Renoir, le patron; Renoir, der Unbekannte Die Reihe der französischen Publikationen über Jean Renoir bricht seit seinem achtzigsten Geburtstag nicht ab, und selbst Verleiher und Kinobesitzer in Paris machen jetzt bei den Ehrungen des «grössten französischen Filmregisseurs aller Zeiten» — so kürzlich ein Inserattext im «Nouvel Observateur» — mit. Sogar der letzte, für das Fernsehen produzierte Film, Le Petit Théâtre de Jean Renoir, ist jetzt ins Kino gekommen. Renoir ist der französische Regisseur par excellence. Die Begeisterung und die Verehrung, die ihm von Seiten der Kritiker und späteren Regisseure der Nouvelle Vague zuteilwurden, sind noch immer intakt. Renoir ist der «Patron» des französischen Films. Die französische Literatur über Renoir ist zum grossen Teil von Freunden geschrieben und deshalb auch mit Vorsicht zu gemessen. Zuweilen ist sie ungeniessbar. Dann etwa, wenn krampfhaft versucht wird, das Spätwerk in die Sphären fast übermenschlicher Weisheit emporzureden. Leidenschaftslos kritische Bücher über Renoir gibt es in Frankreich noch immer nicht. Wer über den Patron publiziert, scheint auch eine gewisse Dosis Mystifikation und Nationalismus abliefern zu müssen. Im Gegensatz zu Frankreich ist Renoir im deutschsprachigen Raum noch immer ein Unbekannter. Es gibt keine neueren Bücher... und vor allem keine Aufführungen von Renoir-Filmen. Jean Renoir bleibt für die Deutschsprachigen noch zu entdecken. Gegenwärtig ist in München die erste vollständige Renoir-Retrospektive im Gange. Nach dieser Veranstaltung wird wohl auch die erste umfassende Publikation erscheinen. Für die Mitarbeiter dieses Hefts von CINEMA war die Beschäftigung mit Renoir nicht einfach. Jene, die noch die klassische Zeit der Filmklubs erlebt hatten, mussten da und dort (überall, wo keine Kopien mehr erhältlich sind) mit «kalten Erinnerungen» arbeiten; die jüngeren begegneten Renoir eigentlich zum ersten Mal. Wir haben alle in der Schweiz aufzutreibenden Filme angeschaut, und wir danken an dieser Stelle der Cinémathèque Suisse für ihre Unterstützung. Obwohl wir selbstverständlich einen Grossteil der neuen Publikationen gelesen hatten, haben wir uns einen unvoreingenommenen Blick gewünscht, sozusagen einen ersten Blick auf ein Lebenswerk, das, handelte es sich um ein literarisches, längst hi wohlfeilen Klassikerausgaben greifbar wäre. Was wir auf den folgenden Seiten formulieren, sollen erste Annäherungen an ein Werk sein, das wieder lebendig werden muss, in den Kinos, in den Filmklubs. Solange nämlich Renoir ein Unbekannter bleibt, so lange müssen Filmverständnis und Filmkritik Waisenkinder bleiben. Bernhard Giger, Martin Schaub Renoir, le patron; Renoir l’inconnu Alors qu’en France, après le 80e anniversaire de Jean Renoir, les publications se succèdent et que ses films même sont programmés dans les salles de Paris, Renoir est un inconnu dans les pays de langue allemande. Renoir reste, comme les critiques de la Nouvelle Vague l’ont proclamé, le patron du cinéma français. Les publications récentes ne manquent d’ailleurs pas d’un certain chauvinisme. Ce numéro de CINEMA se base sur tout que nous pouvions saisir de l’œuvre de Renoir — films, témoignages (autobiographie, critiques et essais) — et sur notre intention de recommencer une réflexion sur cette œuvre-clé de la cinématographie mondiale (msch.) Filmographie Die Daten bezeichnen das Jahr der Realisierung, nicht jenes der Uraufführung. / Les dates designant l’année de la réalisation, et non l’année de la sortie des films. 