SIMON MEIER

NORMAL LOVE (YANNICK MOSIMANN)

Es könnte eine normale Beziehung sein: Die Künstlerin Jeanne Spaeter und der Autohändler Mike Argiz, beide um die Ende Zwanzig, wohnen, leben, reden und schlafen miteinander. Normal ist an diesem Verhältnis aber rein gar nichts, denn die Beziehung ist Teil eines Experiments, dass sich die Performancekünstlerin Jeanne ausgedacht hat. Durch einen Vertrag mit vierzehn Punkten ist das Zusammenleben der beiden für ein Jahr lang geregelt, neben gemeinsamen Aktivitäten gehört dazu auch das Aussprechen eines Liebesgeständnisses und regelmässiger Sex. Jeanne will herausfinden, wie eine Beziehung zu jemandem funktionieren kann, der zufällig ausgewählt wurde und ob durch die festgelegten Regeln Zuneigung oder sogar Liebe entstehen kann.
 
Jeanne castet Mike über Tinder. Ohne sich wirklich zu kennen, geht es dann auch gleich los und die beiden leben in Mikes Wohnung als Paar. Während sowohl Jeanne als auch Mike zu Beginn die Sache noch nicht ganz ernst nehmen und das ungewöhnliche Verhältnis mit viel Humor leben, beginnt sich die Dynamik in der Beziehung aber schon bald zu ändern: Mike erzählt offen von seinen Gefühlen und seinen früheren Beziehungen und will das Verhältnis mit Jeanne vertiefen. Sie bleibt dagegen recht distanziert, sieht das ganze eher als das, was es eigentlich ist: ein Experiment.
 
Filmisch arbeitet Regisseur Yannik Mosimann mit quadratischen, leicht unscharfen Einstellungen, so gefilmt, als hätte jemand sein Handy in die Ecke des Raumes gestellt, um seinen Alltag selber zu dokumentieren: Man ist dabei, wenn Jeanne und Mike im Bett liegen und miteinander reden, wenn sie ihre Verwandten und Freunde besuchen oder zusammen Auto fahren. Aber auch, als Jeanne zu Mike, nachdem dieser ihr einen Seitensprung gestanden hat, das vertraglich festgelegte «Ich liebe dich» ironisch an den Kopf wirft.
 
Bei den Besuchen von Freunden und Familie aber auch bei den Gesprächen zu zweit wird wiederholt über die Beziehungen, das Verhälntis von Männern und Frauen und die Schwierigkeiten beim Zusammenleben diskutiert. So stösst der Film gegen Ende hin zum Kern des Themas vor: Dass ehrliche Zuneigung und Offenheit in einer Beziehung eben doch zentral sind. Wir erfahren, dass Jeanne vor dem Experiment mit Mike noch nie eine feste Beziehung hatte, was ihn stark aufwühlt, da die Performance dadurch eben doch viel mehr ist als nur ein Kunstprojekt. Der Film wird so auch zu einem Dokument über die Flüchtigkeit und Schwierigkeit von Beziehungen in einer Zeit, in der Online-Dating und Oberflächliches immer wichtiger geworden sind.
 
Normal Love feierte in der Sektion «Special Screenings» des 19. Zurich Film Festival seine Premiere.
Simon Meier
*1986, Studium der Kunstgeschichte, Filmwissenschaft und Ethnologie an der Universität Zürich. Längere Sprach- und Forschungsaufenthalte in Louisiana und Neuseeland. Arbeitet als Bildredaktor bei Keystone-SDA. Seit 2011 Mitglied der CINEMA-Redaktion. www.palimpsest.ch
(Stand: 2021)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]