Die ersten Filme, die wir hier bringen, werden am Standard jener Filme gemessen, die von Leuten stammen, die halt schon zehn Jahre Filme gemacht haben. Wenn man nichts vorzuweisen hat, kriegt man auch kein Geld. Das ist klar.
So äusserte sich Friedrich Kappeler, selbst einer der jüngeren Filmer, sinngemäss in einem Statement im Rahmen der Fernsehsendung «Produktionen — Phantasien — Programme — Proteste», die über die diesjährigen Solothurner Filmtage berichtete. Damit griff Kappeler wohl die beiden wichtigsten Aspekte der ganzen Problematik des heutigen jungen Filmschaffens in der Schweiz auf.
Vor zehn Jahren begannen junge Kräfte dem damaligen Schweizer Film eine Alternative gegenüberzustellen: Den jungen Schweizer Film. Das war nicht einfach, denn sämtliche Strukturen mussten vorerst einmal geschaffen werden, es war aber auch nicht schwierig, denn das, was abzulösen war, zeichnete sich nicht mehr gerade durch grosse Lebenskraft aus.
Heute sind diese jungen Kräfte älter geworden, zehn Jahre nur, aber sie sind etabliert in den von ihnen erstellten Strukturen, sie blicken auf ein Erfahrungspotential zurück, sie schufen einen gewissen qualitativen Standard, die Filmförderung des Bundes trug ihren Anteil bei. Die Erwartungen von Zuschauer und Kritik haben sich gesteigert. Wenn heute nun eine neue Generation sich aufmacht, um Filme herzustellen, so stösst sie vorerst einmal auf die etablierten Kollegen dort wo jene vor zehn Jahren ein Loch vorgefunden haben, ein Vakuum sogar, das sie aufgenommen hat. Daraus ergibt sich ein ganzer Fächer von Problemen. Um diese konkreter zu benennen seien in der Folge einige, vielleicht typische Wege, wie erste Filme, Debütantenfilme überhaupt, Zustandekommen, aufgezeigt. Dabei legen wir das Hauptgewicht auf die Darstellung der Produktionsbedingungen.
Drei Beispiele — drei Wege...
Robert Boner belichtete mit 15 Jahren Super-8 Material, das jedoch gar nie geschnitten wurde, wandte sich der Modefotografie zu und besass mit 18 Jahren sein eigenes Atelier. Da ihm die Mode- und Werbefotografie bald einmal verleidet war, suchte er als Techniker in einer Filmequipe unterzukommen. Das war 1968 bei Lyssys Eugen heisst wohlgeboren. Unterdessen hat Boner in verschiedenen Chargen bei 12 Langspielfilmen mitgearbeitet, unter anderen bei Tanner und Goretta. Boner hat seinen ersten Film Arbeiterehe mit einem Drehbuchbeitrag des Bundes von 15 000 Franken sowie mit seinen Ersparnissen auf eigenes Risiko hin produziert. Er kam auf 38 000 Franken zu stehen, wobei Boner die Equipe (alle zu gleichen Ansätzen) halbwegs akzeptabel bezahlen konnte. Boner hat auf Risiko gespielt. Er wusste, dass, wenn sein Film durchfallen würde, er jahrelang Schulden tilgen müsste. Nun, diese «Alles-oder-nichts-Situation» hat sich zu seinem Gunsten entschieden, der Film hatte Erfolg, er wurde in der Schweiz sechsmal und in Deutschland einmal verkauft. Der Bund sprach eine Qualitätsprämie von 20 000 Franken und Boner erhielt 1974 den Förderungspreis der «Vereinigung Schweizerischer Filmkritiker» in der Höhe von 6 000 Franken, wobei Boner betont, dass erst der letzte Beitrag «seine Rettung» gewesen sei. Er hätte ihm erlaubt, sich unmittelbar seinem nächsten Projekt zuzuwenden. Ein Film, der «bewusstgemacht wurde, um etwas vorzeigen zu können» (Boner), hat somit Früchte getragen.
