PIERRE LACHAT

JEMAND FÜHRT IMMER DES MÖRDERS HAND — LEONARDO SCIASCIA/FRANCESCO ROSI — 1946 BIS HEUTE

ESSAY

Sciascia: Der Film, besonders der stumme, hat eine sehr grosse Rolle in meiner Kindheit und Jugend gespielt. Was meine Erzählweise angeht, verdanke ich ihm wohl mehr als der Literatur. Heute gehe ich nur noch aus Pflicht ins Kino, um die Filme zu sehen, die nach meinen Büchern entstehen. (1979)

Aber etwas bewegte sich im politischen Leben Italiens, vielleicht jenes «Alles ändern, um nichts zu ändern», das der Principe di Lampedusa eine Konstante der sizilianischen (und nationalen) Geschichte nannte. Man begann, von Erscheinungen zu reden, deren Existenz noch ein paar Jahre zuvor verschleiert oder bestritten worden war. Von der Mafia zum Beispiel, von der Komplizität und der Kompromittiertheit des Staates, von seiner politischen und administrativen Verwicklung in den Fall des Banditen Giuliano.

Rosis Salvatore Giuliano zeigte diesen Wandel an. Eine Zeitlang sah es aus, als würde die Zensur den Film blockieren. Aber innert weniger Monate hatte sich die Lage von Grund auf geändert. Die Regierung musste die Existenz der Mafia zugeben. Sie musste die vom sizilianischen Regionalparlament (einstimmig!) überwiesene Motion auf Bildung einer Untersuchungskommission entgegennehmen. (1963)

Am 19. März 1961 starb in Riesi in der Provinz Caltanisseta Francesco Di Cristina. Seine Verdienste waren den Mitbürgern wahrscheinlich der ganzen Provinz wohlbekannt, aber der Mehrheit der Sizilianer kein Begriff. Sie wären's geblieben, hätten nicht Pietät und Stolz seine Familie dazu bewegt, eine «carte-souvenir» verbreiten zu lassen, die sogleich sehr gesucht war. Einen Mafiaforscher hat sie 200000 Lire gekostet. Die Familie hatte diese Reaktion sicher nicht erwartet. Sie hatte nicht begriffen, dass man von der Mafia schon seit mehreren Jahren als von einem Übel sprach. Oder sie mutierte sich darum.

Die «carte-souvenir» weist das übliche Format und die bekannten Trauerembleme auf. Innen das Bild Di Cristinas mindestens zehn Jahre vor seinem Tod. Ein intelligentes Gesicht, das wohl leicht von Herzlichkeit zu Härte wechselte. Darunter Geburts- und Todesdatum: 18-7-1896-19-3-1961. Vorne, obenan, ein Zweizeiler, kursiv: «In ihm fanden die Menschen/einen Funken Ewigkeit, dem Himmel entrissen». Darunter:

Er hat sich verwirklicht/in allen Sparten/menschlicher Möglichkeit/und der Welt gezeigt/was ein wahrer Mensch vermag/in ihm gingen Tugend und Klugheit/und Seelenstärke/eine glückliche Ehe ein/zum Wohl des Niedern/und zum Verderben des Übermütigen/wirkte er auf Erden/ seinesgleichen Achtung einimpfend/vor den ewigen Werten/ und der Person des Menschen/Feind aller Ungerechtigkeit/ bewies er/in Worten und Taten/dass seine Mafia nicht Verbrechen war/sondern Achtung des Gesetzes der Ehre/Verteidigung jeden Rechts/dass sie Seelengrösse/dass sie Liebe war. (1979)

Ich habe Giuliano mit einem aussergewöhnlichen Publikum gesehen, Bauern zumeist, die nicht gewohnt sind, ins Kino zu gehen. Bei solchen Zuschauern ist die Übertragung vom Auge, das die Bilder wahrnimmt, zum Geist, der sie aufnimmt, liest und ordnet, schleppend und stockend. So sehr, dass das Erzählte am Ende nicht nur konfuse Bedeutung annimmt, sondern in Teile zerfällt, die dem tatsächlich Berichteten nicht mehr entsprechen. Ein derartiges Publikum bricht, wenn es die abgebildete Wirklichkeit als diejenige erkennt, an der es täglich teilhat, in Gelächter aus: zustimmend, befriedigt.