15.9.1894 geboren in Paris als Sohn des Malers Pierre-Auguste Renoir. 1924 Une vie sans joie oder Catherine. Frankreich. Regie: Albert Dieudonne / Produktion / Buch. La Fille de l’Eau. Frankreich. Produktion / Regie. Nana. Frankreich und Deutschland. Mitproduzent / Regie. 1927 Sur un air de Charleston. Frankreich. Produktion / Regie. Marquitta. Frankreich. Regie. La p’tite Lili. Frankreich. Regie: Alberto Cavalcanti. / Darsteller. 1928 La Petite Marchande d’Allumettes. Frankreich. Mitproduktion / Regie (in Zusammenarbeit mit Jean Tedesco) / Buch (nach Andersen). Tire au Flanc. Frankreich. Regie / Buch (mit Claude Heymann, nach Mouezy-Eon u. A. Sylvane). Le Tournoi. Frankreich. Regie / Buch (nach einem Roman v. Dupuy-Mazuel). 1929 Le Bled. Frankreich. Regie. (Aussenaufnahmen in Algier). Le petit Chaperon Rouge, Frankreich. Regie: Alberto Cavalcanti. / Produktion / Mitarbeiter am Buch / Darsteller. Vous verrez la semaine prochaine. Frankreich. Regie: Alberto Cavalcanti. / Darsteller. 1930 Die Jagd nach dem Glück. Deutschland. Regie: Rochus Gliese. / Darsteller. 1931 On Purge Bébé. Frankreich. Regie /Buch (nach G. Feydeau). La Chienne. Frankreich. Regie / Buch (mit Pierre Schwab, nach dem Roman v. G. d. I. Fourchadière). 1932 La Nuit du Carrefour. Frankreich. Regie / Buch (nach G. Simenon). Boudu sauvé des Eaux. Frankreich. Regie / Buch (mit A. Valentin, nach dem Stück v. René Fauchois). 1933 Chotard et Compagnie. Frankreich. Regie / Buch (mit Roger Ferdinand, nach dem Stück von R. Ferdinand). 1934 Madame Bovary. Frankreich. Regie / Buch (nach G. Flaubert). Toni. Frankreich. Regie / Buch (mit Carl Einstein, n. Dokumenten von Jacques Levert). 1935 Le Crime de Monsieur Lange. Frankreich. Regie / Buch (mit J. Prevert, n. einer Idee v. Jean Castannier). 1936 La Vie est à nous. Frankreich. Regie. (Une) Partie de Campagne. Frankreich. Regie / Buch (n. G. d. Maupassant). / Darsteller. Les Bas-Fonds. Frankreich. Regie / Mitarbeit am Buch (n. Maxim Gorki). 1937 La Grande Illusion. Frankreich. Regie / Buch (mit Charles Spaak). La Marseillaise. Frankreich. Regie / Mitarbeit am Buch. 1938 La Bête humaine. Frankreich. Regie / Buch (n. Zola). 1939 La Règle du Jeu. Frankreich. Regie / Buch (m. Karl Koch) / Darsteller. Uraufführung d. vollständigen Fassung 1965. August Abreise nach Italien. La Tosca Italien. Regie: Karl Koch / Buch (mit Koch, Luchino Visconti, n. Victorien Sardou). 1940 Rückkehr nach Paris. Emigration über Portugal nach Amerika. 1941 Swamp Water. USA. Regie. 1943 This Land is Mine. USA. Regie / Buch (mit Dudley Niehols). 1944 Salute to France. USA. Mitarbeit. 1945 The Southerner. USA. Regie / Mitarbeit am Buch. 1946 The Diary of a Chambermaid. USA. Regie / Mitarbeit am Buch / Darsteller. The Woman on the Beach. USA. Regie / Mitarbeit am Buch 1949 The River. England. Regie / Buch (m. Rumer Godden, nach ihrem Roman) / Aussenaufnahmen gedreht in Indien. 1951 Rückkehr nach Europa. 1952 Le Carosse d’Or. Italien und Frankreich. Regie / Mitarbeit am Buch. 1954 French Cancan. Italien und Frankreich. Regie / Buch (n. einer Idee von Andre-Paul Antoine). 1955 Eléna et les Hommes. Frankreich und Italien. Regie / Buch (m. J. Serge). 1959 Le Testament du Docteur Cordelier. Frankreich. Regie / Buch. Le Déjeuner sur l’Herbe. Frankreich. Produktion /Regie / Buch. 1962 Le Caporal épinglé. Frankreich. Regie / Buch (m. G. Lefranc, n. dem Roman v. J. Perret). 1969 Le Petit Théâtre de Jean Renoir. Frankreich.
CINEMA #21/4
JEAN RENOIR