ROLF KÄPPELI

«COMMUNITY MEDIA» – MEHR ALS EINE HOFFNUNG! — ZU EINEM BUCH VON HEINZ NIGG UND GRAHAM WADE

CH-FENSTER

Die «Unwissenschaftlichkeit» seiner Arbeit steht nun also fest: Zürichs berühmt-berüchtigter Erziehungsdirektor und seine Helfer in der Hochschulkommission haben Heinz Niggs Lehrauftrag an der Universität Zürich für das kommende Semester gestrichen. Über die «Wissenschaftlichkeit» dieses Entscheides lässt sich beileibe nicht mehr streiten, schon eher über das fragwürdige politische Vorverständnis von Wissenschaft, das Alfred Gilgen und seine Unterstützer praktizieren.

«Community-Medien», Gemeinde- oder vielleicht besser: Quartier-Medien, heisst Heinz Niggs Lehrveranstaltung. Den gleichen Titel trägt seine Dissertation, die er zusammen mit dem Engländer Graham Wade in englischer Sprache geschrieben und dieses Jahr im Regenbogen-Verlag Zürich herausgegeben hat. Von dieser Arbeit ist hier die Rede.

Das Buch dokumentiert die Arbeiten von sechs englischen Mediengruppen in der Zeit von 1972 bis 1979. Sie haben, um Menschen aus ihrer politischen Isoliertheit, aus ihrem lethargischen Alltag herauszuholen und zusammenzuführen, vier verschiedene Medien verwendet.

Der West London Media Workshop benützte vorwiegend Video, daneben auch die Photographie. Channel 40 war in England das sechste Lokalfernsehexperiment per Kabel (vgl. Heinz Niggs Darstellung dieses Versuchs im Tages-Anzeiger-Magazin vom 8. Dezember 1979). Es flimmerte von 1976 bis 1979 über die Bildschirme der Stadt Milton Keynes, die etwa eine Eisenbahnstunde nördlich von London liegt. Liberation Films, eine Gruppe von fünf Film- und Videoarbeitern in London, knüpfte an die Dokumentarfilmtradition der 30er Jahre und an die Anti-Vietnamkrieg-Bewegung an. Sie vertrieb und produzierte 16-mm-Filme, konzentriert sich seit einiger Zeit aber auch mehr auf die Arbeit mit Video. Bei ihrer Medienarbeit mit Kindern hält sich die Basement Project Film Group in London ebenfalls an Film und Video. Wie Menschen mit der Photographie Leben in ein Quartier bringen können, schildern die beiden Autoren in den Kapiteln über The Blackfriars Photography Project und das WELD Photography Project.

Nigg und Wades Buch ist keine trockene Abhandlung. Die beiden reportieren ihre eigenen Erfahrungen, die sie als Teilnehmer einzelner Projekte gemacht haben. Sie lassen die neuen englischen Medienpioniere ausführlich selber zu Wort kommen, in Interviews, Berichten und Bildern, das Prinzip der Community media work gleichsam aufs Buch übertragend: die Betroffenen nämlich selber zu Wort kommen, sie am Entstehen eines neuen Medienproduktes teilnehmen lassend. Die einzelnen Projekte, in ihrem sozialen, psychologischen und geschichtlichen Entstehungsprozess konkret dargestellt, laufen fast wie ein Film vor den Augen des Lesers ab. Nigg und Wade berichten bis ins einzelne technische und psychologische Detail, ohne dass einem beim Lesen langweilig wird; denn bei der Arbeit mit Medien in kleinen Kommunikationsnetzen liegt der Teufel tatsächlich oft im Detail. Ab und zu erfährt man Dinge, die aus der Distanz trivial erscheinen: etwa, dass Video sich nicht sehr gut geeignet habe, um auf Veranstaltungen hinzuweisen; ein Flugblatt hätte dem Zweck besser gedient. Dann aber spürt man wieder, wie wichtig hier jeder kleine Lern- und Erfahrungsschritt für die Entdecker der kommunalen Medien ist, dass sich da eine Art von offener politischer Medienschule ereignet, die allerdings kaum noch etwas mit unserem Begriff von Schule gemein hat.

Nigg und Wade fassen ihre Vorstellungen von kommunaler Medienarbeit in sechs Thesen zusammen (und wer Heinz Niggs Medienarbeit in Zürich ein wenig kennt, weiss, dass er diese Grundsätze in Ansätzen auch hier zu praktizieren versucht):

1. Die Autoren unterscheiden drei Formen des Zugangs (access) zu den kommunalen Medien: den Zugang zur Ausrüstung, jenen zur Ausrüstung und zur Mithilfe fachlich geschulter Leute, und schliesslich das Verfügen über die technischen Hilfsmittel, wobei auch Personen das Material redaktionell bearbeiten helfen, die nur indirekt an der Produktion teilgenommen haben.

2. Als finanzielle Träger kommen verschiedene Steilen oder Organisationen in Frage: kulturelle Organisationen genauso wie soziale oder kommunale Stellen können die Arbeit unterstützen, auch kirchliche oder unabhängige Institutionen -, je nach Aufgabestellung und Tätigkeitsfeld.

3. Die Organisatoren empfehlen kommunale Medienarbeit, die aus der Quartierstruktur herauswächst. Es kann nicht darum gehen, etwas völlig Neues von aussen hineinzutragen.

4. Jedes Projekt unterliegt einem Prozess, in dem gegenseitiges Vertrauen gewonnen werden muss. Glaubwürdigkeit muss sich gleichsam etablieren, damit kommunale Medienarbeit erfolgreich sein kann.

5. Community Media involviert die verschiedensten sozialen, erzieherischen und politischen Prozesse. Bereits eine kleine geografische Einheit umfasst die verschiedensten Gruppen aus der Bevölkerung: Kinder, Erwachsene, Teenager, Rentner, ethnische Minderheiten usw.

6. Verschiedene Medien zusammen erzielen möglicherweise eine bessere Wirkung, wenn sie kombiniert verwendet werden, z.B. Video, Photo, Buch, Ausstellung.

Das Buch «Community media» setzt die Hoffnung auf das Wiederbeleben der kleinen Netze in unserer Gesellschaft. Es scheint, dass bestimmte Leute in dieser Gesellschaft Angst vor dieser Hoffnung haben. Vielleicht, weil's mehr als eine Hoffnung ist!

Literatur

Community media, von Heinz Nigg und Graham Wade, Regenbogenverlag; zu beziehen in Buchhandlungen oder direkt beim Autor: Heinz Nigg, Breitensteinstrasse 49, 8037 Zürich (nur in englischer Sprache!)

Rolf Käppeli
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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