JEAN PERRET

THE RECORD (DE) (JONATHAN LASKAR)

In einem Zugabteil entfaltet sich das persönliche und historische Drama des Lebens eines Jungen. Als Erwachsener betreibt dieser einen Laden, in dem er Musikinstrumente sammelt, die er unaufhörlich stimmt. Eines regnerischen Tages besucht ihn ein seltsamer Mann, der ihm eine Schallplatte übergibt, von der er ohne weitere Erklärung behauptet, dass sie magisch sei. Dies ist der entscheidende Moment in The Record, von da an organisiert Jonathan Laskar sowohl visuell als auch akustisch eine Schleife aus schwarzen und weissen Elementen, die durch die Bilder fegen und das fortschreitende Auftauchen von Fragmenten der Vergangenheit rhythmisieren.
 
Die Schallplatte scheint aus einer einzigen breiten Rille zu bestehen, die all die Musik aus jenen Regionen tragen kann, die, wie man aus dem Kontext versteht, unter dem nationalsozialistischen Antisemitismus gelitten haben.
 
Die bemerkenswert elliptische Erzählung hat ihre Wurzeln in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Vor dem Holocaust spielt die Mutter in warmen Farben unter einem grossen Baum in einem üppigen Wald Gitarre für ihren Sohn. Danach fliehen sie und werden von deutschen Soldaten entdeckt. Um ihren Sohn zu retten, lässt die Mutter ihn in eben jenem Zugabteil zurück.
 
Die Musik auf der Schallplatte ist bedeutend, der Mann kopiert sie auf Dutzende von Audiokassetten. Am Ende der Erzählung ist er alt und geht strammen Schrittes mit Koffer und der Schallplatte in der Hand. Es besteht kein Zweifel, er ist fest entschlossen, die magische Platte mit anderen zu teilen. Es regnet nicht mehr in der bunten Stadt, die von einer mitreissenden Melodie erfüllt ist.
 
Die Erzählung von Jonathan Laskar, knapp zehn Minuten lang, besteht aus einer dicht inspirierten Animation. Der Regisseur weiss, dass das Gedächtnis nur fragmentarisch ist, aus dumpfen Splittern besteht und durch das Vorbeiziehen von Linien aus Licht und Dunkelheit in Schwarz und Weiss thematisiert wird. Die Musik ist Erinnerung, in deren Rillen die Schrecken und Hoffnungen der Geschichte schlummern. The Record ist ein aufmerksames Bewusstsein dafür.
 
Aus dem Französischen von Simone Grüninger
Jean Perret
Jean Perret, geboren 1952 in Paris, in Genf etabliert, ist als Autor von zahlreichen Publikationen bekannt, gibt Seminare und Kurse sowohl in der Schweiz wie im Ausland über Semiotik, Ästhetik, Gesellschaft und "cinéma et photographie du réel". Leitet 16 Jahre das Festival „Visions du Réel“ in Nyon, dann ab 2010 das Département Cinéma / cinéma du réel in der Haute École d'Art et de Design in Genf. Heute Mitglied der Redaktionen der online Filmzeitschrift www.filmexplorer.ch und des Kulturmagazins La Couleur des Jours (www.lacouleurdesjours.ch ).
(Stand: 2019)
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