Die Filmemacherin Yu Hao ist professionelle Zuschauerin. Aufgewachsen in einem Dorf im Norden Chinas zog sie mit ihrer Familie zunächst in die Millionenstadt Shijiazhuang und später als Erwachsene nach Peking, wo sie beim Fernsehen arbeitete. Die Stadt zog Hao magisch an: sie liebte das Neue, den Wandel und das Reisen. Als Journalistin kam sie 2005 auch das erste Mal in die Schweiz, ein Land voller Traditionen, dessen Bewohner vor ihrem exotisierenden Blick so beständig leben wie die Berge. Sie verliebte sich und ihr Partner nahm sie auch das erste Mal mit ins Appenzell. Die Begegnung mit dieser fremden Welt löste etwas in Hao aus, das sie aus China nicht kannte und dem sie in diesem Film nachzugehen sucht: das Gefühl von Heimweh.
Der Begriff Heimweh kam im 17. Jahrhundert auf und beschrieb eine Krankheit, die so stark mit der Schweiz verbunden war, dass sie alternativ als mal du Suisse bezeichnet wurde. Mehr als zehn Jahre lang filmte Yu Hao die Landschaften des Appenzells und nahm an traditionellen Festen wie dem Alpabzug und dem Silvesterchlausen teil. Der knapp 70-minütige Dokumentarfilm besteht aus einem Bruchteil dieses Filmmaterials. Gleichzeitig ist er ein Versuch, aus diesem reichen Fundus ein Narrativ zu bilden, das den persönlichen Wandel der Protagonistin erzählt. Diese Geschichte ist geprägt von dem Gefühl, nicht dazuzugehören, sich zwischen den Welten zu bewegen und dem Leben nur als Zuschauerin beizuwohnen. Auf ihren Erkundungen trifft Hao auf eine aus exzentrischen Männern bestehende traditionsbewusste Welt. Da ist Johann, der «wie vor 100 Jahren» lebt, oder Ruedi, der an Weihnachten die Tiere segnet, und schliesslich der 13-jährige Chläus, der sich ganz alleine um eine Alp kümmert. Sie alle werden als Gegensatz von Hao präsentiert, die aus der chinesischen Grossstadt in die beschauliche Schweiz zog.
Das Appenzell wird für die Protagonistin zur Bühne für ihre eigene Geschichte, die sie uns in der Manier einer unzuverlässigen Erzählerin anvertraut. Immer wieder zeigen sich Brüche in der Erzählung, welche die Stimme aus dem Off sogleich wieder überdeckt. Konsequent werden Details ausgeblendet, welche die Gegenüberstellung von Schweizer Tradition und chinesischer Moderne verkomplizieren würde: dazu gehören ihr Partner und Produzent Ernst Hohl und das von ihm gestiftete Haus Appenzell an der Zürcher Bahnhofstrasse, wo Hao als Kuratorin arbeitet. Durch diese Erzählweise zeigt der Film gleich selbst, wie das Gefühl von Heimweh am Ende oft einfach Verklärung ist.