Hätte ein Nichtsizilianer Rosis Giuliano mit diesem Publikum gesehen, das Lachen, wenn auf der Leinwand die Mutter den Sohn beweint, hätte ihn wohl bestürzt. Denn es reagiert auf diese herzzerreissende Szene wie einer, der nie einen Spiegel gesehen und plötzlich einen solchen vor sich hat. Das Staunen über die Treue zur Wirklichkeit, vor der «Form» der Wahrheit war stärker als die Gefühle, die der «Inhalt» sicher auch weckte. Das Gelächter, das gewisse Passagen und Aussagen des Films hervorstrich, drückte Anerkennung der dargestellten Wahrheit aus. Die Bauern erkannten sich in den Bauern des Films, in den Ziegenhirten und den Angeklagten im Käfig vor Gericht. Sie erkannten die Klage der Mutter wieder und den Zorn der Frauen. Und die zeitlose Arroganz des «Gesetzes», den ewigen Verrat, den die Männer des «Gesetzes» mit ihren undurchsichtigen Kompromissen üben. (1963)

1946 wohnte ich zwei Prozessen wegen «Verstosses gegen das Gesetz über die Rationierung» bei. Damals galten besonders strenge Bestimmungen für die Verteilung des Getreides. Die Hersteller mussten die Ernte in staatlich kontrollierten Speichern abliefern und durften für den Eigengebrauch nur anderthalb Zentner je Mitglied ihrer Familie behalten. Natürlich behielten die Bauern mehr zurück, als erlaubt war. Wenn die Polizei dahinterkam, folgten Verhaftung und Prozess auf dem Fuss.

Damals war ich bei der Getreideverwaltung angestellt und darum bei den beiden Prozessen zugegen. Der eine betraf einen Bauern, bei dem zwei oder drei Zentner zu viel gefunden worden waren. Der andere einen Priester, der 15 Zentner hinterzogen hatte. Das Verfahren war sehr kurz. Der Bauer wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, der Priester freigesprochen. Sein Verteidiger hatte argumentiert, es könne kein Delikt sein, Getreide zu unterschlagen, um es als Almosen unter die Bedürftigen zu verteilen. (1979)

Die Bauern verstanden alles, ohne sich von der Montage beirren zu lassen, die ja eher anspruchsvoll, «schwierig» ist. Der einzige Punkt, den sie in Frage stellten, war Portella della Ginestra. Sie fragten sich, ob Giuliano das wirklich getan hatte und warum. Sie hatten's vergessen oder nie gewusst. Dass diese Episode sie nicht überzeugte und ihnen wie eine Erfindung vorkam, gab mir zu denken. (1963)

Rosi: Es wäre, in Bezug auf die heutige politische Lage, zu einfach zu glauben, an allem seien nur die Mafia, die Korruption usw. schuld. Was ich in Le mani sulla città und anderswo gesagt habe, bleibt gültig, glaube ich. Das Spiel der Politik ist dasselbe wie damals, auch das System des Wahlklientelismus, das immer mehr an Gewicht gewonnen hat. Es ist das Gewicht der unproduktiven Kräfte, die sich von den produktiven nähren. Das Gewicht der Bürokratie eines versteinerten Landes, das Gewicht der DC, für die diese untätigen Kräfte stimmen. Ohne die Bürokratie stürzt das System zusammen. Alles, was letzthin in der Justiz, in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen vorgekommen ist, die Abhör- und Erdölskandale, die finanzielle Unterstützung der politischen Parteien durch Industrielle gegen Gewährung handfester Vorteile, die Einstellung der Untersuchungen, sowie Minister belastet werden könnten — das alles ist bereits in Salvatore Giuliano gesagt.

Zum Beispiel die im Film vertretene These, Politiker hätten Giuliano verleitet, am 1. Mai auf die in Portella della Ginestra versammelten Bauern zu schiessen. Jenes Massaker liegt vielen Erpressungen von heute zugrund. Denn die Politiker sind immer noch auf ihren Posten. Sie müssen Hüter schrecklicher Geheimnisse sein, wenn sie, trotz allem, was die Presse über sie geschrieben hat, noch immer da sind.