Friedrich Kappeler drehte während der Mittelschulzeit verschiedene Super-8-Versuche, trat nach der Absolvierung der Handelsschule in die Fotoklasse der Zürcher Kunstgewerbeschule ein und machte dort mit der Foto-Sprichwörter-Collage Es Hundeläbe seinen ersten 16 nun Film. 1973 folgte Emil Eberli. Die Kosten von rund 2 500 Franken (ohne eigene Arbeit und dank unbezahlter Hilfe von Freunden) bestritt er aus eigenen Mitteln. Der Bund lehnte das Gesuch um eine Studienprämie ab, laut Kappeler mit der Begründung, es handle sich bei Emil Eberli um einen Konfektionsfilm. Emil Eberli hat seine Kosten gleichwohl knapp eingebracht dank viermaligen Verkauf an Verleih und Fernsehen. Kappeler selbst bezeichnet dieses Resultat als «zwar befriedigend, aber es wird eine privilegierte Situation vorausgesetzt, das heisst, man muss sich seinen Lebensunterhalt auf andere Weise verdienen können.» 1974, unterdessen Student an der HFF München, produzierte er mit Müde kehrt ein Wanderer zurück seinen dritten Film wieder ganz aus dem eigenen Sack. (Kosten etwa 8 000 Franken, wieder ohne die eigene Arbeit oder die von Freunden einzusetzen). Ein glücklicher Zufall ermöglichte noch vor den diesjährigen Solothurner Filmtagen eine Fernsehausstrahlung im Rahmen der Jugend-TV. Wie schon bei Emil Eberli werden für Kappeler auch bei Müde kehrt ein Wanderer zurück kaum Schulden stehenbleiben. Der Film konnte verkauft werden und ausserdem kam sein Autor, wie Boner letztes Jahr, in den Genuss des Förderungspreises der Kritiker.
Peter Aschwanden zeigte 1974 an der 2. Schweizerischen Filmwerkschau in Solothurn den Super-8-Film Das Pulverfass, auf dem wir sitzen oder das letzte Stück Kuchen. Durch das positive Echo ermuntert sandte der ehemalige Lehrer, Weltenbummler, Schauspielschüler (1 Jahr) und Jus-Student (1 Jahr) ein Drehbuch nach Bern und erhielt einen Debütantenbeitrag von 15 000 Franken. In acht Tagen und zum Teil Nächten drehte er mit seinem Ciné-Ensemble (ein Kreis von Freunden, die schon beim Kuchenstück dabei waren) mit Berufsschauspielern den Kurzspielfilm Tut mit einem Budget von 34 000 Franken. Zu den 15 000 Franken des Bundes kamen die eigenen Ersparnisse sowie die Gratisarbeit aller Mitglieder des Ciné-Ensembles. Für Aschwanden sind diese Freunde und Helfer, die «ohne Bezahlung, einfach weil sie vom Film angefressen sind, bereit sind, Opfer auf sich zu nehmen» (Aschwanden) äusserst wichtig. Eines seiner grösseren Probleme sei die Isolation gewesen, in der er mit seiner Gruppe gearbeitet habe, sagt er. Er versuchte vor der Realisierung von Tilt mit einem erfahrenen Filmschaffenden in Kontakt zu treten, versandte ein gutes Dutzend Briefe und erhielt genau eine Antwort: von einer Werbefilmfirma. Dort hofft er sich nun in diesem Sommer jene Erfahrungen zu holen, die ihm so dringend fehlen.
... Aber ähnliche Probleme
Drei mehr oder weniger zufällig herausgegriffene Beispiele: Hier wird mit beinahe professionellem Budget auf Risiko gespielt, dort macht einer mit geringsten Mitteln, praktisch im Alleingang, reiche arme Filme, und ein dritter schliesslich hat zwar das Glück ein Super-8-Gesellenstück vorweisen zu können, doch ohne Bundesfranken hätte er nicht weiterarbeiten können. Es handelt sich auch um drei grundverschiedene Ausgangssituationen: Hier der Techniker mit jahrelanger Erfahrung, dort der ausgebildete Fotograf und heutige HFF-Student und als dritter der Autodidakt, der im luftleeren Raum gearbeitet hat, der jetzt bei Profis sein Handwerk erlernen will.
