DORIS SENN

SCHWARZARBEIT (ULRICH GROSSENBACHER)

Es mag aufregendere Themen für einen Dokfilm geben als die Arbeitsmarktkontrolle Bern. Möchte man meinen. Doch Schwarzarbeit, das neue Werk des Berner Filmemachers Ulrich Grossenbacher, ermöglicht uns einen packenden Einblick in die Arbeit genau dieses Amts und, damit verbunden, in die menschlichen Facetten eines komplexen politischen Kampfs der Schweiz mit der EU: die flankierenden Massnahmen zum Schutz der Arbeitnehmenden, auf die vor allem die linke Schweiz zu Recht so viel Wert legt.
 
In Schwarzarbeit begleiten wir Inspekteur_innen des AMKB auf ihrer Patrouille vor Ort, sind mit dabei, wenn sie unangemeldet in einem Restaurant auftauchen, auf der Baustelle den fremdsprachigen Polier nach Arbeitszeit und Lohn befragen oder im Lebensmittelladen vom «Manager» erfahren, dass er für 70 Stunden Wochenarbeit einen Monatslohn von 550 Franken erhält. Plus Bonus. Immerhin.
 
Als «politisches Roadmovie», wie es der Regisseur nennt, begleitet Schwarzarbeit die Inspekteur_innen aber insbesondere im Auto, wo sich die Gespräche mehr um Persönliches als um Paragrafen drehen. Etwa wenn der ‹gmögige› altgediente Frédy in breitem Berndeutsch von seiner Familiengeschichte erzählt – seine Mutter war Verdingkind, sein Urgrossvater ein engagierter Gewerkschafter. Oder der Secondo Marcos, den seine Lebenserfahrung als Kind von Saisonniers geprägt hat und der um die Not hinter der Migration weiss. Oder der ehemalige Polizist Chrümu, der sich für Recht und Ordnung starkmacht – ohne den Menschen dabei aus den Augen zu verlieren, obwohl er die «Empathie eines Zwiebacks» habe, wir er selbst meint. Ihre Dialoge voll vom träfen Witz und Wissen um das Ganze, um Menschen und ihre Schicksale stehen dabei im Zentrum von Schwarzarbeit. Gerahmt vom ‹big picture›, für das der Regisseur die Kontroversen zwischen den Gegenspielern Corrado Pardini, Gewerkschafter und SP-Nationalrat (und seit 2008 Präsident der AMKB), und Christoph Blocher, SVP-Hardliner und Ex-Bundesrat, als zweiten Erzählstrang führt. Der eine für den Schutz der Arbeitnehmenden, aber auch für Europa, der andere dezidiert gegen die EU und immer darauf bedacht, die Migration als Sündenbock anzuschwärzen. Wir kennen den Diskurs seiner Partei.
 
Ulrich Grossenbacher, der schon in seinen vorangehenden Filmen (Hippie Masala, 2006, Messies, 2011) viel Gespür bei der Wahl von Themen und im filmischen Umgang mit Menschen an den Tag legte, zeigt auch in Schwarzarbeit sein Faible für Zwischentöne, für Empathie mit Betroffenen und seine Fähigkeit, Menschliches auf eine weltanschauliche Ebene zu heben. Es ist aber vor allem ein anwaltschaftlicher Film, der sich mit dafür einsetzt, dass das Wohlstandsgefälle zwischen Ländern nicht für ausbeuterische Arbeitsbedingungen und Profitgier genutzt werden darf. Äusserst anschaulich und einnehmend.
Doris Senn
Freie Filmjournalistin SVFJ, lebt in Zürich.
(Stand: 2021)
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