Für die Rechte hat Italien beispielhaften Wert. Das Land ist Europas Achillesferse. Die Attentate, die Bomben sind Teil eines europaweiten Plans. Es geht nicht bloss um die lokalitalienische Wiedergeburt des Faschismus. Aber es ist noch zu früh, einen Film über dieses Thema zu machen. Die anderen Filmregisseure denken offenbar ähnlich. Sonst hätten wir Filme über den Tod Feltrinellis, die Affäre Valpreda, den Tod Pinellis, des Anarchisten. Von ihm sagt die Polizei, er habe sich umgebracht. Aber man darf mit sehr guten Gründen annehmen, dass er zum Fenster hinausgestürzt worden ist. (1974)

Sciascia: Für mich war Giuliano eine gelungene Sache, ein sehr schöner, dichter Film. Nie zuvor war Sizilien im Film so präzis realistisch, mit so viel differenzierter Aufmerksamkeit gezeigt worden. Auch stützte sich das Ganze auf eine moralisch, ideologisch und historisch faire Beurteilung des Falles Giuliano. Trotzdem sahen die sizilianischen Bauern einen anderen Film, mit einem andern Befund und einer andern Moral als die, die Rosi effektiv meinte. Ein mögliches Missverständnis musste also in einem Teil des Films enthalten sein. Mir schien, diese Möglichkeit stecke im Umstand von Giulianos «Unsichtbarkeit». (1963)

Nehmen wir zum Beispiel den Fall Raymond Roussels, der in Palermo gestorben ist. Ich habe versucht, Dokumente über seinen Tod zu ordnen, einen roten Faden und eine Erklärung darin zu finden. Ich fürchte, ich habe die Sache nicht klarer, sondern unklarer gemacht. Aber es gibt einen Unterschied zwischen dieser Unklarheit und derjenigen des Nichtwissens: Es ist nicht mehr die Unklarheit des Unausgedrückten, Formlosen, sondern die des Gesagten und Formulierten. Darum verwende ich oft, als Form des Diskurses, die des Kriminalromans, diese Art von Bericht, die auf Tatsachen und die Ermittlung des Schuldigen aus ist. Auch wenn es nicht immer gelingt, den Schuldigen zu finden. (1979)

Für Rosi stellt die Unsichtbarkeit, glaube ich, gleichsam den Befund in Bildern dar. Nicht Giuliano war wichtig. Die Kräfte, Interessen, Personen, die ihn steuerten, waren es. Für unsern Zuschauer hingegen gewann die Unsichtbarkeit mythische Qualität. Giuliano stand für die Idee der Revolte wider den Staat und der sozialen Abrechnung. Er war der Retter der Armen. Der weisse Regenmantel und das Fernglas wurden zu Attributen dieser Idee: weiss, Distanz. Und Gestalt nahm der Bandit im Staub des Hofes De Maria an, auf dem ovalen Marmor dieser verdreckten Leichenhalle, unter den Klagen der Mutter. Und da, der Judas Pisciotta, wie er geifert und sich krümmt vor Gift. Und der «Vertraute», der Verderber Pisciottas, ihn ereilt es an einem hellichten Markttag, wie es sich ziemt für eine beispielhafte, feierliche, «religiöse» Vendetta.

Der Bauer ist's zufrieden. Dunkel bleibt für ihn, ob Giuliano in Portella della Ginestra wirklich geschossen hat und warum. Rosi erklärt, warum er's getan hat. Doch die Erklärung ist nur gültig für uns, für den Zuschauer, der ein klares Bewusstsein von den öffentlichen Dingen hat oder wenigstens ein gutes Gedächtnis für die Fakten, für den Prozess von Viterbo, die parlamentarischen Weiterungen des Falls. Sie ist ungültig, ja widersprüchlich für jenen andern Zuschauer. (1963)

Rosi: Sciascias II contesto ist ein Gleichnis, eine Allegorie, ja ein Spiel des Intellekts oder auch ein philosophischer Krimi oder noch ein Pamphlet. Ein Film aber besteht aus Bildern von konkreten Dingen, die dem Publikum Gefühle mitteilen. Mein Problem ist, dass ich aus den verführerischen Gespenstern, die der Phantasie Sciascias entsprungen sind, konkrete Figuren machen muss.