In zwei von den drei Fällen (dieses Verhältnis entspricht selbstverständlich in keiner Weise der Wirklichkeit) hat der Bund entscheidend mitgeholfen. Dass sich die Filmförderung aber auch negativ, als eigentliche Strafe, auswirken kann, dann nämlich, wenn ein Beitragsgesuch abgelehnt wird, hat Villi Hermann erlebt. Das «Nein» von Bern hatte im Fall von Cerchiamo per subito... den Rücktritt einer ganzen Reihe weiterer Geldgeber zur Folge. Der Entscheid des Bundes hat somit die Funktion eines Gütezeichens erhalten.
Doch die finanzielle Seite bildet nur einen, wenn auch einen entscheidenden Aspekt. Eng damit verbunden ist der Zwang zum Erfolg, dem erste Filme unterworfen sind. Was passiert, wenn ein Erstling danebengeht, wissen wir von verschiedene bekannten Fällen her. Oft jahrelanges Abstottern von Schulden verunmöglichen weitere Filme. Was aber heisst konkret «danebengehen»? Das «Mainstream»-Denken (Vergleiche Martin Schaut) in: Cinema 1/75) und die im Laufe der letzten zehn Jahre gestiegenen qualitativen Anforderungen machen es Debütanten nicht leicht. Das Publikum der Solothurner Filmtage zum Beispiel und mit ihm ein Teil der Kritik verlangt «gute» Filme und reagiert auf Anfängerwerke mit eventuellen, aus den Produktionsbedingungen heraus einsehbaren, Mängeln oder auf Aussenseiterfilme (formal verstanden) äusserst intolerant.
Dazu kommt ein weiteres: Sehr oft arbeiten Debütanten stark isoliert. Das Beispiel Robert Boners dürfte eher ein Einzelfall sein. Er kannte von seiner Arbeit als Techniker verschiedene Fachleute, so konnte er beispielsweise Renato Berta als Kameramann beiziehen. Doch diese Möglichkeiten fehlen den Debütanten sonst weitgehend. Dies äussert sich in weit elementareren Dingen, etwa am Nicht-Wissen um vorhandene, nicht immer ausgelastete, Infrastrukturanlagen, die mietweise benutzt werden könnten. Die von Martin Schaub im oben erwähnten Cinema-Artikel angetönte «In-Group-Mentalität», die «lebensnotwendige Solidarität der Schweizer Filmschaffenden» besteht sicher. Doch ist sie offen genug, um weniger erfahrene, um die armen unter den Armen aufzunehmen und zu stützen?
Schliesslich müsste auch auf die fehlenden Ausbildungsmöglichkeiten hingewiesen werden. Wer nicht an eine ausländische Filmhochschule gehen kann oder will, und wer nicht bei Dreharbeiten als Assistent Unterschlupf findet, der wird fast zwangsweise Autodidakt. Zwar finden ab und zu an Kunstgewerbeschulen Filmkurse (Basal ist da vorbildlich) statt, doch, so wird geklagt, wisse man selten oder oft erst zu spät davon.
Auch beim jüngsten Filmschaffen, wo Super-8 vorherrscht, geht es um ähnliche Schwierigkeiten. So war an den Diskussionen im Rahmen der diesjährigen 3. Filmwerkschau in Solothurn mehrfach und mit einer Spur von Verbitterung von den etablierten Filmern und von der Gefahr, dass sie sich nach unten abkapseln würden, die Rede. Ebenso wurde gefragt, wie eine Organisation, die sich immerhin «Schweizerisches Filmzentrum» nennt, sich um die drei bisherigen Werkschau-Anlässe foutieren konnte.