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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