Sciascia hat die Geschichte in einem imaginären Land angesiedelt — jeder erkennt es allerdings —, das wirklicher ist als das wirkliche. Cadaveri eccellenti drehe ich in Italien. Ich bemühe mich, in keiner erkennbaren Stadt oder Strasse zu filmen. Dennoch ist Italien da mit seinen Bewohnern, ihrer Kleidung und ihren Uniformen. Im Buch vermag die Suggestivkraft der Wörter eine gewisse Mehrdeutigkeit zu erhalten. Im Film hat man die Evidenz der Bilder.

Die Wirklichkeit ringsum wird, in Sciascias Schreibweise, so reich an Zeichen, an versteckter Bedeutung, Komplikationen und Verformungen, dass jede Interpretation möglich ist. Sciascia ist so abgründig, die Realität, die er erkundet, so vielschichtig, dass es unmöglich ist, sie zum Ausgangspunkt zu nehmen, ohne sie zu deuten. Erst vor kurzem, glaub' ich, hab' ich's begriffen: Ich bin sicher, dass für Sciascia ein Gerechter in einer gerechten Gesellschaft die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt! Da sieht man, wie sehr es achtzugeben gilt auf all die möglichen Lesarten des Buchs und der vielschichtigen Wirklichkeit, auf die wir beide abstellen.

Sagen wir's offen: Die Gründe eines Komplotts der Macht gegen sich selbst sind unbegreiflich. Das ist das Spannende an Sciascias Buch, sein phantastischer Aspekt: Man begreift nicht, um was für ein Komplott es sich handelt. Selbst der Vorsitzende des Obersten Gerichts, der doch, wie wir wissen, an dem Komplott beteiligt ist, wird getötet. Das finde ich schön. Es entspricht einer Idee, die ich in meinen Filmen immer dargestellt habe: Es führt immer jemand des Mörders Hand. Es gibt immer, hinter der Macht, die uns unterdrückt, eine noch stärkere Macht. (1975)

Sciascia: Giuliano rief Umstände ins nationale Bewusstsein zurück, bei denen die Unzulänglichkeit und die Verderbtheit der Nation und des Staates, den sie bildet, ins unwürdige Extrem gewachsen waren. Der Mythos des «Gesetzes», der staatlichen Autorität ging zersetzt daraus hervor. Darum war es notwendig, den Mythos von Giuliano in lehrhafter Weise seinerseits zu zersetzen. Es hätte genügt, Giuliano zur Figur, zu einem schäbigen und grausamen Megalomanen zu machen, der von geschickter Hand gesteuert wurde, von präzisen Arbeitgeber- und wahltaktischen, also letztlich politischen Interessen. Indem er ihn unsichtbar gemacht hat, hat Rosi die Anklage gegen die steuernde herrschende Klasse verschärft. Doch hat er zugleich, fürs sizilianische Publikum, einen Mythos bestätigt. (1963)

Was für Garantien bot denn dieser Staat für den Schutz der Bürger, die Anwendung von Recht und Gesetz, die Verwirklichung der Gerechtigkeit? Was für Garantien gegen Diebstahl, Machtmissbrauch, Ungerechtigkeit? Keine. Die Straflosigkeit, von der die gegen die Allgemeinheit verübten Delikte profitierten, war eines südamerikanischen Regimes würdig. Nicht einer der grossen Skandale der letzten dreissig Jahre war aufgeklärt, keiner der Verantwortlichen bestraft worden. In jeder Stadt, in jedem Dorf Hessen sich lange Listen von Unterschlagungen, Erpressungen und andern unbestraft gebliebenen Missbräuche aufzählen.

Die Bürger, die ihrer Pflicht, namentlich als gewöhnliche Steuerzahler, nachkamen, sahen sich regelmässig an der Nase heimgeführt, lächerlich gemacht. Nicht nur, weil andere ihrer Pflicht als Steuerzahler nicht nachkamen, sondern weil die von der Republik erlassenen Gesetze selber ungerecht waren. Verschonte etwa die Steueramnestie nicht alle jene, die die Steuerbehörde betrogen hatten? Stellte das nicht eine Ermutigung dar, das Gesetz zu missachten? Ja eine Aufforderung, lieber ein schlechter als ein guter Bürger zu sein?

