THOMAS HUNZIKER

CREVETTE (JILL VÁGNER, ELINA HUBER, NOÉMI KNOBIL, SVEN BACHMANN)

Leise surrt die Lüftung des Kühlschranks. Darunter bildet sich Tropfen für Tropfen eine Pfütze. Als die Frau mit dem Socken in diese Pfütze tritt, durchfährt sie ein unangenehmes Schaudern und es eröffnen sich unerwartete Abgründe. Der Kühlschrank tropft, doch das Gefrierfach besteht aus einem Eisblock. Mit einem Löffel aus der Besteckschublade, in der auch ungeöffnete Kondome aufbewahrt sind, hackt sich die Frau durch das Eis. Sie stösst auf eine einzelne Garnele, die sich in ein Embryo verwandelt. Einsatz von meditativer Musik.
 
Ein starrer Blick mit weit aufgerissenen Augen. Schnell das Eisfach wieder zu. Ein Griff auf den Unterbauch. Doch auch der restliche Inhalt des Kühlschranks lässt unweigerlich an die Fruchtbarkeit denken. Ein benutztes, löchriges Kondom tropft auf zwei aufgeschnittene Zitronenhälften, die an Brüste erinnern. In einem mit wenigen Essensresten und Flüssigkeit gefüllten Behälter spielt sich die Zellteilung ab. Und selbstverständlich tanzen auch die Eier. Unaufhaltsam drängt das Embryo die Frau zur Konfrontation mit der Möglichkeit einer Schwangerschaft.
 
Der 5-minütige Animationsfilm Crevette von Jill Vágner, Elina Huber, Noémi Knobil und Sven Bachmann ist 2023 im Bachelor Animation an der Hochschule Luzern entstanden. Die Filmemacher_innen präsentieren eine zunächst alltägliche Situation, die sich in der Vorstellung der Hauptfigur in eine (Alb)-Traumwelt auflöst. Das Fremde, das sich da zunächst als äusserlicher Impuls der Frau in den Weg stellt, wird in den Gedanken zu einem innerlichen Konflikt. Aus der konkreten Umgebung der unordentlichen Küche mit Spülbecken, Schränken, Tisch und Kühlschrank wird die Frau in eine grosse lila Leere transferiert, in der vibrierende Linien auf ihre Ängste zuführen.
 
Klare Striche und nuanciert farbig schimmernde Oberflächen sorgen für eine einprägsame Bildsprache mit unvergesslichen Momenten. Das mit nur den geringsten, notwendigen Linien entworfene Gesicht der Frau lässt dabei durch gekonntes Mienenspiel und die subtile Geräuschunterstützung auf der Tonspur eine Vielfalt an Emotionen erkennen. Vágner, Huber, Knobil und Bachmann ist mit ihrem computeranimierten Werk eine eindringliche, psychologische Annäherung an ein ursprüngliches Dilemma gelungen, zwischen Furcht vor und Faszination an der Fortpflanzung. Durch die treffende Bildsprache, dem präzisen Timing und der berauschenden Tonspur entwickelt das Werk einen einzigartigen Sog. Am Fantoche 2023 wurden Crevette im Schweizer Wettbewerb die beiden Auszeichnungen «New Swiss Talent» und «Fantastic Swiss» verliehen.
Thomas Hunziker
*1975, Studium der Filmwissenschaft, Anglistik und Geschichte an der Universität Zürich. Er arbeitet als Radiologiefachmann und betreibt das Filmtagebuch filmsprung.ch. Mit seiner Partnerin und zwei Kindern lebt er in Schaffhausen.
(Stand: 2021)

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