SENTA VAN DE WEETERING

STATIONSPIRATEN (MICHAEL SCHAERER)

SELECTION CINEMA

Die Station, auf die der Titel Bezug nimmt, ist diejenige für krebskranke Kinder und Jugendliche in einem Kinderspital. Ein Ort also, an dem man vor allem Tragik vermutet und entsprechend nicht so genau hinblicken will. Michael Schaerer schaut hin und entdeckt am Rand des Abgrunds Freundschaften und den Willen zu lachen und zu leben.

In Zentrum von Stationspiraten stehen krebskranke Jugendliche, die von einem überzeugenden Darstellerteam verkörpert werden. Sie gehen ganz unterschiedlich mit ihrer Krankheit um, die sie doch alle an die Station und zusammen bindet. Wunderbar und nervenaufreibend quasselt sich Vincent Furrer als Benji durch den Tag und das Spital, macht Witze, quatscht den Arzt mit Belanglosigkeiten voll, wenn der ihm schlechte Nachrichten bringen will, und reisst angeberische Sprüche über Sex und Frauen, von denen er keine Ahnung hat. Weniger einfach hat es da Scherwin Amini. Er spielt Kevin, der nach der zweiten Chemotherapie keine Lust, keine Energie und kein Hoffnung mehr hat, obschon seine Pro­gnose ihn zuversichtlich stimmen sollte. Michi (Max Hubacher) ist der einzige, über dessen Familie man etwas erfährt – vor allem über den Ehrgeiz, den der Vater für seinen Sohn hegt. Der soll Profifussballer werden, obschon ihm ein Bein amputiert werden musste. Gemeinsam ist den dreien die Krankheit, die sie auf die Station gebracht hat, und die Fürsorge für den deutlich jüngeren flugzeugbegeisterten Jonas, der jedoch bald für eine Knochenmarktransplantation in ein anderes Spital verlegt wird.

Man zögert, den Film als «Coming of Age»-Drama zu bezeichnen. Dies einerseits deshalb, weil man nie weiss, ob die Protagonisten das Erwachsenenalter tatsächlich erleben werden. Andererseits will auch die Bezeichnung Drama nicht so richtig passen, weil die jugendlichen Figuren, selbst der depressive Kevin, ihr Leben und ihre Krankheit nicht als solches verstehen wollen. Sie wehren sich gegen die eigene Angst und drohende Verzweiflung mit nächtlichen Rollstuhl-Wettrennen durch die Spitalgänge oder einem Bier im Teich des Spitalparks. In dieser Energie und der Authentizität, die die jungen Darsteller ihren Rollen verleihen, liegt die Stärke des Films. Sie kommt auch problemlos gegen das kühle Weiss der Spital-Umgebung an. Wie sehr die Qualität des Films an der Überzeugungskraft der Darsteller hängt, wird immer dann deutlich, wenn das Drehbuch ihnen Sätze vorgibt, die ihnen nicht so richtig im Mund liegen. Dann erfährt Stationspiraten – das Remake des spanischen Films Planta 4a von Antonio Mercero – kurze Einbrüche, die jedoch glücklicherweise schnell wieder aufgefangen werden.

Senta Van de Weetering
Filmwissenschaftlerin und Germanistin. Arbeitete als Journalistin, Redaktorin, Moderatorin und Texterin. Heute arbeitet sie für die Unternehmenskommunikation der Hochschule Luzern und im Team der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur.
(Stand: 2020)
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