Rosi: Sciascia und ich haben die Sensibilität und die Berufung gemeinsam, uns mit den öffentlichen Dingen zu befassen. Wir teilen eine Art Verzweiflung vor der enormen Unterdrückung durch die Macht und zugleich eine Hoffnung, die uns glauben und leben hilft, eine luzide Hoffnung. Ich unternehme in Cadaveri eine lange Reise durch die Ungeheuerlichkeiten der Macht. (1975)

Ich glaube, wir befinden uns in einer Lage, wo es nicht mehr genügt, anzuklagen. Das mochte hinlangen, als ich Salvatore Giuliano oder Le mani sulla città drehte. Die Realität erschien uns damals anders, die Positionen waren klarer. Heute ist die Wirklichkeit viel komplexer, sind die verschiedenen Positionen stärker bedingt. Es ist vieles geschehen, besonders innerhalb der grossen Linksparteien des Westens. Ich habe versucht, mich in diese undurchsichtige Wirklichkeit einzufügen und meine ganze Unruhe und meine Zweifel auszudrücken, aber auch die eine oder andere Gewissheit, die ich hege. (1976)

Sciascia: Ich hasse, ich verabscheue Sizilien im gleichen Mass, wie ich es liebe, und in dem Mass, in dem es die Art von Liebe nicht erwidert, die ich ihm entgegenbringen möchte. Ich kann dieses Gefühl auf ganz Italien ausweiten. Hier bin ich geboren, also verdammt, es zu lieben. Doch packt mich zuweilen eine wahnsinnige Lust, wenigstens nicht hier zu sterben. Es wäre sozusagen eine Entschädigung dafür, hier geboren zu sein.

Der Satz von Lawrence «In Sizilien gibt es bestimmt niemand Kultivierten, denn er hätte sich längst davongemacht» ist vermutlich unzutreffend. Aber es ist unbestreitbar, dass die Intellektuellen in Sizilien noch immer Fremdkörper sind. Es gibt sie, aber sie schaffen's nicht, in dieser Gesellschaft zu leben. Das ist die Wahrheit. Es ist, als hätte das ganze soziale Gefüge ihnen gegenüber einen Abwehrreflex. (1979)

Rosi: Diese Notwendigkeit besteht: dass eine Kultur überlieferten Typs einer neuen, belebenden weiche. Sie soll es erlauben, dass die Menschen gemeinsam über den Punkt hinausgelangen können, den der Einzelne erreichen kann. Aber meines Erachtens findet sich in diesem Land nicht die Spur einer institutionellen Erneuerung. Mit der Sprache des Films versuche ich, das Klima dieser verfaulenden Kultur, dieser Immobilität wiederzugeben. (1976)

Leonardo Sciascia gehört mit sechzig Jahren auch ausserhalb seines Landes zu den meistgelesenen italienischen Schriftstellern. Besonders verbreitet und vielfach übersetzt sind seine Polit-Thriller-ähnlichen Romane des Typs «II contesto», der die Vorlage zu Cadaveri eccellenti abgab. Von diesen verfilmten Elio Petri 1967 A ciascuno il suo und 1977 Todo modo, Damiano Damiani 1968 II giorno della civetta. Doch hat Sciascia auch kultur- und literaturhistorische Essays, dokumentarische Reportagen und Pamphlete, so namentlich «Die Affäre Moro» veröffentlicht und sich ausserdem (vorübergehend und ohne greifbaren Erfolg) als Abgeordneter im Stadtparlament von Palermo und im Parlament der Republik in Rom versucht, dies auf Listen der Kommunisten und Radikalen. Unser Text zitiert aus «La corda pazza — Scrittori e cose della Sicilia» (1963) und «Leonardo Sciascia—La Sicilia come metafora» (1979), einem langen, als Buch erschienenen Interview der Journalistin Marcelle Padovani mit dem Autor.

Die Aussagen Rosis sind Michel Ciments «Le dossier Rosi» und Sandro Zambettis «Francesco Rosi» (beide von 1976) entnommen.

Pierre Lachat
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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