JUSTINE BAUDET

ALLO LA FRANCE (FLORIANE DEVIGNE)

Fünf Jahre nach Ni d’Ève, ni d’Adam. Une histoire intersexe und zehn Jahre nach La Clé de la chambre à lessive ist Floriane Devigne zurück am Visions du Réel mit ihrem jüngsten Dokumentarfilm Allo la France. Sie wirft einen stets amüsierten, kritischen und scharfen Blick auf unsere sich verändernde Gesellschaft.
 
1’941... Das ist die Anzahl Fotos von Telefonkabinen, die Floriane Devigne bei der Arbeit an ihrem neuen Langfilm sammelt. Allo la France beginnt mit der letzten Kabine in Paris, die verlassen auf einem Steg liegt und zu der die Regisseurin mit dem Boot fährt. «Je weniger es gibt, desto mehr sucht sie sie.» Der Dokumentarfilm baut sich dann wie eine Sammlung auf: Florian Devigne sammelt, sortiert und teilt die denkwürdigsten Begegnungen und Geschichten.
 
2’946... Das ist die Anzahl Stunden, die die Regisseurin damit verbringt, zehntausende französische Gemeinden zu kontaktieren, um die letzten funktionstüchtigen Telefonkabinen zu finden. Dann macht sie sich auf die Suche nach diesen ‹öffentlichen Räumen zur privaten Nutzung› in der Peripherie Frankreichs. Von abgelegenen Dörfern bis hin zu sogenannten ‹zones blanches›, wo das Netz nicht funktioniert, lässt sie sich von ihrer Fotosammlung leiten, aber auch von Archivbildern, zufälligen Begegnungen und Telefongesprächen, die sie rund um die letzten noch stehenden Kabinen führt.
 
Mit diesem Telefonroadmovie erzählt Floriane Devigne die Geschichte des – scheinbar harmlosen – Verschwindens eines öffentlichen Dienstes in Frankreich. Ihr Dokumentarfilm, in dem sie sich auf eine obsessive Suche nach diesen Ruinen des 20. Jahrhunderts macht, erweist sich als witzig, inspirierend und politisch. Dieser Roadmovie ist auch eine Reise durch die Zeit und besonders durch die Geschichte der Telekommunikation. Die Telefonkabine ist kaum vierzig Jahre alt und schon völlig out. Vom Ende der Telefonkabine über den Niedergang der Postkarte, bis hin zur Schliessung öffentlicher Einrichtungen (Poststellen, Geburtsstationen, Rathäuser, Bahnhöfe, Schulen, Geschäfte, Cafés, etc.) reflektiert Floriane Devigne über den ‹Fortschritt›. Indem sie hinterfragt, wie die Technologie unsere Beziehung untereinander und zur Welt verändert, geht sie den Spuren aufgegebener kollektiver Projekte, verschobener politischer Horizonte und nicht eingehaltener Emanzipationsversprechen nach. Der Dokumentarfilm lädt uns angesichts einer entzauberten Welt dazu ein, umherzuwandern und uns Zeit zu nehmen, um voll und ganz zu leben. Allo la France bietet so ein spielerisches Porträt des heutigen Frankreichs.
 
Aus dem Französischen von Simone Grüninger
Justine Baudet
Née en 1993, Justine Baudet obtient un Bachelor en Cinéma/Cinéma du réel à la HEAD – Genève en 2014 et un Master en Histoire et esthétique du cinéma à l'UNIL – Lausanne en 2019. Elle travaille dans plusieurs festivals de cinéma, notamment au GIFF, au NIFFF et à Visions du Réel. Depuis 2017, elle est co-présidente de la Coopérative Audio-Visuelle d’Entraide "La CAVE" et, depuis 2019, elle est membre active au sein de l'association "Doc'it Yourself".
(Stand: 2021)
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